Paderborn. Musiker, Lehrer, Seelsorger: Was nur wenige über den emeritierten Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker wissen.
Viele Bischöfe suchen das Scheinwerferlicht. Sogar pensionierte ehemalige Würdenträger fallen häufig mit polarisierenden Aussagen zu den großen katholischen Themen auf. Beides, sich in die Medien drängen und polarisieren, ist überhaupt nicht die Sache des emeritierten Paderborner Erzbischofs Hans-Josef Becker, der am Sonntag mit einem feierlichen Pontifikalamt im Paderborner Dom aus dem Amt verabschiedet wurde.
Journalisten haben daher oft über Becker geurteilt, er sei eine blasse Figur im schillernden Kreis der Bischofskollegen. Das ist eine Fehleinschätzung. Alt-Erzbischof Becker hat versucht, Brücken zu bauen, statt zu zerstören. Er ist der erste hohe Kirchenmann seit langem, der Macht freiwillig abgibt, der sich nicht an sein Amt klammert. Das liegt nicht nur an seiner schweren Erkrankung, sondern vor allem an der Erkenntnis, dass die zukünftige Leitung einer Diözese Herausforderungen beinhaltet, die von der nicht-digitalen älteren Generation, zu der Becker, Jahrgang 1948, gehört, nicht mehr gemeistert werden können.
Unterstützung für Reformen
Das Erzbistum Paderborn ist die reichste Diözese Deutschlands. Die Stimme aus Paderborn hat Gewicht, in Rom, bei der Bischofskonferenz, bei den Kollegen. Ohne die konsequente Paderborner Unterstützung wäre der Reformdialog des Synodalen Weges vermutlich längst gescheitert. Viele verwundert es, dass sich ausgerechnet die Paderborner so kompromisslos hinter den Synodalen Weg stellen, dass sie eine queersensible Pastoral begründet haben, dass sie Laien an der Wahl des neuen Bischofs beteiligen, dass sie zu den ersten Bistümern gehörten, die eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechtes ankündigten, wonach schwule und lesbische Hauptamtliche keine Repressalien mehr zu fürchten haben sollen.
Gleichzeitig kennen die Paderborner Katholiken aber ihre Diözese auch anders, nämlich erzkonservativ. Es gibt Berichte von Machtmissbrauch, von Küstern und Gemeindereferenten, die wegen ihrer sexuellen Orientierung schikaniert wurden, lange hat das Generalvikariat seine schützende Hand über die ultrakonservative Priestervereinigung Communio veritatis gehalten, obwohl Mitglieder der Gruppe öffentlich verschwörungstheoretische und antisemitische Äußerungen tätigten. Es gibt eben sehr verschiedene Farben von Katholisch im Erzbistum Paderborn. Hans-Josef Becker war es wichtig, dafür zu sorgen, dass es nicht zu einer Spaltung kommt.
Frage nach dem Umgang mit Missbrauch
Doch die katholische Welt ist auch im Erzbistum Paderborn längst nicht mehr in Ordnung. Wie ein weißer Elefant schwebt die Missbrauchsfrage im Paderborner Raum und auch über der Person des emeritierten Erzbischofs. Hans-Josef Becker war seit 1995 als Leiter der Zentralabteilung Pastorales Personal Personalverantwortlicher im Erzbistum. Eine Studie untersucht derzeit unter anderem, inwieweit er persönlich verantwortlich dafür war, dass Täter weitermachen konnten. Nach Medienberichteten soll er im Fall des 2002 wegen Kindesmissbrauchs zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilten Priesters B. schon 1999 Kenntnis von strafbaren Handlungen gehabt und diese nicht angezeigt haben. Diese Anschuldigung weist das Erzbistum zurück. Angesichts der vergleichbaren Studien in anderen Bistümern steht zu erwarten, dass auch Erzbischof em. Becker Fehlverhalten zugeschrieben wird. Die Paderborner Studie sollte längst veröffentlich sein. Vielleicht wartet man mit der Publikation bewusst bis zur Wahl des neuen Erzbischofs.
Hans-Josef Becker, geboren am 8. Juni 1948, wuchs in Warstein in einer Eisenbahnerfamilie auf. Er ist ausgebildeter Lehrer mit 2. Staatsexamen und hat u.a. Schulmusik studiert. Eines seiner seltenen Interviews gab er im Jahr 2020 unserer Redaktion zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven. „Ohne die Musik wäre ich wahrscheinlich nicht zur Theologie gekommen. Musik hat eine immense Bedeutung für mich, auch in der Verbindung zu Gott. Der Komponist Ludwig van Beethoven spielt dabei eine große Rolle. Beethoven eröffnete mir 1962, ich war damals 14 Jahre alt, eine sagenhafte Musikwelt, die mich bis heute beschäftigt und fasziniert, und zwar in allen Gattungen! Ein unergründlicher Reichtum!“, sagte er darin.
Durch Anton Bruckner zur Theologie
Becker spielt die Bratsche, und sein erstes Instrument durfte er im Geigenbauatelier von Otto Laue in Arnsberg kaufen, das sich heute eines ebenso guten Rufs erfreut wie damals. „Die Missa solemnis op. 123 hat mein Leben besonders beeinflusst. Vier Jahre lang hat Beethoven an diesem Spätwerk gearbeitet. Er hat dafür intensive Forschungen auf den Gebieten der Theologie, Liturgik und der Geschichte der Kirchenmusik von der Entstehungszeit des Gregorianischen Gesangs über Palestrina bis Bach und Händel betrieben. Man kann sagen, dass die Missa solemnis zu einer Suche Beethovens nach seinem Gottverständnis wurde“, sagte Becker in diesem außergewöhnlichen Interview. „Interessanterweise war es aber nicht die Musik Beethovens, die mich dazu angeregt hat, Priester zu werden, sondern die Beschäftigung mit der Musik Anton Bruckners und den Schriften Martin Bubers.“
Man lernt Bescheidenheit
Aus der Musik heraus findet Erzbischof em. Becker auch die Worte für das, was ihn als Lehrer, Seelsorger und hohen Kirchenbeamten stets angetrieben hat, die „Utopie einer harmonischen Gesellschaft“: „Die zunehmende Spaltung unserer Gesellschaft besorgt mich als Erzbischof sehr. Ich verwahre mich auch dagegen, dass ausgerechnet Fremdenfeinde das christliche Abendland beschwören, was der Kernbotschaft von der Liebe Gottes zu allen Menschen widerspricht. Es fehlt in vielen Punkten die Bereitschaft zur Versöhnung. Beethovens Werke bringen jedoch die Utopie einer harmonischen Gesellschaft zum Klingen. Er konnte die Musik „überm Sternenzelt“ hören. Seine Musik führt bei entsprechender persönlicher Offenheit in die Tiefe oder auch in die Weite! Sie führt uns über das Alltägliche hinaus.“
Weiter sagte Hans-Josef Becker, und diese Worte beschreiben nicht nur den Musiker Becker, sondern auch den Erzbischof: „Als Bratscher lernt man Bescheidenheit. Bratscher sieht man nicht, aber wenn sie nicht da sind, dann fehlt etwas.“