Hagen. Heimspiel in Hagen: Was Schauspieler Sabin Tambrea über die Liebe sagt und warum er seine Eltern für Helden hält.
Kein Blitzlichtgewitter. Kein roter Teppich. Hagens berühmter Sohn kommt leise zurück in seine Heimatstadt, aber mit einem besonderen Geschenk im Gepäck. Schauspieler Sabin Tambrea liest auf Einladung unserer Redaktion aus seinem ersten Roman „Nachtleben“ im Pressehaus Hagen. Knapp 50 Besucher – mehr passen nicht in den Raum – erfahren fasziniert und gespannt, dass der Filmstar eine bescheidene, kluge, zugewandte Persönlichkeit ist – und ein hochbegabter Künstler. So wird der Abend zu einer Mischung aus Literatursalon und Familientreffen. „Ich durfte bereits einige Lesungen halten mit meinem Buch, und heute ist das erste Mal, wo ich aufgeregt bin. Es ist emotional sehr beglückend“, sagt Sabin Tambrea.
Warum die Lesung in der neuen Arena dem viel zu früh verstorbenen Theaterkünstler Werner Hahn gewidmet ist, und warum die Zeitung überhaupt Veranstaltungen anbietet, schildert Chefredakteur Dr. Jost Lübben. „Für uns schließt sich heute ein Kreis. Wir wollten einen Raum schaffen, in dem wir kommunikativ sind, einen Ort des Austauschs und der Inspiration. Als Regionalzeitung verstehen wir uns als jemand, der Kultur möglich macht. Gerade die Stadt Hagen braucht Austausch und Miteinander.“
Eine Hommage an Werner Hahn
Ein früherer Nachrichtengroßraum, der im Zeitalter der Digitalisierung seine Funktion verloren hat, ist zur Arena umgebaut worden; und Werner Hahn hatte für die Einweihung das Theaterstück „Mücken auf der Haut“ geschrieben. Kurz vor der Uraufführung starb der beliebte Theaterkünstler plötzlich und unerwartet am 2. September 2021 im Alter von nur 65 Jahren.
Sabin Tambrea ist ein Meisterschüler von Werner Hahn, er gehört zum Gründungsteam der Jungen Bühne Lutz am Theater Hagen. „Ich freue mich, hier zu sein. Es ist ein Abend, wo wir die Leichtigkeit feiern wollen. ,Auch wenn‘s schwer ist, der Kopf ist über Wasser‘, das ist etwas, was Werner Hahn mir immer beigebracht hat – mit einem Lächeln, und Sie können sich vorstellen, wie dieses Lächeln ausgesehen hat.“
Liebe reicht über den Tod hinaus
Kooperationspartner der Lesung ist die Buchhandlung am Rathaus in Hagen, und Inhaber Oliver Kraus kann sich nach Lesung und Diskussion über ein lebhaftes Interesse am Büchertisch beim Signieren freuen. Denn Sabin Tambrea hat zuvor einen faszinierenden Einblick in sein Buch „Nachtleben“ ermöglicht – die Geschichte eines Liebespaares, das füreinander bestimmt ist, aber auf ruckeligen Wegen zusammen kommt und später in Realität und Traum verschränkt über den Tod hinaus nicht voneinander lassen kann.
Einige Schauplätze des Romans sind in Hagen angesiedelt, so der Schulhof des Albrecht-Dürer-Gymnasiums, wo Sabin Tambrea Abitur machte, die Stadthalle Hagen, wo seine Eltern, beides Orchestermusiker, im Sinfoniekonzert spielten und das Seniorenheim in Wehringhausen, wo er seinen Zivildienst leistete.
Dort handelt auch die Episode mit dem nach einem Unfall gelähmten Herrn Döring, dem das Mädchen Anna als Praktikantin im Heim in bester Absicht den Besuch einer Generalprobe des städtischen Orchesters ermöglicht und dadurch eine tragische Retraumatisierung auslöst.
Der Zauber der Sprache
Die Gäste lauschen wie gebannt dem Zauber der Sprache, die sich vor ihnen entfaltet, dem Text, der so rhythmisch und poetisch dicht gewoben ist und mit so wenigen Worten so viel zu sagen vermag, diesen Worten, die völlig neu und unverbraucht wirken, der Sprachmelodie, vorgetragen von einem Künstler, der über eine außergewöhnlich sensible und modulationsreiche Sprechstimme verfügt. Auf dieser Lesung liegt ein Zauber.
„Es geht in der Szene mit Herrn Döring ums Zuhören“, schildert Sabin Tambrea später in der Diskussion. „Herr Döring versucht, den anderen Heimbewohnern zuzuhören und schenkt ihnen ein Lächeln. Dieses Zuhören ist sehr wichtig, weil es heute schwierig ist, den eigenen Horizont zu erweitern. Jeder findet seine eigene Realität, wenn er sie finden will, man ist nicht mehr offen.“
So schließt sich der Kreis erneut. Denn Werner Hahn konnte Zuhören. Auch Menschen, denen sonst keiner zuhörte. „Werner Hahn hat diese Stadt so sehr bereichert, indem er jungen Menschen eine Perspektive gegeben hat, wohin sie ihren Ärger, ihren Frust, ihre Träume lenken konnten. Er hat auch bei mir persönlich dafür gesorgt, dass ich den Teppich nicht verlasse. Wie Werner für das Theater brannte, kann man sich nicht vorstellen.“
Kultur ist systemrelevant
Eng mit der Hommage an Werner Hahn zusammen hängt die Frage nach der Rolle von Kultur in unserer Gesellschaft. Sabin Tambrea: „In der Corona-Pandemie ist die Frage aufgekommen, ob Kultur systemrelevant ist. Das ist eine gefährliche Überlegung, es ist brandgefährlich, für lange Zeit zu denken, dass wir auf Kultur verzichten könnte. Denn Kultur ist das, was unser Denken für die Zukunft wappnet.“ Deshalb gibt es eine weitere Premiere: Sabin Tambrea liest das erste Kapitel aus Werner Hahns letztem Theaterstück „Mücken auf der Haut“ vor, mit dem die Arena eröffnet werden sollte.
Sabin Tambrea ist als Flüchtlingskind in Hagen aufgewachsen. Sein Vater, der Geiger Bela Tambrea, floh vor der kommunistischen Diktatur in Rumänien und holte seine Familie nach. „Mein Vater und meine Mutter sind die größten Helden, die ich je kennengelernt habe“, sagt Sabin Tambrea. Diese Familiengeschichte wird Thema des zweiten Romans, an dem er bereits schreibt. „Aber darin geht es nicht um mich. Wir unterscheiden von unserer privilegierten Warte herab gerne die Flüchtlinge nach den Gründen für ihre Flucht, Armut oder Krieg. Ich möchte zum Verständnis beitragen, was einen Mann oder eine Frau dazu bringt, die Heimat zu verlassen, um den eigenen Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen.“
Sabin Tambrea: Nachtleben. Atlantik, 20 €.