Hagen. Extrabreit-Frontmann Kai Havaii hat Musikgeschichte geschrieben. Jetzt schreibt er Bücher. So ist sein zweite Thriller: „Hyperion“.

Auf der Bühne wird der Mann so gefeiert, dass es für ein Menschenkind schon fast zu viel ist. Sänger ist er, Frontmann der bekanntesten Neue-Deutsche-Welle-Band. Popstar. Projektionsfläche. Klischeeträger und Idol zugleich. In seiner Heimatstadt Hagen ist er häufig zu Besuch, obwohl keine Familie mehr dort lebt. Wenn Kai Havaii nach den Proben mit Extrabreit oder nach den Aufnahmen im Studio in der Elberfelder Straße zu Fuß durch seine Stadt schlendert und auf ein Feierabendbier einkehrt, dann erkennt ihn meistens keiner.

Komm nach Hagen, werde Popstar. Niemand verkörpert die Träume hinter diesem Song-Titel so gut wie der schmale, nicht mehr ganz junge Mann, der Gedichte schreibt und komplizierte Bücher liest, der den versehrten Helden seiner eigenen Songs ähnelt und den Protagonisten seiner Bücher. Was sie eint? Sie alle kennen die dunkle Seite des Mondes. Jetzt legt Kai Havaii seinen zweiten Thriller vor. „Hyperion“ ist eine Agentengeschichte über eine beklemmende verdeckte Ermittlung. Ein Buch über Schein und Sein und Fassaden, das mit der Leiche ins Haus fällt.

Al Kaida von Rechtsextremen

„Es ist spannend, über eine Undercover-Mission zu schreiben. Und ich wollte das Thema Terrorismus drin haben. Wir beobachten ja, dass es eine internationale Solidarität unter Rechtsextremen gibt, und daher habe ich eine Art Al Kaida von Rechtsextremen entwickelt. Ich hoffe, es bleibt bei der Fiktion“, sagt Kai Havaii. Felix Brosch ist der Name des kaputten Helden, der in „Hyperion“ einen rechtsextremen Führer kalt stellen soll, der sich selbst als Lichtgestalt begreift. Der Ex-Agent hat seinen Sohn durch einen Unfall verloren und ist ausgestiegen. Auf einer Berghütte in den Alpen verdingt er sich in der Saison als Koch; die Winter verbringt er dort oben in selbstgewählter Einsamkeit inmitten einer gleichgültigen Natur, räumt die Wege frei und hört nachts Beethoven, um den Sternen näher zu sein.

Bildstarke Sprache

Kai Havaiis Sprache ist bildstark und dicht. „Hyperion“ packt den Leser sofort. Diese Kunst hat die Kritiker erstaunt, seit er mit seiner Autobiographie „Hart wie Marmelade“ auch die literarische Bühne betreten hat. Sein erster Thriller „Rubicon“ heimste dann noch mehr Lorbeeren auf dem Buchmarkt ein, und das kommt nur für die überraschend, die sich nicht mit den Texten von „Extrabreit“ befassen, die von Kai Havaii stammen. „Am Horizont seh’ ich schon Reiter. Ihr Schreien dringt schon an mein Ohr. Es wird ein langer dunkler Winter. So wie er selten war zuvor“, heißt es auf der neuen CD in dem Song „Winter“ prophetisch.

Gesellschaftskritisch, spöttisch, aber häufig auch Motive der Schwarzen Romantik aufgreifend: So lässt sich der Stil von Kai Havaii beschreiben. „Ich erzähle gerne Geschichten, und ich habe ein Faible für gebrochene Helden. In den Songs sind die Charaktere oft etwas verspielter, in den Romanen habe ich mehr Zeit, um in die Tiefe zu gehen.“

Viele Popstars suchen sich noch ein zweites künstlerisches Ausdrucksmedium, sie malen etwa. Doch so läuft es bei Kai Havaii nicht. „Schreiben ist ein alter Traum von mir. Ich wollte immer schon Bücher schreiben. Zwischendurch habe ich auch als Autor von TV-Dokus gearbeitet. Die Autobiographie hat mich sehr ermutigt, auf diesem Weg weiterzugehen, und das Schreiben ist jetzt aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken.“

Beethoven-Verehrung

In „Hyperion“ muss Felix Brosch, der seinen Namen „der Glückliche“ wie eine Bürde trägt, wieder ins Geschirr. Ein rechtsextremer Superterrorist bringt Tod und Verderben, und bei einem seiner Helfer könnte es sich um einen Cousin von Felix handeln. Kai Havaii nutzt poetische Naturschilderungen, um seelische Qualen freizulegen. Sein Buch ist atemlos spannend, das ist kein Zufall, sondern komponiert. „Der Umgang mit Sprache ist das, was mich antreibt. Ich ringe oft lange um Sätze. Es gibt Abschnitte, mit denen ich mich tagelang beschäftigen kann, ich bin nicht leicht zufrieden.“

Havaii ist ein leidenschaftlicher Leser, und lesend recherchiert er auch für seine Stoffe. „Es gibt viele Original-Aussagen von Leuten, die Geheimdienstarbeit gemacht haben. Ich nutze alles Mögliche zur Recherche, Bücher, Dokus, und spreche mit Experten, die im Thema drin sind.“ Um seine Protagonisten zu charakterisieren, lässt er sich auch gerne von seiner Umgebung beeinflussen, etwa von der Beethoven-Verehrung des Extrabreit-Drummers Rolf Möller.

Solange wir fit sind

Und Extrabreit? Nach den bitteren Corona-Jahren mit vielen abgesagten Auftritten steht die Weihnachts-Blitz-Tournee durch 16 Städte von München bis Hamburg auf dem Programm. Wie lange noch? „Wir sind ganz im Hier und Jetzt“, antwortet Kai Havaii, 65. „Extrabreit hat nach wie vor eine große Bedeutung in meinem Leben. Schreiben und Musizieren ist für mich eine ideale Kombination. Ich bin froh, wenn ich mal wieder mit den Jungs unterwegs sein und Lärm machen kann. Solange wir fit sind und solange die Leute uns noch sehen wollen, machen wir weiter.“

Im Extrabreit-Song „Junge, wir können so heiß sein“ heißt es: „Wer hat mir meine heile Welt geklaut?“ Wenn Felix Brosch in „Hyperion“ am Ende tatsächlich der Glückliche ist, der gelogen und getäuscht hat und deshalb noch lebt, wissen Kai Havaiis Leser, dass auch Helden fehlbar sind. Und die heile Welt? Die gibt es nicht mal in den Bergen.

Kai Havaii: Hyperion, 512 Seiten, Rütten & Loening, 16,99 €. Erscheint am 11. Oktober. Lesungen: 16. Oktober bei Mord am Hellweg im Domicil Dortmund; 4. November, Kulturhof Emst, Hagen.