Paderborn/Essen. Alarmstimmung in den Bistümern Essen und Paderborn. Noch nie sind so viele Christen ausgetreten. Was die Kirche jetzt machen sollte.
Die katholische Kirche in Deutschland versinkt immer tiefer in der Krise. Die Zahl der Kirchenaustritte ist auch 2021 wieder sprunghaft angestiegen, wie die gestern veröffentlichte Statistik zeigt. Längst nicht mehr verlassen nur kirchenferne Katholiken das Mutterschiff, sondern gerade die Engagierten gehen. „Insgesamt zeigt diese dramatische Zahl: Es gibt keine Selbstverständlichkeiten mehr für uns als katholische Kirche. Zur Kirche zu gehören ist ebenso wenig eine Selbstverständlichkeit wie aktiv in ihr mitzuwirken“, so der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing.
Das Erzbistum Köln verzeichnet unter allen Diözesen den Austritts-Rekord: Fast 41.000 Katholiken sind gegangen, das sind mehr als 100 Austritte täglich. Der bundesweite Trend spiegelt sich auch im Erzbistum Paderborn und im Bistum Essen. Noch nie sind so viele Christen im Erzbistum Paderborn ausgetreten wie im Jahr 2021: 16.310, das sind über 6000 mehr als im Jahr davor.
Negativrekord seit der Gründung
Das Bistum Essen ist seit dem Jahr 2010 um 150.000 Katholiken geschrumpft, das ist umgerechnet die Einwohnerzahl einer Großstadt. 9133 Austritte markieren für 2021 einen historischen Negativrekord seit der Gründung des Ruhrbistums im Jahr 1958. Die katholische Kirche im Bistum Essen zählt heute noch gut 700.000 Mitglieder, im Erzbistum Paderborn noch 1.406.872. Die rechnerischen Differenzen ergeben sich aus zusätzlichen demografischen Faktoren wie Todesfällen oder Wegzügen.
Die Verantwortlichen reagieren unterschiedlich auf den Zahlenschock. Generalvikar Klaus Pfeffer aus dem Bistum Essen verortet die Ursache in einem „schier unaufhaltsam steigenden Vertrauensverlust der katholischen Kirche“, den vor allem die „schrecklichen Missbrauchstaten von Priestern und anderen kirchlichen Mitarbeitenden“ ausgelöst hätten.
Der Priester aus Neuenrade wertet es als „fatal“, dass die Aufarbeitung der Verbrechen bundesweit uneinheitlich erfolge und sich über einen sehr langen Zeitraum hinziehe. Hinzu komme, dass es innerhalb der deutschen Katholiken höchst unterschiedliche Auffassungen gebe, welche Konsequenzen aus den Erkenntnissen der verschiedenen Untersuchungen zu ziehen sind. „Selbst unter vielen treuen Gläubigen herrscht inzwischen der Eindruck vor, dass die Kirche es nicht wirklich ernst meint mit der Aufarbeitung“, so Pfeffer.
Keine Selbstkritik
Generalvikar Alfons Hardt aus Paderborn hält sich demgegenüber mit Selbstkritik zurück. Er betont stattdessen: „Wir müssen jetzt dranbleiben, weiter unsere Arbeit machen und beweisen, dass wir als Glaubensgemeinschaft der Welt etwas zu geben und anzubieten haben. Das sind nicht wir selbst, sondern das ist das, wofür wir stehen: die Botschaft vom Reich Gottes, das aufrichtende und freimachende Evangelium Jesu Christi.“ Hardt weiter: „Allen, die sich von der Kirche abwenden, die skeptisch sind oder sich zurückziehen, sage ich: Bleibt! Habt Mut zu neuem Vertrauen! Es lohnt sich. Die Kirche und alle, die ihr in der Tat auf unterschiedliche Weise ein Gesicht geben, leisten viel, vor allem für andere.“
Selbst verantwortete Skandale
Bischof Bätzing benennt hingegen unmissverständlich: „Die Skandale, die wir innerkirchlich zu beklagen und in erheblichem Maße selbst zu verantworten haben, zeichnen sich in der Austrittszahl als Spiegelbild. Dieses dürfen wir nicht verzerren, wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass die Kirchen wieder voller werden oder die Zahl der Gläubigen wieder steigt. Und dennoch bin ich überzeugt: Die Botschaft des Evangeliums hat Kraft, die wir mit allen, die der Kirche angehören, zur Entfaltung bringen können.“
Neben der Umsetzung von Reformen wie dem Synodalen Weg und der Aufarbeitung der Missbrauchs-taten regt der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer zudem eine verstärkte Kooperation mit der evangelischen Kirche an, die ebenfalls Rekordzahlen bei den Austritten verzeichnet. Pfeffer: „Als Christinnen und Christen müssen wir zusammenrücken und die konfessionellen Grenzen überwinden.“