Balve. Wie kommt der Kleine Onkel in die Balver Höhle? Und was macht der Polizist auf dem Dach? So geht Pippi Langstrumpf in der Balver Höhle.

Das geht ja gut los. Die erste Überraschung gibt es sofort nach Spielbeginn. Molly kommt in die Balver Höhle. Die Schimmelstute aus Wocklum sorgt mit ihrem kurzen Auftritt als „Kleiner Onkel“ dafür, dass Pippi Langstrumpf tatsächlich mit Pferd und Äffchen in die Villa Kunterbunt einziehen kann. Am Samstag startet die Premiere des Stücks nach dem Kinderbuchklassiker von Astrid Lindgren in der größten Kulturhöhle Europas. 50 Akteure im Alter von sieben bis über 70 Jahren verwandeln das Naturdenkmal in eine bunte schwedische Kleinstadt mit fröhlichen und mitunter seltsamen Bewohnern. Und: Pippis Pferd wird nicht die einzige Überraschung bleiben.

Neugierige Klatschtante

Die junge Regisseurin Marie Neuhaus-Schwermann legt viel Wert auf liebevoll gearbeitete farbige Milieuschilderungen. Die Holzhäuschen mit den adretten weißen Gardinen kontrastieren stark zur Villa Kunterbunt mit ihren schiefen Fensterläden. Der Leuchtturm am Hafen blinkt in der Nacht, wenn Pippi zum Wunschstern betet. Die Jahrmarktleute mit ihren Glitzerkostümen setzen sich größtmöglich von den in karierte Uniformen gesteckten Schulkindern und ordentlichen Bürgern ab, allen voran Jeannette Borthwick-Schwalke als neugierige Klatschtante Frau Prysselius. Die steckt ihre Nase überall hinein, will dafür sorgen, dass Pippi ins Kinderheim kommt und legt ihre Rolle mit dem durchsetzungsfähigen Akzent sauerländischer Nachbarschaftsköniginnen an. Oh ja, es ist eine heile, eine enge Welt, die unverhofft dieses Mädchen Pippi durcheinanderwirbelt, weil sie die Regeln nicht kennt.

Viele Überraschungen

Das Publikum muss aufpassen, damit es nichts übersieht: „Ich versuche immer, einige komödiantische Elemente in die Inszenierung zu bringen, ich liebe das Bunte, das Lachen“, verrät Regisseurin Marie Neuhaus-Schwermann. So darf man sich nicht wundern, wenn am Hafenkai zwei Nixen auftauchen und ein Primaballerinerich sich zu den Jahrmarktsleuten gesellt.

Die Bühnenfassung des Kindertheaterverlages kommt ohne die Wörter aus, die zu Astrid Lindgrens Lebzeiten gebräuchlich waren und heute nicht mehr üblich sind. Wichtiger als diese Diskussion ist Marie Neuhaus-Schwermann der emanzipatorische Aspekt in „Pippi“. Ein Mädchen probiert ein selbstbestimmtes Leben aus, ohne die große Sehnsucht nach einer Familie zu verraten. „Pippi Langstrumpf“ wurde in Schweden 1945 als Buch veröffentlicht, 1949 in Deutschland. Damals hießen die Lehrerinnen noch Fräulein und das Frauen- und Mädchenbild war fixiert auf Rollenmodelle wie Unterwürfigkeit und Bravheit.

Perfektes Familienstück

„Es ist ein perfektes Familienstück“, ist Marie Neuhaus-Schwermann überzeugt, „weil wir als Erwachsene in jeder Aufführung noch mal unser inneres Kind erleben dürfen, die Herzensgüte, die Unbefangenheit, die rosarote Brille. Ich finde es schön, dass ,Pippi’ ein Stück ist, das ohne große Effekte auskommt. Die Geschichte ist so bodenständig. Es geht um eine ganz normale Dorfgemeinschaft, wo Pippi voller Freude und Herzenswärme zeigt, wie man auch sein kann.“

Die Pippi hat in Balve die meiste Arbeit. Sie muss springen, tanzen, klettern, dazu richtig viel singen und enorme Mengen Text lernen. Kathlynn Kruse macht das gut, sie ist lebendig, übersprühend, frech, aber auch nachdenklich und einsam, wenn sie sich nach ihrem Papa sehnt. Gerade diese Mischung aus stark und verletzlich bringt Kathlynn Kruse wunderbar rüber.

50 Mitwirkende

Mit 50 Mitwirkenden hat das Ensemble den Corona-Schock überwunden. „Es sind viele neue kleine Gesichter dazugekommen. Alle spielen mit. Bei uns wird keiner aussortiert, wer mitmachen möchte, ist willkommen“, freut sich die Regisseurin. Choreographin Lina Schulte sorgt dafür, dass große und kleine Füße bei den Ensembleszenen genau wissen, wo sie hingehören, dabei treffen sich klassisches Ballett und Modern Dance. Thomas Riedel ist der musikalische Leiter, er hat mit Pippi ihre Lieder geprobt und den Chor einstudiert.

Die Balver Höhle ist als Spielstätte und Kulisse überwältigend. Die Vorfreude auf das Publikum, besonders auf die Kinder in den Schulvorstellungen, wächst mit dem Lampenfieber. Aber der Verein produziert daneben einen Mehrwert, der nicht zu unterschätzen ist. Marie Neuhaus-Schwermann: „Im Ensemble lernt man Gemeinschaft und Zusammenhalt. Wir sind offen für alle.“ Am Schluss gibt es zur Belohnung ganz große Theatermagie. Nur ein Stichwort soll verraten werden. Das heißt: Hoppetosse.

„Pippi Langstrumpf“ läuft bis zum 10. Juni in der Balver Höhle. www.festspiele-balver-hoehle.de