Winterberg. Tödlicher Unfall im Mai, dazu weitere schwere Stürze und Rettungseinsätze per Helikopter im Juni: Ursachenforschung im Bikepark Winterberg.
Der letzte Fall ist eine Woche her: Ein 13-jähriger Junge verlor die Kontrolle über sein Fahrrad, stürzte und verletzte sich schwer. Der Rettungshubschrauber musste kommen. Adresse: Bikepark Winterberg. Eine Woche zuvor: Zwei Einsätze des Helikopters an einem Tag. Im Mai stürzte ein Mountainbiker aus dem Rheinland (49) sogar tödlich. Nach 2019 der zweite Todesfall. All diese Polizeimeldungen werfen die Frage auf, wie groß das Risiko bei einer Risikosportart sein darf.
Nico Brinkmann ist der Betreiber der Anlage. Er sitzt vor dem Holzhaus, in dem sich Räder und Schutzausrüstung geliehen werden können. „Mir geht es nahe, wenn etwas Schlimmes passiert“, sagt der 42-Jährige. „Fakt ist aber, dass es sich trotz aller Sicherheitsvorkehrungen um eine Risikosportart handelt, vergleichbar mit Motocross oder alpinem Bergsteigen.“
Bikepark Winterberg: Mittlerweile 13 Strecken auf 15 Kilometern
Seit 2003 gibt es die Anlage nahe der Bobbahn Winterberg. Vater Brinkmann überlegte einst, wie man seine Skilifte im Sommer wohl nutzen könnte. So entstand nach und nach der Bikepark, der mittlerweile 13 Strecken und 15 Kilometer auf einem riesigen Areal umfasst: blaue Strecken für Anfänger, rote für Fortgeschrittene, schwarze für Könner. Wie kommt es zu der Unfallserie? Gibt es einen Fehler im System? Müssen die Strecken womöglich entschärft werden? Wie wird überwacht, wer da wo fährt?
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Die Aufsichtsbehörde ist der Hochsauerlandkreis, dieser habe aber „keinerlei Einfluss auf den Betrieb des Bikeparks“, heißt es auf Nachfrage vom Kreis: „Strecken entschärfen oder verändern kann nur der Betreiber des Bikeparks.“
Einmal im Jahr – zu Beginn der Saison – begutachtet ein von der Behörde anerkannter Sachverständiger die Anlage. In diesem Jahr, berichtet Brinkmann, seien Baumstümpfe neben der Strecke abgerundet und entfernt worden. „Die Abnahme ist Anfang Mai 2022 erfolgt“, teilt der Kreis mit.
Bikeparks Winterberg und Willingen: Vergleichbare Zahlen bei Rettungseinsätzen
Ebenso sei behördliche Auflage, sagt Brinkmann, dass die Strecke vor der morgendlichen Öffnung und bei abendlicher Schließung in Augenschein genommen werde. „Zudem befinden sich sechs Mitarbeiter den Tag über im Gelände, um mögliche Veränderungen an der Strecke auszubessern.“
Über 30.000 Besucher verzeichnete der Park im vergangenen Jahr. E-Bikes und der durch Corona bedingte Inlandsurlaubs- und Outdoortrend machen den Höchstwert möglich. Mehr Besucher bedeuten aber schon rein mathematisch: mehr Unfälle. Im Schnitt einmal pro Tag, das belegen die Zahlen des Hochsauerlandkreises aus den vergangenen fünf Jahren, rückt der Rettungsdienst zum Bikepark aus, 1,7 Mal pro Monat kommt der Helikopter angeflogen. Vergleichbare Zahlen weist der ähnlich dimensionierte Bikepark in Willingen aus. „Das ist kein Vergleich zum Wintersport: Da haben wir in Winterberg manchmal 20 Einsätze am Tag – aber natürlich auch bei höheren Besuchszahlen“, sagt Brinkmann.
Wenn der Helikopter kommt, kommt auch die Polizei
Da es rund um Winterberg keine Kinderklinik gibt, wird bei minderjährigen Verletzten mit nicht eindeutiger Diagnose automatisch der Helikopter verständigt. „Wir hatten neulich einen Jungen, der sich beim Sturz den Lenker unterhalb der Schutzausrüstung in den Bauch gerammt hat. Es ging ihm vor Ort gut, aber der Rettungsdienst geht in solchen Fällen richtigerweise auf Nummer sicher“, sagt Brinkmann.
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Wenn der Helikopter ausrückt, dann wird auch die Polizei automatisch verständigt. In keinem der Fälle hat sie bislang Hinweise darauf gefunden, dass es neuralgische Stellen oder Nachlässigkeiten im Parcours gäbe, der vom recht einfachen Waldweg bis zum abenteuerlichen Sprungelement über Rampen, Wege und Gräben alles bereit hält. Es bleibt der Faktor Mensch: Jene Fahrer, die sich überschätzen, die einen Fahrfehler begehen.
Der im Mai tödlich verunglückte Sportler, sagt Brinkmann, sei ein erfahrener Mountainbiker und langjähriger Gast gewesen. „Er stürzte an einer Stelle, die es seit 15 Jahren gibt und nie großartig verändert wurde.“ Brinkmann versucht derzeit, Kontakt zur Familie aufzunehmen, um kondolieren zu können.
Fehlende Schutzausrüstung
Hundertprozentige Sicherheit kann er nicht garantieren. Ein Vollvisierhelm ist auf allen Strecken Pflicht, auf den schwarzen und einigen roten Strecken gilt Vollprotektorenschutz: Brust- und Rückenpanzer, Ellbogen-, Knie- und Schienbeinschutz. Empfohlen werde jedem Gast, die komplette Ausrüstung auf allen Strecken zu tragen. „Wenn wir sehen, dass jemand nicht richtig ausgestattet auf der Piste unterwegs ist, dann entziehen wir ihm bei Uneinsichtigkeit die Liftkarte. Tatsächlich sind Verletzungen manchmal darauf zurückzuführen, dass nur unzureichende Schutzausrüstung getragen wurde.“ Schilder am Start jeder Strecke erklären, was zu erwarten und welche Schutzausrüstung zu tragen ist.
Radsport: Publikumsmagnet und Bettenfüller in Winterberg
Die Schlagzeilen zuletzt sind nicht gerade Werbung für Winterberg. Doch der oberste Tourismusförderer der Stadt, Christian Klose, steht zu einem seiner Publikumsmagnete und Bettenfüller. Man wisse, dass die Betreiber „jeden Mountainbiker über alle Gefahren, Schwierigkeitsgrade und die jeweiligen fahrerischen Voraussetzungen intensiv und ausreichend informieren“, sagt er: „Natürlich hoffen wir immer, dass sich solche Unfälle nicht mehr ereignen, wir müssen aber auch festhalten, dass es in fast jeder Sportart gewisse Risiken gibt.“
Im vergleich zu früheren Jahren liege keine Zunahme an schweren Stürzen vor. „Die Aufmerksamkeit ist derzeit nur eine andere nach dem tragischen Todesfall im Mai“, sagt Brinkmann. „Wir können nicht alles entschärfen, dann wäre es nicht mehr der Sport, der er ist. Die Menschen kommen ja zu uns, um an ihre Grenzen zu gehen und das Adrenalin zu spüren.“