Sundern. Alexander Krichel leitet das Festival Kultur rockt in Sundern. Warum der Starpianist Kultur auf der grünen Wiese mitten im Sauerland macht.
Alexander Krichel ist mit 34 Jahren nicht nur ein Ausnahmepianist auf dem internationalen Klavierparkett, sondern gilt auch als die große deutsche Klavierbegabung schlechthin. Was eher weniger bekannt ist: Der Hamburger ist ebenfalls der künstlerische Leiter des Festivals Kultur rockt auf Haus Berghoff in Sundern-Dörnholthausen. Dort bringt er Künstler unterschiedlicher Profession in einen Austausch. Am Fronleichnamswochenende treten der Schauspieler Christian Berkel, die Sängerin Zoe Wees, der junge Weltklasse-Bratscher Adrien la Marca und Alexander Krichel selbst mitten im Sauerland auf.
Alexander Krichel hat sich für das Telefoninterview den Wecker gestellt. Denn der Flügel steht zuhause in Hamburg in einem schalldichten Probenraum. Die Nachbarn hören das Klavier nicht, und Krichel hört – ein Segen – das Telefon nicht. Von Sundern aus geht es weiter zu Konzerten nach Frankreich, dann Schweiz, Rumänien, dazwischen Deutschland, der Kalender ist voll.
Voller Kalender
Wieviel Stunden üben Sie am Tag Klavier?
Alexander Krichel: Dieses Jahr war ich schon einige Male bei 13 Stunden am Tag. Um 9 Uhr fange ich in der Regel an. Vor einigen Wochen habe ich mein neues Album „My Rachmaninoff“ veröffentlicht, und Rachmaninoff spiele ich neben Brahms auch in Sundern, das wird sehr romantisch. Sie wissen ja, wie viele Töne man bei Rachmaninoff zu spielen hat, und die müssen in den Körper rein, in die Finger, in die Muskeln, das geht nur durch Üben. Aber es ist schön. Man badet in der Musik, man lebt die Musik.
Besteht nicht die Gefahr, dass Sie Verspannungen kriegen oder Kopfschmerzen?
Zum Ausgleich mache ich Zen-Meditation. Damit habe ich während der Corona-Pandemie angefangen, damals spürte ich, dass sich in mir eine toxische Unruhe entwickelte: Wer weiß, ob ich jemals wieder wie früher Konzerte und Tourneen spielen kann? Wer weiß, ob ich jemals wieder diese besondere Verbundenheit mit dem Publikum spüren kann? Meditieren hilft mir auch jetzt noch. Durch die Meditation habe ich gelernt zu wissen: Mehr kann ich nicht machen. Perfektionismus ist schön und gut, aber in der Kunst geht es in Wahrheit um Liebe, um Emotionen.
Das Großstadt-Publikum ist immer ganz erstaunt, dass Sie mitten im Sauerland in einem Pferdestall ein Festival ins Leben gerufen haben. Und jetzt ist Kultur rockt schon 10 Jahre alt. Wie kam es dazu?
Das war ein bisschen wie mit der Jungfrau und dem Kind. Ich hatte Matthias Berghoff schon über ein Buchprojekt kennengelernt, ich war damals sehr jung und es war sehr aufregend für mich, dass ich an diesem tollen Buchprojekt mit so vielen anderen bedeutenden Künstlern arbeiten durfte.
Den Kopf voller Pläne
Wie kommt ein Landwirtssohn aus Sundern zu einem Buchprojekt mit tollen Künstlern? Matthias Berghoff hat für Gucci und Joop in Hamburg Modeschauen organisiert, bis seine Eltern seine Unterstützung in Sundern brauchten. Also kehrte der Betriebswirt und PR-Fachmann ins Sauerland zurück, den Kopf voller Ideen.
Wann haben Sie Sundern erstmals besucht?
Das war nach einem Konzert in Wuppertal. Wir sind ins Haus Berghoff gefahren, um das Buchprojekt zu feiern. Dabei habe ich den Pferdestall besichtigt und gesagt: Hier könnte man auch gut Musik spielen. Im ersten Jahr haben wir nur ein Klavierrecital gemacht, das gab unfassbar tollen Zuspruch, schon ein Jahr später, 2014, gab es eine Auszeichnung vom Bundespräsidenten dafür.
Besonderes Konzept
Was ist das besondere Konzept des Festivals?
Wir stellen uns die Frage: Wie schaffen wir es, Künstler verschiedener Disziplinen zusammenzubringen? Iris Berben, August Diehl, das Amaryllis-Quartett, Max Giesinger, Nina Hoss, Sabin Tambrea, Nico Santos, Benedict Wells waren alle schon bei uns. In diesem Jahr kommen die Sängerin Zoe Wees, der Schauspieler und Autor Christian Berkel und der großartige Bratscher Adrien La Marca aus Paris, mit dem ich zusammen Brahms und Rachmaninoff spiele. Adrien tritt übrigens in diesem Jahr auch beim Klavierfestival Ruhr auf, am 4. Juli in Düsseldorf, aber bei uns im Sauerland kann man ihn als Erster hören. Er ist ein phänomenaler Musiker.
Flügel im Pferdestall
Bei Kultur rockt verwandelt sich der Pferdestall von Haus Berghoff in eine Kultur-Spielstätte. Die Pferde kommen auf die Weide, der Stall wird gereinigt, bestuhlt, die Bühne wird aufgebaut, Scheinwerfer installiert, dann wird der Flügel gebracht.
Sie haben neben den Konzerten noch ein weiteres Anliegen, die Musikvermittlung. Während Ihrer Aufenthalte in Sundern gehen sie in Schulen, in diesem Jahr in die Walburga-Realschule in Meschede. Warum ist Ihnen das wichtig?
Ich gehe vorzugsweise in Schulen mit Problemhintergrund, weil das die Eltern sind, die nicht mit ihren Kindern ins Konzert gehen. Die Kinder sind oft ganz verwundert, dass ich kein alter Mann mit Rauschebart bin, sondern jung und in Jeans und Turnschuhen komme. Mir ist es wichtig, das Klischee aufzubrechen, Klassik wäre nichts für junge Leute und wenn man den Kindern und Jugendlichen auf Augenhöhe begegnet, schafft man direkt eine gewisse Zugehörigkeit und Verbundenheit. Bei diesen Schulbesuchen erlebe ich phantastische Sachen, so großartige Rückmeldungen, und ich erlebe auch, wieviel unentdecktes Potential in diesen Kindern schlummert.