Hagen. Gehören Kleider ins Kunstmuseum? Das Emil-Schumacher-Museum Hagen zeigt jetzt Mode von Hanns Friedrichs.

Jedes figurative Gemälde zeigt Mode. Ob mittelalterliches Marienbild oder romantische Allegorie: Wenn ein Gemälde kein Akt ist, haben die Protagonisten etwas an, und diese Stücke können dem Betrachter viel über die Sozial- und Kulturgeschichte der Epoche verraten. Doch was ist mit den Kleidern selbst. Sind sie Kunst? Oder bleiben sie Handwerk? Ist eine Trennung überhaupt sinnvoll? Das Hagener Emil-Schumacher Museum entdeckt den deutschen Couturier Hanns Friedrichs (1928–2012) neu. Die Ausstellung mit rund 100 Roben ist nicht nur eine Hommage an einen fast vergessenen Kreativen, der aus Hagen stammt und dort eines seiner Ateliers hatte. Sie schlägt auch eine Brücke zu einem erweiterten Kunstbegriff. Und sie reiht sich ein in entsprechende Ausstellungen. In Paris zum Beispiel haben im Frühjahr sechs Museen Mode gezeigt, darunter Häuser wie das Centre Pompidou oder der Louvre, die sonst als Tempel der Bildenden Kunst gefeiert werden.

Zwischen Kunst und Handwerk

„Wenn nicht in Hagen, wo denn dann?“, beantwortet Museumsdirektor Rouven Lotz die Frage, ob Kleider ins Kunstmuseum gehören. „Bereits Henry van de Velde hat in Hagen nicht nur den Hohenhof entworfen, sondern auch Reformkleider für Gertrud Osthaus.“ Hagen als Wiege der Moderne ist unter anderem die Geburtsstätte des Bauhauses und damit der Katalysator dessen, was wir heute als Crossover zwischen Werkstatt und Atelier, Handwerk, Kunsthandwerk und Kunst bezeichnen.

Wie ein Festzug von Hans Makart reihen sich im Oberlichtsaal des Emil-Schumacher-Museums die Abendroben auf einem roten Teppich, der Laufsteg und Bühne zugleich ist für die Träume eines Landes, das aus den Trümmern aufersteht. „Mode war wichtig in der Nachkriegszeit“, konstatiert Rouven Lotz. Es gibt wieder hochwertige Stoffe zu kaufen, und Hanns Friedrichs verwandelt sie so sinnlich und lebensbejahend wie ein Maler seine Farbpalette, dazu kommen, Perlen, Pailletten und Federn, alles einzigartig, aber niemals obendrüber.

Schon 1949 eröffnet Friedrichs ein Modellhaus in Hagen, und bereits ein Jahr später ein weiteres Atelier in Düsseldorf. Bis zu 60 Direk­tricen und Schneiderinnen erschaffen nach seinen Entwürfen singuläre Kleidungsstücke für die Geschäftsfrauen, Unternehmergattinnen und Damen der Gesellschaft zwischen dem Sauerland und dem Rheinland. Diesen Mitarbeiterinnen ist es auch zu verdanken, dass die Ausstellung stattfinden kann und damit das Werk erstmals in einem Katalog fotografisch dokumentiert wird. Denn die früheren Direktricen Petra Bruns und Monika Benscheidt sowie die persönliche Assistentin und Nachlassverwalterin Helga Klein haben die Kundinnen vermittelt, welche die Leihgaben zur Verfügung stellten.

Hanns Friedrichs schuf Tageskleider und Abendroben, Hosenanzüge und Cocktailkleider, und zwar für Kundinnen jeglicher Statur. Das Dogma des bleistiftdünnen Modells gab es für ihn nicht. Rouven Lotz: „Er hat für die Lebenssituation der jeweiligen Kundin die Kleider entworfen.“ So spiegelt sich der Aufstieg der jungen Bundesrepublik in seinen Modellen wider, seine Kleider wirken auf den ersten Blick glamourös, enthalten aber auf den zweiten Blick viele praktische Details, die sie bequem und tragbar machen. So kann die Geschäftsfrau, die das Familienunternehmen selbst führt, während der Mann noch in Kriegsgefangenschaft ist, sich bei Verhandlungen gut angezogen fühlen und danach wieder lange am Schreibtisch sitzen - und in späteren Jahren dann auf Pressebällen repräsentieren. In der Tasche einer Abendrobe befand sich sogar noch eine Eintrittskarte für die Salzburger Festspiele. Dass Friedrichs auch Joan Collins für den Denver-Clan ausstattete, ist eine nette Anekdote am Rande.

Jedes Stück hat Geschichte

Ko-Kuratorin Petra Holtmann hat bei den Interviews mit den Leihgeberinnen erfahren, dass in jedem Stück eine eigene Geschichte steckt, Hoffnungen, Träume, Abenteuer. Friedrichs-Modellkleider wirft man nicht weg, man behält sie ein Leben lang, vererbt sie an Töchter und Enkelinnen. Petra Holtmann: „Die Kundinnen haben die Sachen alle aufbewahrt. Eine Kundin ist 102, die hat gesagt: Bringen sie mir das Kleid bloß wieder.“ Dennoch kommt die Ausstellung zum entscheidenden Zeitpunkt. Fünf Jahre später wären viele Teile möglicherweise nicht mehr vorhanden. Denn Hanns Friedrichs hat seine Modelle nicht mit Etiketten namentlich gekennzeichnet. Er war über die Jahrzehnte seines Schaffens hinweg außerordentlich diskret. Die Kundinnen sollten sicher sein, dass sie ein Einzelstück besaßen, das niemand kopieren konnte. Rouven Lotz: „Die Kundinnen aus Hagen, aus Südwestfalen, Düsseldorf oder Köln hatten alle die Mittel, in Paris bei Dior oder Chanel zu kaufen. Aber sie haben sich für Hanns Friedrichs entschieden.“ So leistet die Hagener Schau den ersten wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Erforschung; der Katalog ist das erste Werkverzeichnis überhaupt.

„Gerade auch in Kunstmuseen belegen Modeausstellungen, dass gestaltende Disziplinen sich untrennbar nahestehen“, begründet Rouven Lotz, warum er in einem Museum, das dem großen innovativen Maler Emil Schumacher gewidmet ist, Werke von dessen Hagener Zeitgenossen, dem führenden deutschen Modedesigner Hanns Friedrichs zeigt, der ebenfalls mit Form und Farbe kreativ war, aber in dem Medium Stoff. In Paris sind die Begegnungen zwischen Kunst und Kleid zu regelrechten Publikumsmagneten geworden. In Hagen darf man gespannt sein, wie die Mode-Retrospektive beim Publikum ankommt.

Die Ausstellung „Hanns Friedrichs: Ich mache keine Mode, ich ziehe Frauen an“ ist vom 23. Oktober bis 12. März im Emil-Schumacher-Museum Hagen zu sehen. www.esmh.de