Paderborn/Hagen. Uneheliche Kinder und ledige Mütter leben nach geltender katholischer Lehre in Sünde. Warum stimmen 21 Bischöfe dafür, dass das so bleibt?

Vorehelicher Geschlechtsverkehr ist so ein Begriff aus der Gruselkammer des Katholischen, den schon heutige 60-Jährige kaum noch verstehen, geschweige denn die 20-Jährigen. Vorehelicher Geschlechtsverkehr ist natürlich verboten. Verboten sind auch: Selbstbefriedigung, außerehelicher Geschlechtsverkehr sowie jedweder Geschlechtsverkehr, der nicht dem Ziel dient, Kinder zu zeugen. Es dreht sich alles um den Sex in der katholischen Kirche. Frauen nach der Menopause, wiederverheiratete Geschiedene, Alleinstehende und Queere sind zur Enthaltsamkeit verurteilt, sonst droht das Fegefeuer, der Ortspfarrer soll die Intimsphäre seiner Schäfchen kontrollieren. Selbst der Papst kann nicht glauben, dass sich irgendjemand an diese Regeln hält oder je gehalten hat. Doch beim Forum des Synodalen Weges ist jetzt ein Papier zur Reform der katholischen Sexualethik gescheitert, da es keine Zweidrittelmehrheit der Bischöfe dafür gab.

Der springende Punkt: Die Sexuallehre der Kirche, so verquast sie anmutet, ist genau das: Lehre. Ändern kann sie nur der Papst, nicht aber eine Gruppe von Priestern und Laien, die sich zum Reformdialog treffen, um Deutschlands Kirche aus der schlimmsten Krise ihrer Geschichte zu führen, was von Rom sowieso misstrauisch beäugt wird. Nicht vergessen sei, dass diese Krise durch unzählige Missbrauchstaten verursacht wurde, die von Priestern begangen wurden.

Scheitert der Synodale Weg?

So geht es nicht mehr weiter. In dieser Erkenntnis waren sich die Bischöfe einstimmig einig, als sie den Reformprozess zusammen mit den Laienvertretungen begründet haben, und es war klar, dass auch die Sexualmoral mit den aktuellen Erkenntnissen der Humanwissenschaften in Einklang zu bringen sei. Aberhunderte von Arbeitsstunden sind in zweieinhalb Jahren in das Papier „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ geflossen. Verhütungsmittel sollen künftig nicht mehr verurteilt und Homosexuelle oder Geschiedene oder uneheliche Kinder nicht mehr als Sünder verunglimpft werden. Die Bischöfe haben sich in der Vorbereitung nicht besonders eingebracht, haben aber auch keine Signale gesendet, dass sie den Text nicht für zustimmungsfähig halten. Gleichwohl haben 21 Oberhirten ihr „Ja“ verweigert, damit wurde die nötige Zweidrittelmehrheit verfehlt, der Text ist durchgefallen.

Ist der Synodale Weg damit bereits an seiner ersten Abstimmung gescheitert, sozusagen an der Kondomfrage? Pfarrer Ludger Hojenski ist Delegierter aus dem Erzbistum Paderborn – und er hat für den Grundtext gestimmt.„Das war eine Schocksituation. Der Schock war sehr groß“, fasst Hojenski die Reaktionen zusammen. Für das Erzbistum Paderborn hat auch Weihbischof Josef Holtkotte mit „Ja“ gestimmt. Holtkotte meldete sich bei der Synodalversammlung zu Wort: „Diese Fragen stehen seit Jahrzehnten auf der Tagesordnung, und wir hätten heute einen guten, richtigen Schritt gehen können. Ich frage mich: Was muss eigentlich getan werden, damit sich dieser Text entfalten kann?“

Gesellschaftlich nicht anschlussfähig

Ludger Hojenski leitet den Pastoralen Raum St. Ewaldi in Dortmund, gehört dem Vorstand des Paderborner Priesterrates an und ist Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft der Priesterräte Deutschlands. Er versucht, sachlich zu erläutern, warum der Text für die 21 Bischöfe unakzeptabel gewesen sein mag. „Die Befürworter sagen, die Menschen entwickeln sich, deshalb muss sich auch die Lehre weiterentwickeln. Die Kritiker verweisen auf die Tradition. Inhaltlich kamen keine Einwände. Aber die Bischöfe, die das ablehnen, sehen sich als Vertreter einer Lehre, an der man nichts ändern kann.“

