Hagen. Wie gelingt der Weg aus der Lehrkräftemangel-Misere? Im Raum stehen Maßnahmen wie die Beschränkung der Teilzeit. Zwei Lehrerinnen üben Kritik.

Weniger Teilzeit-Möglichkeiten für Lehrerinnen und Lehrer, mehr Unterrichtsstunden, größere Klassen. Maßnahmen wie diese werden aktuell diskutiert, um den Mangel an Lehrkräften zu bekämpfen. Doch wie kommt das bei denen an, die Tag für Tag in den Klassenzimmern stehen? So wie Anne Höfer, erfahrene Grundschullehrerin aus dem Siegerland, die in Teilzeit arbeitet und die die Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz ablehnt: „Ich gebe jetzt schon mein Bestes, mehr kann ich nicht“, sagt die 57-Jährige. Die Empfehlungen der Wissenschaftler im Praxis-Check:

Beschränkung der Teilzeit

Das größte Potenzial sieht die Kommission in einer Begrenzung der Teilzeit. Immerhin arbeiten laut Statistischem Bundesamt in NRW etwa 41 Prozent der Lehrkräfte in Teilzeit. Eine Reduzierung soll nach der Empfehlung nur unter bestimmten Bedingungen möglich sein, etwa wenn kleine Kinder betreut oder Angehörige gepflegt werden müssen. Anne Höfer (57) arbeitet an der Friedrich- von-Bodelschwingh-Schule, einer Grundschule in Kreuztal-Buschhütten bei Siegen. Sie habe weder Kinder zu betreuen noch Angehörige zu pflegen. Dass sie aus diesem Grund aus der Gruppe derer fallen soll, die weiterhin in Teilzeit arbeiten können, kann Anne Höfer nicht nachvollziehen: „Wenn ich Teilzeit mache, dann entscheide ich mich bewusst dafür, ich verzichte auf Gehalt. Das macht man ja nicht, weil man sagt, ich habe gerade mal keine Zeit oder keine Lust.“

Die 57-Jährige Lehrerin arbeitet in Teilzeit, unterrichtet 24 statt 28 Schulstunden pro Woche. Dazu kommen aber noch Vor- und Nachbereitung, Gespräche mit Eltern, Ärzten und Therapeuten, Pausenaufsicht, Streitschlichtung. Das alles, zählt Anne Höfer auf, gehöre zum Alltag einer Grundschullehrerin – alles zusätzlich zu den Schulstunden. Und dennoch brennt sie für ihren Beruf: „Ich mache es immer noch total gerne, es ist mein Traumjob“, sagt Höfer mit hörbarer Begeisterung in ihrer Stimme.

Ein anderes Beispiel ist Kerstin B., die ebenfalls in Teilzeit arbeitet: Als dreifache Mutter von 8, 10 und 15 Jahre alten Kindern hat sie, die eigentlich anders heißt, ein genaues Auge darauf, ob sie gemäß den Vorschlägen aus der Teilzeit herausfallen würde. „Für mich persönlich ist eine Aufstockung der Wochenstunden aus familiärer und beruflicher Sicht derzeit unvorstellbar“, sagt die Lehrerin, die an einer Grundschule im Kreis Olpe unterrichtet. In der Zeit, in der sie Vollzeit gearbeitet habe, habe sie für ihre Kinder weniger Zeit gehabt: „Ich war zu dieser Zeit sehr gestresst, gereizt und überfordert, was letztendlich meine eigenen Kinder zu spüren bekommen haben.“ In dieser Phase nahm sie an der so genannten Copsoq-Umfrage teil, einer vom Land initiierten Online-Befragung zur psychosozialen Belastung der Lehrkräfte. „Sie hat bei mir ergeben, dass ich kurz vor dem Burnout gestanden habe.“ In der Folge zog sie die Notbremse und reduzierte die Wochenstunden. „Die hohen Bezüge waren es letztendlich nicht wert, auf die Zeit mit meiner Familie zu verzichten und keine Kraft mehr zu haben, diese genießen zu können.“

Mehr Unterrichtsstunden pro Woche

Ein weiterer Vorschlag der Wissenschaftlichen Kommission ist die zeitlich befristete Erhöhung der Stundenzahl. An Grundschulen wären dies 30 statt 28 Stunden pro Woche. Auch das sieht Anne Höfer kritisch, denn nach drei Jahren Pandemie sei der Bedarf an individueller Förderung bei den heutigen Grundschülern noch höher als ohnehin schon. „Lehrer sollen ja Steigbügelhalter sein für die Kinder, dass sie sich entwickeln und das nicht gehetzt, dass sie Zeit haben für das einzelne Kind.“

Klassen vergrößern

Darüber hinaus empfehlen die Wissenschaftler der Kultusministerkonferenz, die maximal mögliche Größe der Klassen auszuschöpfen. Das stelle eine große Belastung dar, sagt Kerstin B., die Dreifach-Mutter aus dem Kreis Olpe: „Die Klassen sind bereits sehr groß und man findet immer weniger Gelegenheiten, besondere Kinder zu beobachten und zu fördern.“ Anne Höfer weist darauf hin, dass der Raum als „dritter Pädagoge“ wichtig ist. „Das ist ja manchmal wie eine Lernfabrik. Die Räume sind zu eng, zu klein. Ich brauche Platz für den Unterricht.“ Wenn die Klassen dann auch noch auf 30 Kinder wachsen würden, so Anne Höfer, könne sie die modernen, individualisierten Unterrichtsformen, die der Lehrplan vorschreibe, nicht umsetzen. „Wenn ich das leisten will, brauche ich Platz und Leute für 30 Kinder.“

Entlastende Maßnahmen für Lehrkräfte

Eine verstärkte Betreuung der Kinder von Lehrkräften, sagt Kerstin B., könne ebenfalls nicht die Lösung sein: „Dafür habe ich mich nicht für meine Kinder entschieden. Längere Betreuung bedeutet doch nur, dass die alltäglichen Aufgaben und Pflichten weiter nach hinten verschoben werden und die beruflichen Aufgaben zunehmen.“ Die Unterstützung durch Studierende – ein weiterer Vorschlag der wissenschaftlichen Kommission – habe sie als Gewinn empfunden, beide Seiten könnten davon profitieren.

Doch Anne Höfer mahnt: Um mehr Menschen für den Lehrerberuf zu gewinnen, müsse man fragen, was ihn so unattraktiv mache, warum es so wenige Studienplätze gebe. Um dem Problem zu begegnen, müsse der hohen Belastung der Lehrkräfte Rechnung getragen werden: „Das System ist ausgehungert“, betont die Pädagogin. Schule, sagt die Lehrerin aus dem Siegerland, müsse heute viel mehr als nur Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen. „Es geht um eine umfassende Bildung und Erziehung. Diese Aufgabe ist so viel mehr. Das ist eine der wichtigstem Aufgaben in der Gesellschaft. Und das schafft man nicht mit Menschen, die sich am Rand ihrer Kräfte bewegen.“