Hallenberg. Volontär und Camping-Neuling Joel Klaas testet eine der neuen Trekkingplattformen in Hallenberg. Über wilde Tiere und Komposttoiletten.
Wäre plötzlich Zauberer „Gandalf“ aus dem Buch „Herr der Ringe“ auf einem weißen Schimmel an mir vorbeigeritten und hätte nach „Bilbo Beutlin“ gefragt, hätte es mich nicht gewundert – so stark sind die Eindrücke bei diesem ersten Blick in die Ferne. So sehr erinnert mich das, was ich hier im Sauerland mit dem Blick gen Hessen sehe, an das „Auenland“ aus J.R.R. Tolkiens Kult-Roman: Dutzende kleine Hügel, mit Sträuchern und Bäumen bewachsen, ragen aus der Landschaft hervor und sorgen gemeinsam mit dem kleinen Örtchen Hallenberg, das direkt am Fuße des kleinen Berges liegt, auf dem ich mich befinde, für ein stimmiges Gesamtbild.
Es ist 17 Uhr und ich stehe am Beginn eines kleinen Abenteuers. Ich mache das, was in Deutschland eigentlich verboten ist: Das Zelten mitten im Wald. Wildcampen – also das Übernachten in der freien Natur – wird mit Bußgeldern von bis zu 80 Euro geahndet. Aber hier in Hallenberg, im Naturpark Sauerland-Rothaarsteig, ist das Erlebnis seit Juli auch legal möglich. Inmitten der Natur gibt es nun so genannte „Trekkingplattformen“. Wie funktionieren sie? Ich mache den Praxistest für eine Nacht.
Gezeltet habe ich zuletzt vor neun Jahren. Kurz nach dem Abitur ging es für drei Tage mit Freunden nach Zandvoort an die niederländische Nordsee-Küste. Die Erinnerungen daran sind aber kaum noch vorhanden – von Camping-Vorerfahrung zu sprechen wäre also übertrieben.
Wahl zwischen sechs Trekkingplätzen
Umso angespannter bin ich schon im Vorfeld. Erste Herausforderung: Welche Plattform nehme ich? Zwischen sechs Trekkingplätzen – Holzplattformen mit angeschlossener Sitzbank, Tisch und einer Komposttoilette – muss ich auf der Internetseite des Naturparks wählen. Nach kurzem Betrachten der Bilder entscheide ich mich für Platz Nummer vier: „Talblick“. Das zugehörige Foto ist vielversprechend, langes Abwägen daher überflüssig. Die anderen Plattformen, die „Laubdach“ oder „Breite Schneise“ heißen und fünf bis zehn Kilometer Luftlinie von meinem Platz entfernt liegen, bieten den Bildern zufolge nicht so einen schönen Ausblick wie der „Talblick“. Bezahlt werden kann per PayPal: 15 Euro.
Jetzt, wo ich nach rund zweistündiger Anfahrt aus Hagen vor Ort bin, werde ich nicht enttäuscht. Von einem Parkplatz für Wanderer aus erreiche ich den Trekkingplatz nach 200 Metern über einen Schotterweg. Und der Aufbau meiner Unterkunft für die Nacht gestaltet sich unkompliziert: Reißverschluss auf, zwei Haken lösen und schon steht das Wurf-Zelt vor mir.
Jetzt die Heringe für das Zelt in den Boden rammen? Geht hier nicht auf einer Holz-Terrasse. Für einen längeren Aufenthalt hätte ich das Zelt wohl noch an der Plattform befestigt – die notwendigen Möglichkeiten sind in Form von Metall-Ösen vorhanden. Für die eine Nacht aber müssen mein schwerer Rucksack, Schlafsack und die Luftmatratze zur Beschwerung reichen. Zeit ist jetzt noch genug, um die Aussicht zu genießen und die faszinierende Umgebung auf mich wirken zu lassen, bevor es ins Bett geht.
