Hemer. Das Sauerländer Bauunternehmen Verfuß erklärt, warum Bauen im Bestand im Trend liegt und klimafreundlicher als ein Neubau sein kann.
Das Gebäudeenergiegesetz aus dem Hause des Klimaschutzministers Robert Habeck hat für reichlich Verwirrung gesorgt, nicht nur in der Berliner Politblase. „Unsere Kunden brauchen Orientierung, trotz des etwas verkorksten Heizungsgesetzes“, sagt der Hemeraner Bauunternehmer Georg Verfuß. Das mittelständische Familienunternehmen hat deshalb zum Expertentreff geladen. Thema: Der Weg zum klimafreundlichen Gebäudebestand. Für Verfuß ist Bestandssanierung derzeit „eines der Hauptthemen“. Nachhaltigkeit beim Bauen gewinnt in der Branche an Bedeutung.
Graue Energie
Die Sauerländer haben eine lange Tradition: vergangenes Jahr wurde 150-Jähriges bei Verfuß gefeiert. Und sie sind weiter gut im Geschäft, weil sie mit den weit über einhundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern breit aufgestellt sind, und auch zur Sanierung von alten Gebäuden nach neuestem Stand der Technik in der Lage sind. Die „leichte Delle im Wohnungsbau“ (Verfuß) wird gerade durch florierenden Kitabau ausgeglichen. Neubauten sind das eine, Sanierung, Erhalt wertvoller Substanz das andere.
Die Experten sprechen von der Wichtigkeit der „grauen Energie“. Gemeint ist der energetische Aufwand, der bei der Produktion von Materialien, dem Transport, dem Bau und einem möglichen Rückbau samt Entsorgung nötig ist, der für einen jahrzehntelangen zählbaren CO2-Fußabdruck sorgt.
Eine Tonne Zement verursacht heute bei der Herstellung knapp 600 Kilogramm CO2. Noch. Inzwischen wird in der Zementbranche zwar fieberhaft dazu geforscht, wie diese Klimabilanz verbessert werden kann, aber regionale Hersteller wie das mittelständische Unternehmen Spenner aus Erwitte sind immer noch auf der Suche nach der richtigen Technologie.
Vorhandene, weil verbaute Ressourcen nutzen, bei Abrissen anfallende Materialien nicht entsorgen, sondern sortieren und damit eine Kreislaufwirtschaft am Bau in Gang bringen – klingt beinahe utopisch. Dabei ist es eine Rückbesinnung. Als die Firma Verfuß 1872 gegründet wurde, „da war die Welt noch sehr nachhaltig, kein Stein wurde weggeworfen“, erinnert Geschäftsführer und Inhaber Georg Verfuß beim Expertentreff im Bau- und Innovationsforum des Unternehmens in Hemer. Das Grundgerüst des Forums stammt übrigens aus dem Stahl eines alten Kasernenunterstands am früheren Bundeswehrstandort.
Verfuß ist Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB). Rund 2000 unterschiedliche Mitglieder hat die DGNB, vom Energieberater bis zum VW-Konzern. Die rund 60 Experten im Verfuß-Forum kommen aus der Immobilienbranche oder sind Kundinnen und Kunden aus der südwestfälischen Wirtschaft. Deren großes Interesse am Thema erklärt sich so: „Viele Gebäude der Unternehmen in Südwestfalen stammen aus der Früh- und Mittelzeit der Industrialisierung“, sagt Georg Verfuß. An Energieeffizienz von Gebäudehüllen dachte damals niemand. Es ist meist möglich, diese Bauten zu sanieren – und nötig ist es sowieso. „Klar ist, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, müssen wir etwas tun“, so Verfuß.
Ein VW-Käfer mit Porschemotor
Rund 35 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland fallen durch Gebäude an. Heizen und Kühlen, also der Betrieb, macht davon über eine lange Zeit etwa 30 der 35 Prozent aus. Satte Fünf Prozent der Emissionen entstehen auf einmal beim Bau der Objekte, erläutert Markus Kelzenberg von der DGNB. Wer Bestand erhält und umgestaltet hat also bereits einen Beitrag zur Nachhaltigkeit geleistet. Selbst wenn eine Sanierung alter Gebäude nicht den höchstmöglichen Standard von Neubauten erreicht, erscheint sie der Branche zunehmend sinnvoll.
In jedem Fall stehe eine Sanierung vor der in den vergangenen Wochen so hitzig diskutierten Heizungsfrage, ist für DGNB-Fachmann Kelzenberg klar. Sich erst für eine Wärmepumpe zu entscheiden, ehe ein Gebäude saniert ist, sei ein bisschen so „wie ein VW Käfer mit Porschemotor“. So etwas ist möglich, aber es machten früher schon in der Regel nur die ganz verrückten Hinterhofschrauber, die weniger auf die Tank- als die Tachonadel schauen.