Hagen/Balve. Trotz der Dürre fällt die Obsternte in der Region sehr gut aus – mit einer kleinen Einschränkung. Ein Besuch bei einer mobilen Apfelsaftpresse.
Es läuft gut, seit mehr als zwei Stunden schon, vermeldet Klaus Schulte gerade noch. Dann jedoch schlägt das Unheil zu. Während der Agraringenieur an seiner mobilen Obstpresse einen Fünf-Liter-Karton mit frischem Apfelsaft befüllt und dabei dem Fragesteller den Prozess erklärt, übersieht er das schwarz-gelbe Unheil, das sich zwischen Hand und Karton gedrängelt hat. Ein Stich, ein überraschter Blick, „Wespe“, ruft Schulte gequält, und die Apfelsaftabfüllung ruht für einen Augenblick.
Die Zwangspause ist am Dienstag einer der wenigen Momente, in denen der 53-Jährige abschaltet. Von 7 bis 16 Uhr füllt Klaus Schulte Liter um Liter Apfelsaft mit seiner mobilen Presse ab. Für Privatleute, aber auch für gewerbliche Kunden. 28 Termine hat er für diesen Tag vergeben, etwa vier Tonnen Äpfel werden sie verarbeiten. Klingt viel, ist aber eigentlich nur so etwas wie das Warm-up. Ab Samstag, sagt Klaus Schulte, „geht’s richtig los“. Dann nimmt die noch junge Apfelsaison Fahrt auf.
„Dieses Jahr ist ein extrem gutes Obstjahr“
Nach Lage der Dinge werden Klaus Schulte und seine Mitstreiter in diesem Herbst richtig viel zu tun haben. „Wir haben deutschland-, wenn nicht europaweit eine sehr gute Ernte“, berichtet Bernd Dinkhoff von der Landwirtschaftskammer NRW. „Die letzten Jahre waren nicht gut, aber dieses Jahr“, sekundiert Klaus Schulte, „ist in NRW ein extrem gutes Obstjahr.“
Das überrascht, herrscht doch seit Wochen Dürre. Aber die Trockenheit, die Land und Leute plagt, hat dem Obst nicht wesentlich geschadet. Äpfel und Birnen seien in diesem regenarmen Jahr zwar kleiner, sagt Dinkhoff, aber „das tut der Qualität nicht unbedingt Abbruch. Eine kleinere Frucht schmeckt genauso gut wie eine größere“, erklärt der Obstanbauexperte.
Vor allem für gewerbliche Obstanlagen, die ihre Bäume bewässern können, ist das Jahr 2022 ein Knaller. „Die haben nahezu keine Regentage, aber immer strahlenden Sonnenschein, dadurch haben die Bäume sehr viel Stärke einlagern können. Diese Stärke wird umgewandelt in Zucker während der Reife. Dadurch sind die Äpfel deutlich intensiver im Geschmack als in regenreichen Jahren“, erklärt Dinkhoff.
Die Mischung der Sorten macht’s
Wer seine Ernte zu naturtrübem Apfelsaft pressen lassen will, ist bei Klaus Schulte richtig. Susanne Gördes vom Hof Gördes aus Sundern etwa, die in Kürze einen Hofladen eröffnen will. Oder ein Landwirt aus Altena, der am Vorabend einen Hänger vorbeigebracht hat, auf dem sich die Äpfel in Säcken stapeln. „Angekündigt ist eine Tonne“, sagt Klaus Schulte.
Die meisten Kunden sind jedoch Privatleute, die zwischen 50 und 100 Kilo Äpfel anliefern. So wie Josef Nüsken aus Welver (Kreis Soest), der 150 Kilo aus dem eigenen Garten im Gepäck hat („Die Ernte war gut. Das war wie Trauben pflücken, so viele waren das.“), oder Manfred Türke, der mit 240 Kilo von drei Apfelbäumen in seinem Garten in Iserlohn-Oestrich anrückt – Gravensteiner, Ontario, Boskop. Eine Mischung verschiedener Sorten sorge für einen aromatischeren Geschmack, erklären die anwesenden Saft-Experten.
Bei Manfred Türke reicht es am Ende für 31 Kartons à fünf Liter. Die 155 Liter Apfelsaft, die laut Klaus Schulte ungeöffnet mindestens ein Jahr haltbar seien, sind für den Eigenbedarf. „100 Prozent Bio, super Bio“, sagt Türke, „nichts gespritzt, gar nichts.“ Hinzu kommt der Preis. Türke hat die Kartons aus dem Vorjahr dabei, so zahlt er fünf Euro für fünf Liter. „Ein sehr guter Preis“, findet er. Außerdem: „Wir kriegen Saft aus unseren Äpfeln.“
Mit mobiler Saftpresse erreicht man mehr Menschen
Das ist auch eines der Argumente, mit denen Klaus Schulte wirbt. Jeder Kunde nimmt den Saft aus seinen eigenen Äpfeln mit. Hier wird nicht gemischt. Mindestmenge sind 50 Kilogramm. Keltereien würden bei solch geringen Größenordnungen gar nicht erst anfangen. Für Klaus Schulte sind sie hingegen das Hauptgeschäft. Mit einer mobilen Saftpresse erreiche man im Übrigen „viel mehr Leute“, erklärt er, der von seinem Sohn Johannes und seinem Neffen Jonas beim Sortieren, Waschen, Schreddern, Pasteurisieren und Abfüllen unterstützt wird.
Seit 2006 betreibt er mit seinem Kompagnon, Landschaftsarchitekt Michael Breitsprecher, die mobile Saftpresse. Inzwischen sei die Nachfrage derart groß, dass sie Termine vergeben (www.obst-auf-raedern.de). „Ohne Termine“, betont Klaus Schulte, „geht nichts.“ Sie fahren in der Saison, von Ende August bis Ende Oktober, durch ganz Nordrhein-Westfalen. An diesem Tag hat Klaus Schulte allerdings ein Heimspiel. Zumindest ein halbes.
Im Paradies stört kein Apfel, und auch nicht der Bruder
Er macht Station auf dem Hof seiner Familie. Auch er wohnt noch dort, der Gutsherr aber ist sein älterer Bruder Georg, der gemäß einer klassischen Kronprinzenregel den Betrieb übernahm und am Morgen über seinen pittoresken Hof in Balve-Eisborn blickt. Fachwerkhaus, 400 Jahre alt, Scheunen, Apfelbaumgarten, Maisfelder, strahlend blauer Himmel – ein Ambiente wie aus einem Film. „Ich“, sagt Georg Schulte, der Landwirt, „wohne im Paradies“. In seinem Paradies stört kein Apfel, und auch nicht Bruder Klaus. Man vertrage sich, versichert Georg. „Mein Bruder“, ergänzt Klaus, „ist nicht nur mein Bruder, sondern auch mein Freund.“
Ein Problem hat Georg, der sich auf Ackerbau, Schweinezucht, Wurstküche und Hofladen konzentriert, aber doch. „Die Trockenheit kommt jetzt so richtig durch“, sagt er, „die Herbsternte – Zuckerrüben, Mais, Kartoffeln – die hat sehr gelitten“.
Ganz anders als die Äpfel.