Dabei sind mir, dem Camping-Neuling, im Vorfeld viele Gedanken durch den Kopf geschossen: Was würde ich für meine Nacht in der wilden Natur wohl alles brauchen? Wechselkleidung bei Regenwetter? Thermo-Unterwäsche für den Fall eines Wintereinbruchs? Waffen zur Verteidigung vor gefährlichen Tieren? Nach einem Gespräch mit meinem Mitbewohner – einem passionierten Wanderer und Camper – hatte ich mich im Vorfeld gegen all das entschieden. Zu Recht, wie ich merke. In meinem Rucksack landeten auf seinen Ratschlag dann doch lieber drei große Wasserflaschen, eine Taschenlampe, Besteck und fertig geschmierte Brote.
Erste Bedenken kommen auf
Als ich mich nun an den Holztisch der Plattform setze, säuselt der Wind so sanft durch die Fichten um mich herum, dass die Vermutung nahe liegt, er würde mir ein schönes Jazz-Lied spielen wollen. In dieses Stück stimmt auch gleich eine Handvoll Grillen mit ein, die in der Melodie mit Ihrem Zirpen die Sopran-Stimme übernehmen.
Inmitten dieser wunderschönen Szenerie kommen in mir jedoch Gedanken auf, die die bevorstehende Nacht betreffen: Was wäre, wenn ein wildes Tier oder noch schlimmer – ein Verbrecher – mich in meinem Zelt heimsuchen würde? Das nächste bewohnte Haus: Kilometerweit entfernt. Die eigene Verteidigungsfähigkeit: überschaubar. Waffen, um sich gegen etwaige Kontrahenten schützen zu können? Sind ja – siehe oben -nicht vorhanden. Ein stumpfes Brotmesser hätte ich im Notfall vielleicht noch zur Hand.
Ich versuche, die Bedenken bei einem schönen Abendessen zu verdrängen. Gut nur, dass ich neben den geschmierten Broten auch noch Käsewürfel, Salami, Wein und Weintrauben eingepackt habe. So ein Campingausflug kann auch etwas für Genießer sein. Bei bester Aussicht erfreue ich mich noch eine Weile am schönen Abend, bis die Müdigkeit mich in meinen Schlafsack zieht.
Die Befürchtungen, durch die Sorge vor unerwünschten Gästen nicht einschlafen zu können, sind – nicht nur wegen des Weins – unbegründet. Durch die vielen Eindrücke und einen anstrengenden Tag bin ich gegen 22 Uhr so müde, dass es keine fünf Minuten dauert, bis ich einschlafe.
Mitten in der Nacht weckt mich dann jedoch meine Blase. Zum Glück habe ich meine Taschenlampe dabei. Ein kurzes „Klick“ und der Weg zur wenigen Meter entfernten Komposttoilette ist hell erleuchtet. „Wie es da drin wohl riecht?“ frage ich mich. Man muss wissen: Komposttoiletten ähneln in ihrer Bauart einem Plumpsklo, es gibt kein laufendes Wasser. Doch auch diese Sorgen sind haltlos.
Nach erfolgreicher Rückkehr kann ich noch ein paar Stunden schlafen, bevor mich mein Biorhythmus pünktlich um kurz nach fünf weckt. Ich ziehe das Zelt auf, setze mich auf die Bank an der Plattform und genieße das Morgenrot. Die ersten Vögel fangen an zu zwitschern und auf der Lichtung vor mir grast eine Ricke mit Ihrem Jungen. Rund eine halbe Stunde genieße ich den Moment, der so ruhig, friedlich und erholsam ist, dass ich ihn hätte einfrieren können, um ihn bei Bedarf immer herauszuholen und lebhaft zu machen.
Ein Zauberer auf einem weißen Pferd wie bei „Herr der Ringe“ kommt bis zu meiner Abreise zwar nicht mehr vorbeigeritten, für mich persönlich ist die Zelt-Erfahrung auf dem Hallenberger Zelt-Platz aber trotz zwischenzeitlicher Bedenken zweifelsfrei – eine echte Happy-End-Geschichte.