Hagen. Der Superstreik hat den Bahnverkehr zum Erliegen gebracht. In Hagen steht Krankenpfleger Martin nach dem Nachtdienst vor einem großen Problem.
Martin ist Krankenpfleger. Die Nachtschicht hat er hinter sich: 19.30 Uhr bis 7.30 Uhr. Zwölf Stunden. Nun steht er in der Kälte des Montagmorgens vor dem Hagener Hauptbahnhof – und muss nach Köln. Im Bahnhofsgebäude auf dem blauen Display steht es angeschlagen: „EVG-Streik - Zugverkehr der Deutschen Bahn eingestellt“. Der „Super-Streik“ der Gewerkschaften Verdi und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) legt am Montagmorgen den öffentlichen Nah- und Fernverkehrlahm – und wird für manchen zur Geduldsprobe.
Nach der Nachtschicht: Drei Stunden bis nach Köln – wenn es gut läuft
„Ich wusste natürlich, dass gestreikt wird, aber ich habe keine andere Wahl“, sagt Martin und schaut wieder auf sein Handy, in dem er nach der Lösung sucht. Normalerweise steigt er in den Zug und ist eine Stunde später in Köln. Nun wird ihm der Schienenersatzverkehr angeboten: mit dem Bus von Hagen nach Wuppertal, von dort weiter nach Köln.
Zwei Stunden und 36 Minuten soll das dauern, wenn alles ab jetzt perfekt läuft. Um 8.45 Uhr soll der Bus an Bahnsteig 4 vor dem Hauptbahnhof abfahren. Um kurz vor 9 Uhr steht Jan noch immer dort und atmet kleine Kältewölkchen in die Luft und läuft zwischen den Haltestellen hin und her, um den einen Bus, der ihn der Heimat näher bringt, nicht zu verpassen.
Mangel an verlässlichen und konkreten Informationen
Auf der einen Seite habe er Verständnis für den Streik, „auf der anderen Seite wird es so für alle anderen Arbeitnehmen doppelt anstrengend“, sagt er: „Das ist schon hart.“ Das Servicecenter der Bahn habe geschlossen, verlässliche und konkrete Informationen findet er auch über die App nicht, sagt er. Aber den Mut verliert er noch nicht. „Wird schon werden.“ Er lächelt.
Der Bahnhof ist menschenleer, offenbar haben sich alle Bahnfahrer auf den Streik rechtzeitig eingestellt. Im Nahverkehr in Hagen sind zumindest die Nachtbusse unterwegs – in der gleichen, geringeren Taktung wie nachts. Der Nachtexpress 4 hat gerade Bernd Starschzik in seiner Maler-Montur ausgespuckt. Er muss zur Arbeit, von Oberhagen nach Eckesey. Normalerweise: 30 Minuten mit Umsteigen am Bahnhof. Jetzt ist er schon doppelt so lang unterwegs und noch längst nicht da. „Miserabel“, sagt er. Der Chef weiß Bescheid, dass er später kommt.
Nach Holzwickede hätte Jan Günther gemusst: Er ist Grundschullehrer. Um 5 Uhr ist er aufgestanden und hat als erstes einen Blick in den digitalen Fahrplan geworfen. Und tatsächlich, sagt er: Der RE13 um 7.58 Uhr sollte fahren. Als er dann um 7.58 Uhr am Bahnsteig steht, kriegt er die Information, dass die Fahrt ebenfalls ausfällt. „Ich fahre wieder nach Hause“, sagt er.
