Hagen. Frederik Köster ist ein Trompetenstar. Mit den Hagener Philharmonikern verbindet den Jazzmusiker eine Liebesbeziehung. Warum?
Jazz und sinfonische Musik fremdeln gerne miteinander, weil die Rhythmusbegriffe zu unterschiedlich sind. So lautet das Vorurteil. Dass beide Konzepte des Musizierens sich im Gegenteil reich befruchten können, haben jetzt der Jazztrompeter Frederik Köster, seine Band und die Hagener Philharmoniker mit einem außergewöhnlich spannenden Sinfoniekonzert bewiesen, das den Abschluss einer richtig guten Saison bildet.
Nur acht Töne hat das kleine Sehnsuchtsmotiv. Zuerst taucht es in den Kontrabässen auf, dann in den Celli, den Bratschen, wandert hoch in die Holzbläser, ins Schlagzeug, ins Blech. Und dann setzt Frederik Köster seine Trompete an, und die Welt verändert sich im Hören. Der Olsberger Musiker und Komponist ist ein internationaler Trompetenstar, Trompetenprofessor in Osnabrück, mit allen wichtigen Preisen gekrönt, und er ist nicht die Spur eitel oder arrogant. „Wir freuen uns jedes Mal, wenn es zu einer Zusammenarbeit mit diesem wunderbaren Orchester kommt“, sagt er glücklich. „Es ist jetzt das dritte Mal.“
Für die Philharmoniker komponierte Köster 2016 die „Homeward Bound Suite“, ein enormer Erfolg, auch als Album. Nun hat er für die Hagener „Mind over Matter“ geschrieben, ein feines kleines 12-Minuten-Stück, und dazu Gershwins „An American in Paris“ arrangiert. Die Band spielt das komplette Programm mit dem Orchester, auch Gunther Schullers „Transformation“, „Momentum“ von Mark-Anthony Turnage und Leonard Bernsteins „Prelude, Fugue and Riffs“. „Wir erforschen verschiedene Richtungen des Jazz“, schildert Generalmusikdirektor Joseph Trafton die Idee des großartigen Abends.
Dialog der Instrumente
Als Komponist hat Frederik Köster viel Freude daran, die Klangmöglichkeiten des Sinfonieorchesters zu erkunden und mit der Band auf Augenhöhe in einen Dialog zu bringen. Besonders gerne mag er es, wenn sich Orchesterinstrumente und Band die musikalischen Bälle zuspielen, so zum Beispiel, wenn Klarinette und Fagott in „Mind over Matter“ die erzählerische Funktion der Jazztrompete übernehmen und mit dem Jazzklavier ins Trio gehen. Als Trompeter hingegen ist der 45-Jährige ein Zauberer, der ein ganzes Universum von Emotionen vermisst, und zwar mit der Unangestrengtheit eines Liebenden, für den der Weg das Ziel ist. Seine Trompete jubelt und singt, sie weint und klagt, atmet, seufzt, krächzt, hustet, jault, verführt, sie hat alle Zwischentöne, die einem Musiker auf der Seele liegen können. Die Trompete ist dabei nicht einfach ein Soloinstrument, sondern die Ich-Erzählerin, das handelnde Subjekt, ein instrumentaler Odysseus auf immerwährenden abenteuerlichen Reisen.
Kösters Band heißt „Die Verwandlung“, dazu gehören Sebastian Sternal am Klavier, Joscha Oetz am Kontrabass und Jonas Burgwinkel am Schlagzeug. Der Titel spielt auf die gleichnamige Erzählung von Franz Kafka an; überhaupt sind Lyrik und Literatur wichtige Kraftquellen für Kösters Musik. Seit 10 Jahren ist die Band zusammen, fünf Alben haben sie herausgebracht, zuletzt „Stufen“ nach Hermann Hesse. „Zwischen uns gibt es tiefe Verbundenheit und Vertrauen und trotzdem den Wunsch, sich musikalisch zu überraschen.“
Das Geheimnis der Verwandlung
Verwandlung ist aber auch das Geheimnis dieses Sinfoniekonzerts. Denn es passiert etwas in der Interaktion von Band und Orchester, gleichsam Magie, eine Kernschmelze von Talent und Begeisterung, ein experimenteller Katalysator, der ungeheuer viel neue musikalische Energie freisetzt. George Gershwin klingt in Kösters Arrangement elegant und auch ein bisschen rau, mit einem hübschen Tuba-Solo kurz vor Schluss, damals waren es extrem neue Töne, heute wirkt seine Musik fast wehmütig; bei Gunther Schuller entwickelt sich aus einer Klangfarbenmelodie der freie Jazzrhythmus. Mark-Anthony Turnages sprödes „Momentum“ überrascht mit einem unerwarteten Orgeleffekt. Und bei Bernsteins „Prelude, Fugue and Riffs“ in der Fassung für Klarinette und Orchester steht der großartige Hagener Soloklarinettist John Corbett im Mittelpunkt. Die Band spielt auch alleine, „Your Silence Is Killing Me“ und als Zugabe „Levante“ mit einem unfassbar langen Halteton auf der Trompete.
Das Publikum ist begeistert, die Musiker ebenfalls. Ein Sinfoniekonzert ist eben kein Käfig für verstaubte Töne, sondern vor allem ein Ort der Begegnung, der Entdeckungen und des Austauschs von musikalischer Kreativität. Das Hermann-Hesse-Gedicht, das dem neuen Album von Frederik Köster zugrunde liegt, prägt auch das Crossover-Sinfoniekonzert: Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise / Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Neues Jazzalbum heißt Stufen
Das Livealbum „Stufen“ von Frederik Köster und seiner Band „Die Verwandlung“ ist beim Label Traumton erschienen. Köster schreibt derzeit auch eine Auftragskomposition für die NDR-Bigband, eine Musik, die von Texten Haruki Murakamis inspiriert wird. Uraufführung ist im November. www.frederikkoester.de