Schwerte/Iserlohn. Kaum ein Politiker kann hierzulande auf mehr Erfahrung verweisen als Otto Wulff. Nun tritt er als Vorsitzender der Senioren-Union nicht mehr an.

Eine außergewöhnliche politische Karriere endet in dieser Woche: Otto Wulff, seit 21 Jahren Bundesvorsitzender der Senioren-Union, verlässt die Bühne. Bei der Bundesdelegiertenversammlung vom 30. August bis 1. September in Magdeburg tritt der 90-Jährige nicht mehr an. Wulff engagiert sich seit 70 Jahren in der CDU.

Er kennt den Krieg. Er hat den Wiederaufbau des zerstörten Deutschlands miterlebt, die Orientierung nach Westen, die Trennung von einem Drittel des Landes, die Wiedervereinigung. Alle Bundeskanzler hat er getroffen – von Adenauer bis Scholz. Otto Wulff ist die personifizierte Nachkriegshistorie. Und die lebendige Mahnung, aus der Geschichte die richtigen Lehren zu ziehen.

Am Abitur-Tag in CDU eingetreten

Geboren wurde er am 5. Januar 1933 in Hennen, das heute zu Iserlohn gehört. Sein Vater saß im Gestapo-Gefängnis. Am Tag seines Abiturs trat Otto Wulff in die CDU ein. Die wichtigsten Stationen: Kreistagsmitglied, stellvertretender Landrat, Bundestag von 1969 bis 1990, seit 1996 Chef der Senioren-Union.

Was fällt ihm ein, wenn er heute auf die Politik schaut? „Mir fehlt die Aufbruchstimmung. Wir brauchen mehr Zuversicht. Stattdessen macht sich ein bleierner Pessimismus breit, der auch in den Medien zu spüren ist. Die Leute wählen aber keine Nörgler, keine Pessimisten. Das C im Namen meiner Partei hat auch mit Hoffnung zu tun. Ich habe kein Verständnis für Menschen, die immer nur negativ denken. Auch in der Union nicht,“, sagt Wulff. Natürlich hat er auch Namen im Kopf, wenn er an diese Nörgler denkt. Aber er spricht sie nicht aus.

Stattdessen zitiert er plötzlich einen deutschen Klassiker und erwähnt, dass eine Original-Ausgabe von Goethes Werken aus dem Jahr 1835 in seinem Regal steht. Er sagt das, weil er weiß, dass immer mehr Zeitzeugen von uns gehen und die Erfahrungen verblassen. „Wir haben eine Möglichkeit, die Geschichte weiterzugeben, und das ist die Literatur.“

Otto Wulff (rechts) in jungen Jahren mit seinem politschen Vorbild Konrad Adenauer.
Otto Wulff (rechts) in jungen Jahren mit seinem politschen Vorbild Konrad Adenauer. © Privatsammlung Wulff | Otto Wulff

Das große Vorbild: Adenauer

Adenauer sei ein sehr positiv denkender Mensch gewesen. Helmut Kohl auch. Angela Merkel „war nicht pessimistisch, aber nüchterner“. Beim „Alten“ in Rhöndorf hat Wulff oft übernachtet, weil er mit Adenauers jüngstem Sohn befreundet war. Der Elan des ersten Bundeskanzlers beim Wiederaufbau begeistert ihn noch immer. Wulff lässt durchblicken, dass er diesen Schwung heute vermisst, obwohl die Probleme damals ungleich größer waren. „Wir haben das früher geschafft. Warum sollten wir dann jetzt verzweifeln?“

Wer ihm zuhört, spürt, welche Emotionen er gefühlt haben muss, als er 1984 den Handschlag der Versöhnung zwischen Helmut Kohl und François Mitterrand in Verdun erlebte. Damals stand Wulff neben dem großen Schriftsteller Ernst Jünger. Oder am 3. Oktober 1990, als vor dem Reichstag in Berlin die deutsche Einheit vollendet wurde. „Ich musste unweigerlich an die Zeit denken, als Deutschland in Trümmern lag“, sagt er heute. Seine Erinnerungen will er auch dann noch weitergeben, wenn er nicht mehr Vorsitzender der Senioren-Union ist.

„Das Alter zeichnet den Menschen, das Alter kann sich aber auch auszeichnen“, sagt Wulff gerne, wenn er gefragt wird, ob die älteren Menschen in unserer Gesellschaft genug wertgeschätzt werden. „Vernünftige und gute Politik ist nur möglich, wenn sie von Erfahrungen profitiert.“ Seine möchte er gerne teilen, vor allem mit jungen Menschen. „Ich habe oft das Gefühl, ich sage etwas Altes, dabei sage ich vielen etwas ganz Neues.“

„Vertrauen der Bürger gewinnen“

Wulff sorgt sich um die Demokratie. Und deshalb schreibt er in einer seiner letzten Pressemitteilungen als Vorsitzender der Senioren-Union: „Wir Älteren haben leidvoll erfahren müssen, wohin die Abkehr von demokratischen Werten und die Hinwendung zu extremen Parteien führen. Die demokratischen Parteien müssen sich gemeinsam gegen radikale Kräfte wenden und das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen.“

Seit mehreren Jahren arbeitet Otto Wulff an einem Buch, an seinem Buch. Er will seine Erfahrungen, seine Emotionen weitergeben. Es wird ein autobiografischer Roman über seine Familiengeschichte. Die ist 500 Jahre alt, also werden es am Ende drei Bücher...

Bis ins kommende Jahr ist Wulff noch Mitglied im Bundesvorstand der CDU. Im Mai, wenn das Gremium neu gewählt und er verabschiedet wird, wird er dort zwei Monate länger gesessen haben als seinerzeit Konrad Adenauer.