Hagen. Es ist warm, doch die kalte Jahreszeit kommt. Eine Umfrage in drei Städten, wie Bürger der Region in der Energiekrise für den Winter vorsorgen.
Werner Biallas trägt ein blaues Polohemd. Es ist schließlich warm, richtig warm: Dienstag, Sonnenschein, 25 Grad, Sommer in Hagen. Der Winter ist noch weit weg – aber er wird kommen. Ein Winter der Fragezeichen: Wird das Gas für alle reichen? Werden die Menschen frieren müssen? Und was wird es kosten, die Wohnung oder das Haus warm zu haben? Fragen an Bürger in drei Städten: Hagen, Neheim und Attendorn.
Vorrat reicht nicht für den Winter
„Solange das Wetter so ist“, sagt Biallas auch im Namen seiner Frau, „solange denken wir nicht an den Winter.“ Wobei das so nicht ganz stimmt: Ihr Haus wird nicht nur mit Gas geheizt, die Hauptaufenthaltsräume ließen sich mit einem Kamin wärmen. Das Holz dafür hat Werner Biallas schon versucht aufzutreiben. „Das ist momentan schwierig. Wir haben einen Vorrat, der bis Mitte des Winters reicht“, sagt er. Beim Händler seines Vertrauens aber ist es ausverkauft, Mitte Januar, habe dieser gesagt, könne er sich noch einmal melden, dann gäbe es vielleicht wieder etwas. „Das ist die Realität“, sagt Biallas.
Wirklichkeiten gibt es offenbar verschiedene. In Baumärkten sieht sie so aus, dass ablesbar ist, wie manche Menschen sich auf diesen Winter vorzubereiten versuchen. Die Marktkette Bauhaus stellt bundesweit – und somit auch an den Standorten in Hagen, Witten, Wuppertal und Dortmund – „eine saisonal atypisch gestiegene Nachfrage nach alternativen Wärmequellen fest“. Gemeint sind Holz- und Pelletöfen, Briketts sowie jegliche Arten von Elektroheizkörpern, Campingkochern und Stromgeneratoren. Die Nachfrage bei Obi ergibt Ähnliches.
Kaminöfen fast ausverkauft, Heizlüfter werden rationiert
Im Hellweg-Baumarkt in Ennepetal sind von zwölf angebotenen Kaminofenmodellen elf ausverkauft und zum Teil erst wieder im Mai nächsten Jahres lieferbar. Heizlüfter sind so begehrt, dass der Markt die Abgabe – nach Aussage des Personals – auf zwei pro Einkauf begrenzt hat.
„Die Deutschen sind ein Angstvolk“, sagt Virginia Angela von der Horst dazu in der Hagener Innenstadt. Sie wohnt zur Miete in der gebeutelten Stadt Lüdenscheid, wo der Verkehr wegen der Sperrung der A-45-Brücke die Menschen zermürbt. „Wir haben doch alle zuletzt genug schlechte Nachrichten erhalten. Ich möchte jetzt das schöne Wetter genießen und mich nicht wegen des Winters verrückt machen“, sagt sie. „Wir können doch nichts ändern. Angst zu haben, nützt ja nichts.“
1000 Euro Stromnachzahlung
Das verhindert aber nicht, dass sie sich ihre eigenen Gedanken macht. „Ich wohne alleine und finde mit meinen 61 Jahren auch keinen neuen Job mehr. Ich muss schauen, wie ich über die Runden komme.“ Sie lächelt dazu, lächelt den Anflug von Sorgen weg.