Unfallchirurg setzt auf den Bus – und lässt sich ein Taxi kommen
Die Kollegen wohnten alle näher an der Schule und könnten ihn nicht mitnehmen, das Taxi koste für eine Strecke 60 bis 70 Euro. Daher sei sein Fehlen als mögliches Szenario schon im Vertretungsplan einkalkuliert gewesen. Die Arbeitszeit sei aber nicht verloren. „Ich arbeite jetzt an den Lehrplänen“, sagt er und meint mit Blick auf den Streik: „Ich hoffe, dass der Streik etwas bringt, damit wir um weitere Ereignisse wie diese hier in Zukunft herumkommen.“
Anderer Ort, gleiches Bild: Am Bahnhof Neheim-Süd im Sauerland ist im Morgengrauen anders als sonst weit und breit kein Mensch zu sehen. Ein paar Straßen weiter in der Innenstadt steht am Busbahnhof von Neheim der Unfallchirurg Matthias Gottwald, der von Neheim nach Arnsberg pendelt. „Normalerweise würde ich mit dem Zug nach Arnsberg fahren“, sagt er. Für den Streiktag habe er sich entschlossen, auf den Bus umzusteigen: „In der App stand, dass Busse fahren, aber hier scheinen gerade auch keine zu kommen. Jetzt werde ich mir ein Taxi holen. Kostet 50 Euro.“
Null Grad: Für das Fahrrad ist es zu kalt
An der benachbarten Bushaltestelle stehen einige Schüler und warten. Unter ihnen ist Timo Wähisch, 18 Jahre alt, der ein Praktikum beim Technischen Hilfsdienst in Niedereimerbach macht. „Ich komme bis jetzt ganz gut durch, aber ich denke, jetzt geht es nicht weiter. Mein Bus hätte vor drei Minuten hier sein müssen.“ Angst, dass er wegen der Verspätung Probleme mit seinem Arbeitgeber bekommt, hat er nicht: „Ich habe Gleitzeit, das ist kein Problem.“
Armin Padberg wartet mit einigen anderen Pendlern an einer der Haltestellen des Busbahnhofs. „Der Bus wird mir nicht als Ausfall angezeigt“, sagt er. „Ich wäre auch mit dem Fahrrad gefahren, aber bei null Grad war mir das zu kalt.“ Wenige Sekunden später passiert es tatsächlich, der Bus fährt ein. Armin Padberg steigt mit den anderen glücklichen Pendlern ein. Als der Bus losfährt, bleibt der Neheimer Busbahnhof verwaist zurück.
Gymnasium Winterberg: 100 von 676 Schülern fehlen
„Was wir nicht haben, kann uns nicht fehlen“, brummt ein Mann in Hallenberg lakonisch auf die Frage, ob er vom Super-Warnstreik im öffentlichen Verkehr betroffen sei. In den sehr ländlichen Regionen des Hochsauerlandes läuft das Leben am Streik-Montag relativ unberührt weiter.
In Hallenberg liegen die nächstliegenden Bahnhöfe mindestens 15 bis 20 Kilometer entfernt, Busse verkehren meistens im Ein- bis Zweistundentakt, auf den Dörfern deutlich seltener oder gar nicht. Bis auf die Schüler, die zu ihren Schulen pendeln, spielt der ÖPNV für die meisten Sauerländer aus kleinen Orten kaum eine Rolle.
Was an solchen Streiktagen ausnahmsweise mal Vorteile hat: Im Arbeitsleben ist an diesem Montag kaum jemand betroffen, auch auf den weiterführenden Schulen herrscht weitestgehend regulärer Alltag. „Am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Winterberg fehlen heute rund 100 von 676 Schülerinnen und Schülern, allerdings sind hiervon einige krank“, berichtet Schulleiter Ulrich Cappel. Nur wenige Eltern hätten als Abmeldegrund „Streik“ eingegeben.
Die Schulbusse aus einigen Dörfern seien entweder nicht oder nicht pünktlich gefahren, andere hingegen verkehrten nach Plan. Die Eltern wurden am Freitag bereits informiert, so dass sie sich auf die Streiklage einstellen und bei Bedarf Fahrgemeinschaften bilden konnten. Schüler, die keine Verbindung bekamen, konnten die Unterrichtsinhalte digital abrufen.