Bad Berleburg. Wer kümmert sich um die wilden Wisente im Rothaargebirge? Zumindest die Frage der Winterfütterung ist geklärt: die Wisentranger wurden beauftragt.
Die wilden Wisente im Rothaargebirge erhalten bei der im Winter schwierigen Nahrungssuche menschliche Unterstützung: Nach Informationen dieser Zeitung wurden jetzt die beim Wisentverein, dem Trägerverein des Wisent-Projekts, angestellten Ranger mit der Fütterung der Kolosse beauftragt. Damit scheint zumindest ein Streitpunkt beim seit Wochen schwelenden Konflikt zwischen dem Wisentverein und dem Kreis Siegen-Wittgenstein beigelegt.
Auftraggeber der Fütterungen ist der Förderverein der Wisent Welt Wittgenstein. Wie eine Sprecherin der Arnsberger Bezirksregierung dieser Zeitung bestätigte, sei zur Finanzierung der Nahrung am Mittag des 23. Dezember ein Förderantrag bei der Behörde eingegangen, der noch am selben Tag positiv beschieden worden sei. Laut Arno Wied, Umweltdezernent beim Kreis Siegen-Wittgenstein, ist damit die Fütterung der freilebenden Wisentherde „bis zum 31. März“ gesichert.
Der Streit um die mittlerweile auf 30 Tiere angewachsene Herde war im September eskaliert, als der Wisentverein mit Bad Berleburgs Bürgermeister Bernd Fuhrmann an der Spitze den öffentlich-rechtlichen Vertrag für das Artenschutzprojekt gekündigt hatte. Mit dem Schritt hatte der Träger die Wisente für herrenlos erklärt und seine Tierhaltereigenschaft – unter anderem auch die Verantwortung für eine Winterfütterung – ad acta gelegt.
Schicksal der Wisente bewegt
Das Schicksal der Wisentherde, die vorwiegend entlang dem Rothaarsteig zwischen Bad Berleburg und Schmallenberg lebt, interessiert und bewegt die Menschen weit über die Region hinaus. Schon seit ihrer Auswilderung 2013 wird über sie gestritten.
Auf der einen Seite des Rothaargebirges, im Kreis Siegen-Wittgenstein, ist die Sympathie in weiten Teilen der Bevölkerung und auch der politischen Gremien groß. Auf der anderen Seite, im Hochsauerlandkreis, gibt es große Vorbehalte. Insbesondere bei Waldbauern, die Schäden in ihren Beständen erlitten haben.
Sie gingen juristisch gegen das Wisentprojekt bis zum Bundesgerichtshof vor. Letztlich bekamen sie recht: Sie müssten die Schäden nicht dulden, befanden die Richter, der Wisentverein müsse dafür sorgen, dass die Tiere fernbleiben.
Streit um das weitere Vorgehen
Wie das erreicht werden kann und wer sie bezahlen würde – zu diesen Fragen gab es wiederholt Streit aufseiten der Initiatoren des Projekts. Der Wisentverein hatte sich bislang um das Herdenmanagement gekümmert, sprich: auch um die Fütterung.
Die öffentliche Hand ist durch einen Vertrag mit im Boot, den der Kreis Siegen-Wittgenstein, die Arnsberger Bezirksregierung und der Landesbetrieb Wald und Holz NRW mit dem Verein geschlossen haben. Doch im Streit um das weitere Vorgehen hatte der Wisentverein Ende September eben jenen Vertrag gekündigt.
Durfte der Verein den öffentlich-rechtlichen Vertrag kündigen?
Der Kreis Siegen-Wittgenstein steht auf dem Standpunkt, dass der Wisentverein den Vertrag gar nicht hätte kündigen dürfen – und er damit weiter für die Tiere verantwortlich sei. Der Verein sieht das anders.
Zum Wanderungsverhalten der wilden Wisente lägen aktuell nur im eingeschränkten Umfang Erkenntnisse vor, sagte Sprecher Torsten Manges unserer Zeitung: „Danach kann aber mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Tiere sich zuletzt überwiegend im Gebiet des Kreises Siegen-Wittgenstein aufgehalten und mehr und mehr in Richtung des ehemaligen Auswilderungsgeheges bewegt haben, wo in den Winterperioden der letzten Jahre die Fütterung stattgefunden hat. Das macht auch deutlich, dass das ansonsten zur Verfügung stehende Nahrungsangebot zunehmend schlechter wird“.
