Hagen. . Die Kultur ist der große Verlierer der Corona-Krise. Dazu kommt die A 45-Sperrung. Wie das Theater Hagen gegensteuert.

Die Kultur leidet an Long Covid, und der dritte schlimme Winter steht vermutlich erst noch bevor. Egal ob Kino, freies Kulturzentrum, Oper oder Schauspiel, Kabarett oder Lesungen: Das Publikum bleibt weg. Der Neustart kommt nicht in Gang, weil weitere Krisen auf die Pandemie draufsatteln. Der Weg ins Theater ist wegen der Energiepreise teuer wie nie, dazu kommt die Angst vor der Heizkostenrechnung. Und Corona selbst ist ja auch noch da.

Ohne die Landesförderungen müssten viele der freien Kulturzentren schon dicht machen, weil ein Standbein ihrer Einnahmen die Gastronomie ist. Gäste, die nicht kommen, trinken auch kein Bier. Dass die Kölschrockband Kasalla ihre Sommertournee und Revolverheld ihre für Anfang 2023 geplante Arena-Tour wegen allzu schleppender Ticketverkäufe absagen mussten, wird als allgemeines Alarmsignal gewertet. Die Szene ist ratlos. In den Feuilletons überschlagen sich die Analysen und Horrormeldungen. Oper und Schauspiel wird vorgeworfen, mit zu verkopften Inszenierungen die Leute vergrault zu haben. Da es den Programmkinos und den Kleinkunstbühnen genauso geht, kann diese Schlussfolgerung nicht zur Gänze stimmen. Es gelingt nicht so recht, die Situation auch nur zu beschreiben, geschweige denn, Auswege zu formulieren. Denn auf Massengeschmack getrimmte Produktionen bleiben häufig ebenso leer wie anspruchsvolle Kulturexperimente.

Krise betrifft alle Kultursparten. Fast.

Die Situation ist neu, weil sie erstmals in der Kulturgeschichte sparten- und genreübergreifend fast alle Bereiche betrifft. Mit einer Ausnahme. Sinfoniekonzerte und andere Klassikmusikangebote laufen besser als Oper und Sprechtheater. Das Konzerthaus Dortmund und viele weitere Häuser konnten ihre Abonnentenzahlen sogar erhöhen. Veranstaltungen, bei denen das Feiern mehr im Vordergrund steht als das Zuhören, sind ebenfalls voll. Es gibt kein historisches Beispiel für eine Kulturkrise, mit der sich die jetzige Lage vergleichen ließe. Früher fehlte oft das öffentliche Geld. Aber immer war das Publikum da, notfalls bereit, seinen Eintritt mit Briketts zu bezahlen, und dafür zu Hause zu frieren.

Nun ist das Publikum nicht mehr da. Und die bange Frage lautet: Kommt es je wieder? Oder: markiert die Corona-Krise einen tiefgreifenden Epochenbruch im gesellschaftlich-öffentlichen Leben.Dr. Thomas Brauers, der Geschäftsführer des Theaters Hagen, will sich nicht entmutigen lassen, sondern gegensteuern. Die Bühne bringt ein 9-Euro-Ticket auf den Markt. Für 9 Euro können die Besucher einen ganzen Monat lang alle Vorstellungen des Hauses außer dem Weihnachtsmärchen und alle Konzerte genießen. Die Aktion läuft über drei Monate bis Dezember. Das Theatererlebnis wird damit de facto verschenkt.„Wir sind kreativ, um das Haus am Leben zu halten“, so begründet Brauers die schlagzeilenträchtige Aktion. „Wir müssen die Corona-Krise in den Griff kriegen, indem wir neue Schichten ins Theater locken.“

Große Hoffnung in 9-Euro-Ticket

Bereits im August hatte die Bühne Geld in die Hand genommen, um mit zwei Open-Air-Konzerten mitten in der Stadt zu zeigen, was sie kann und warum es sich lohnt, ins Theater zu gehen. Mit insgesamt 4000 Besuchern ist das Konzept aufgegangen. Nun macht Hoffnung, dass der Erfolg des 9-Euro-Tickets für Bus und Bahn sich auf Theater übertragen lässt. Das Theater Hagen ist über Corona und Inflation hinaus schwer getroffen. Die gesperrte Autobahn 45 schneidet die Besucher aus dem Märkischen Kreis und dem Kreis Olpe von Hagen ab. Wenn jetzt auch noch die Landstraße 528 zwischen Hagen und Breckerfeld zwecks Sanierung gesperrt wird, müssen Theaterfreunde aus Breckerfeld, Halver, Kierspe, Radevormwald und Remscheid ausgerechnet in der Vorweihnachtszeit lange Umwege auf sich nehmen.

„Die A-45-Sperrung ist eine Katastrophe für uns. Wir haben zu viele Baustellen. Fast alle können wir überhaupt nicht beeinflussen. Wir müssen uns etwas einfallen lassen.“Die Zahlen seit dem Start der neuen Spielzeit Ende August geben laut Brauers Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Und die treuen Abonnenten tragen das Haus auch in schweren Zeiten. Daher erhält jeder Abonnent ein nicht-personalisiertes 9-Euro-Ticket als Geschenk. Damit kann man Vorstellungen über den Tellerrand besuchen – oder die Karte an Kinder, Freunde und Verwandte verschenken. Das Theater Hagen setzt große Hoffnungen in die Aktion, die nach Brauers in der deutschen Theaterlandschaft singulär ist. Andere Theater bieten bisher allenfalls einzelne Vorstellungen zum 9-Euro-Tarif an. „Das braucht einige Tage Vorlaufzeit, dann bin ich sicher, dass es läuft. Wir dürfen jetzt nicht den Kopf in den Sand stecken.“

Das Vor-Corona-Theater gibt es nicht mehr

Eine Erkenntnis gewinnt bei Kulturmachern und Kulturfreunden immer mehr Gewissheit. Das Theater, das Kulturleben aus der Coronazeit sind vorbei. Es wird nie wieder so sein wie vor Corona. Auch nicht im Theater Hagen. Jetzt kommt daher die Zeit, sich gesellschaftlich bewusst zu machen, warum wir Kultur und Theater brauchen. Die Theater müssen sich fragen lassen, ob sie wirklich die Orte sein können, wo eine immer tiefer gespaltene Gesellschaft sich zusammenfindet, um zu prüfen, ob es nicht doch verbindende Werte gibt. Als Geschäftsführer ist Thomas Brauers für die Zahlen verantwortlich, nicht für die Inhalte. Er weiß: „Zu sagen: Halbvoll ist das neue Voll, das wird nicht funktionieren. Mit halbvollen Häusern können die Theater nicht überleben.“