Mit Sorgen kennt sich Stephani Kröll aus, sie ist Heilprakterin für Psychotherapie in Dortmund. Rund 1000 Euro Stromnachzahlung musste sie jüngst begleichen. Ein Betrag, den sie nicht mal eben zur Hand hat. „Das macht mir zu schaffen.“ Sie versucht, Strom zu sparen, benutzt ausschaltbare Steckdosenleisten, schaltet den Router ab, wenn sie ihn nicht braucht, und überlegt, dies auch mit der Waschmaschine zu tun. „Die Stromkosten werden nicht ins Unermessliche steigen“, sagt sie. „Wir sollten weniger Panik machen und einfach sorgsamer sein im Umgang mit Energie.“
Andere Stadt: Attendorn. Andere Perspektiven – zumindest die von Marco Pieper (48). Was da kommt, macht dem Architekten „mehr als Sorge, es macht mir sogar Angst“, sagt er. „Ich habe beruflich täglich mit den Leuten zu tun, die in alten Wohnungen leben und bereits jetzt – im Sommer – nicht mehr wissen, wie sie die Nebenkosten bezahlen sollen.“ Nach dem Winter, glaubt Pieper, werden „Alleinverdiener nicht mehr in der Lage sein, ihre Familie zu ernähren.“ Da seien viele politische Fehler gemacht worden.
Von 24 auf 21 Grad
Sein Haus wird mit einer Erdwärmepumpe geheizt – im Winter weniger. „Die Heizung wird nicht mehr auf 23, 24 Grad eingestellt, sondern auf 20, 21 Grad.“ Trotzdem erwartet er ebenfalls eine Strompreiserhöhung. „Das bedeutet auch für uns deutlich höhere Nebenkosten. Außerdem fahre ich im Schnitt 40.000 bis 45.000 Kilometer pro Jahr. Das sind nur an Sprit schon jetzt über 2000 Euro an Mehrkosten gegenüber dem vergangenen Jahr. Und so was zieht sich ja durch alle Lebensbereiche.“
Guido Höffer (53) besitzt ein Haus in Attendorn, eine Etage bewohnt er selbst, die andere hat er vermietet. „Sorgen machen mir die Preise. Ich habe im vergangenen Jahr die Heizung umgestellt, von Öl auf Pellets.“ Im November habe er für Pellets 203 Euro pro Tonne bezahlt. Jetzt liege das günstigste Angebot bei 560 Euro. Mit den Mietern habe er sich darauf geeinigt, „dass ich die Nebenkosten nicht erhöhe, dafür die Rückzahlung vom vergangenen Jahr einbehalte.“ Das werde dann verrechnet. „Wir haben alles gemacht, was erst einmal machbar ist“, sagt er. „Ich glaube nicht, dass mich das alles in den Ruin treibt, aber schön ist es nicht.“
Duschdauer von 20 auf fünf Minuten reduziert
Ein paar Meter weiter ist Stefanie Heinrich (43) unterwegs: Eigenheim in Meinerzhagen, 2013 fertiggestellt, Solaranlage auf dem Dach. Heizung? Gas. Im Moment seien sie „täglich“ mit dem Thema Energiesparen beschäftigt. Ein Kamin lohne sich – noch – nicht. Aber das Solardach soll effizienter genutzt und generell Energie gespart werden. „Wir haben die Zeit gestoppt, um zu testen, wie lange wir duschen – und von 20 Minuten auf fünf reduziert.“
Nächste Stadt: Günter Brüchmann geht gerade mit seinem Hund vor dem St.-Johannes-Dom in Neheim spazieren. Der Rentner hat in seinem Eigenheim eine Nachtspeicherheizung eingebaut. Bedeutet: hoher Stromverbrauch. „Der bisherige Vertrag mit unserem Stromanbieter wurde schon gekündigt, wir haben jetzt einen neuen Anbieter“, berichtet er. Der Tarif: doppelt so teuer. „Das tut weh“, sagt er. Größere Sorgen macht er sich trotzdem nicht. Heizdecken haben er und seine Frau sich gekauft – das liegt jedoch schon Jahre zurück. „Jetzt bin ich trotzdem froh, sie zu haben“, sagt er. Denn: „Man weiß ja nicht, was bis zum Winter noch passiert.“
Dickere Socken anziehen
Iris Müller aus Neheim blickt dem Winter pragmatisch entgegen: „Ich habe die Heizung schon abgedreht und auch kein Problem damit, in der Wohnung mal Socken anzuziehen oder nachts eine dickere Decke zu nutzen. Wenn es so kommt, ist es eben so. Da müssen wir durch.“