Lösung im Wisent-Streit gesucht
Mit ihrer harten Haltung stößt die Kreisverwaltung mit Landrat Andreas Müller (SPD) an der Spitze auch in ihren eigenen politischen Gremien auf Kritik. Der Kreistag Siegen-Wittgenstein hat vor wenigen Tagen beschlossen, dass im neuen Jahr an einem Runden Tisch noch einmal für eine Lösung im Wisent-Streit gesorgt werden soll.
Und die Politik hatte auch einen Beschluss gefasst, dass der Kreis einen anderen, quasi verwandten Verein bitten soll, sich um die Wisente zu kümmern: den Förderverein der Wisent Welt, der sich eigentlich rein ehrenamtlich um eine gute Ausstattung des Wisent-Schaugeheges in Bad Berleburg-Wingeshausen kümmert, in dem eine weitere, umzäunte Wisentherde lebt.
Vereinsvorsitzender: Vernunft hat gesiegt
Wisentvereins-Vorsitzender Bernd Fuhrmann sagte dieser Zeitung, dass dank des Förderbescheids aus Arnsberg mit der „von der Wisent Welt Wittgenstein immer wieder angebotenen Ablenkungsfütterung“ der Tiere begonnen werden konnte: „Hier hat doch noch die Vernunft gewonnen.“
Allerdings: „Parallel zum Beginn der Fütterung“, so Fuhrmann weiter, habe der Landrat des Kreises Siegen-Wittgenstein dem Trägerverein eine Ordnungsverfügung mit Androhung einer Ersatzvornahme (Anordnung der Fütterung) übermittelt. Fuhrmann: „Damit nicht genug: Am späten Heiligabend wurde eine weitere Verfügung mit der Anordnung der Ersatzvornahme zugestellt.“ Beide seien erst nach Weihnachten im Briefkasten gefunden worden.
Wisentverein reicht Klage ein
Der Verein habe umgehend mit Hilfe von Eilanträgen gegen beide Verfügungen Klage eingereicht. Das Vorgehen des Kreises, so Fuhrmann, finde „der ehrenamtliche Vorstand des Trägervereins in der Sache und in den zeitlichen Abläufen enttäuschend und befremdlich“.
Die Kreisverwaltung bleibt weiter skeptisch, ob es noch zu einer Einigung im Streit um den vom Wisentverein einseitig gekündigten Vertrag für das Artenschutzprojekt kommt. Aus ihrer Sicht hätten sich noch keine neuen entscheidenden Entwicklungen zur Lösung des Konflikts ergeben, so Sprecher Manges, aber immerhin: „Es besteht die Hoffnung, dass dies mit der Einberufung des Runden Tisches, an dem ja auch die maßgeblichen Ministerien des Landes und alle Vertragsparteien des öffentlich-rechtlichen Vertrags von 2013 beteiligt werden sollen, gelingt.“
Moderator für den „Runden Tisch“ gesucht
Allerdings müsse noch der konkrete Teilnehmerkreis geklärt werden. Und vor allem: wer als sachkundige, unabhängige Persönlichkeit die Moderation übernehmen könne.
Dem Land, speziell dem von den Grünen geführten Umweltministerium und dem von der CDU geführten Landwirtschaftsministerium, hat die Kreisverwaltung die Erwartungshaltung der politischen Mehrheit im Kreistag übermittelt, dass das Land „die inhaltlichen, rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen“ für eine dauerhafte Fortführung des Wisentprojekts schaffen solle. Im Klartext: Im Zweifel soll das Land das Projekt komplett übernehmen.
Ministerium bleibt zurückhaltend
Ob das Land auf die Forderung eingehen wird? Fraglich. Das federführende Umweltministerium von Minister Oliver Krischer (Grüne) hält sich seit der Eskalation des Konflikts noch mehr zurück. Auf Anfrage betont ein Sprecher, dass es sich bei den Wisenten „um ein von einem privaten Verein initiiertes und getragenes Projekt“ handele.
Die Haltung des Kreises, dass die Tiere nicht einfach für herrenlos erklärt werden konnten, macht sich das Ministerium zu eigen. „Zusammen mit dem Kreis und den anderen Akteuren werden wir die bisher vertrauensvolle Zusammenarbeit fortsetzen, um die offenen rechtlichen, finanziellen und naturschutzfachlichen Fragen zu klären, die durch die einseitige Handlung des privaten Trägervereins entstanden sind“, so ein Ministeriumssprecher.
Gleichwohl geht die Hoffnung der Wisent-Befürworter offensichtlich auf, dass die den Grünen nahestehenden Umweltverbände den Druck auf den grünen Umweltmister erhöhen. Zuletzt hatten Nabu, BUND und WWF gemeinsam die Fortführung des Wisentprojekts in einem Brief an die zuständigen Ministerien gefordert.