Hojenski weiß, dass man die Bibel im Kontext interpretieren muss und biblische Aussagen nicht eins zu eins auf die heutige Lebenswelt zu übertragen sind. „Die ablehnenden Bischöfe haben sich wenig an den Hearings beteiligt. Deshalb wurde auch das Bild vom Heckenschützen verwendet.“ Namentlich bekannt sind die ablehnenden Bischöfe nicht, „es war versäumt worden, eine namentliche Abstimmung zu fordern.“

Ludger Hojenski erläutert, wie sich die Kirche verändert hat und immer wieder verändern muss. „Als ich in Hagen-Emst aufgewachsen bin, war ich natürlich Messdiener. Meine ältere Schwester durfte aber nicht Messdienerin sein. Sie ist dann mit einer Freundin zu Pastor Albert Münch gegangen, und dann wurde sie eine der ersten Messdienerinnen in Hagen.“

Alles dreht sich um Sex

Es gäbe genug Themen, zu denen die katholische Kirche wichtige Aussagen beisteuern könnte: Die Klimakrise, der Krieg, die drohende soziale Spaltung. Stattdessen kreist alles immer wieder um das Thema Sex. Warum? Pfarrer Hojenski kann diese Frage nicht beantworten. „Vielleicht gibt es einen Zusammenhang mit der zölibatären Lebensform? Zölibatäre alte Männer gehen ins Lehramt.“ In St. Ewaldi ist Hojenski täglich damit konfrontiert, wie sehr die Lehre von der Lebensrealität abweicht. „Die Frage, Sex vor der Ehe, die stellt sich für die jüngere Generation gar nicht mehr, die gehen drei Schritte weiter. Ich musste als Priester erst einmal lernen, das Wort queer durchzubuchstabieren. In diesem Prozess sind wir als Kirche nicht mehr anschlussfähig.“

Homosexuelle stigmatisiert

Jan Hilkenbach (31) aus Brilon ist als Vorsitzender des Paderborner Diözesankomitees Delegierter des Synodalen Weges. „Es geht im Synodalen Weg nicht um technische Themen, sondern beispielsweise bei der kirchlichen Sexualmoral um ganz konkrete Verletzungen und um Diskriminierung. Die katholische Kirche war es, die ledige Mütter oder Homosexuelle stigmatisiert hat und dies in die Gesellschaft hineingetragen hat.“ Die Ablehnung des Grundtextes zu einer erneuerten Sexuallehre und insbesondere die Verweigerung der Debatte durch einige Bischöfe sei für die Betroffenen eine erneute Ausgrenzung. „21 Bischöfe haben gegen den Text gestimmt. Viele davon haben sich vorab nicht zu Wort gemeldet und die vielen Möglichkeiten der Diskussion im Vorfeld nicht wahrgenommen. Das passt nicht zum synodalen Miteinander und macht mich fassungslos.“

Kann der Synodale Weg überhaupt noch etwas bewirken, nach diesem von vielen Teilnehmern als hinterhältig bewerteten Verhalten der 21 Bischöfe? Ludger Hojenski ist trotz des Schocks vorsichtig optimistisch. „Es stellt sich jetzt die Frage, welche Wirkungsgeschichte die Synodalversammlung unter den Bischöfen zeigt. Die treffen sich in zwei Wochen zur Herbstvollversammlung.“

Wie geht es weiter?

Wie geht es weiter? Hojenski ist froh, dass der Synodale Weg einen Ausschuss auf den Weg gebracht hat, der den Synodalen Rat installieren soll, als Pendant zur Bischofskonferenz. „Darin sehe ich eher einen Weg. Das Verständnis für die Bischöfe ist nicht sehr groß, innerkirchlich nicht, und außerkirchlich packen sich doch die Leute sowieso an den Kopf.“

Jan Hilkenbach blickt skeptisch auf die Weiterarbeit: „Ich messe den Synodalen Weg an der Umsetzung der Beschlüsse und den konkreten Veränderungen in der Lebensrealität. Wir müssen noch viel stärker an den systemischen Ursachen arbeiten, die sexualisierte Gewalt in unserer Kirche begünstigen. Es besteht sehr deutlich die Gefahr, dass wir dem nicht gerecht werden, was wir als Kirche tun müssen.“