Hagen. Die Tanzsparte am Theater Hagen erhält eine neue, teamorientierte Leitungsstruktur. Warum das ein Experiment ist
Was wird aus dem Ballett am Theater Hagen? Die Position des Ballettdirektors bleibt auch in der neuen Spielzeit vakant. Intendant Francis Hüsers und Geschäftsführer Dr. Thomas Brauers haben sich für ein neues vorläufiges Leitungsmodell entschieden. Ballettmanagerin Waltraut Körver soll die Sparte führen, während Gastchoreographen die künstlerischen Akzente setzen.
Seit einer Spielzeit ist die Position der Ballettdirektorin in Hagen vakant. Marguerite Donlon wechselte damals nach Osnabrück und nahm einen großen Teil der Hagener Tänzer mit. Die neu aufgestellte Compagnie wurde von Waltraut Körver geleitet, während die angesehenen Choreographen Gundula Peuthert, Urs Dietrich und Kevin O’Day bemerkenswerte Tanzabende kreierten. Diese Konstruktion soll vorerst weitergeführt werden. „Wir wollen die Stelle zunächst nicht besetzen. Auch andere Häuser haben keine formelle Leitung im Ballett. Es wäre ein interessantes Strukturexperiment, ob man in enger Beteiligung mit der Compagnie mit Gastchoreographen arbeiten kann. Was wir in dieser Spielzeit gelernt haben, ist, dass man die Stärke des Ensembles nutzen muss“, so Hüsers.
Es muss für Hagen passen
Dabei ist die Lösung eher pragmatisch als ideologisch motiviert. Auf die vakante Position gibt es ausreichend Bewerber, mindestens drei seien auch in der engeren Auswahl. „Für mich persönlich ist sehr wichtig, wie die Personalie in das Gesamtgefüge Theater Hagen mit fünf Sparten zusammenpasst. Mir ist es wichtig, dass das Ballett in Operette und Musical vorkommt und gesehen wird. Deshalb brauche ich die Bereitschaft eines Ballettdirektors, dabei mitzuwirken. Meine Perspektive ist nicht, dass wir nie wieder einen Ballettdirektor haben, aber es muss passen.“
Die Tanzszene befindet sich derzeit in einem gewissen Umbruch. Durch Corona haben viele freischaffende Choreographen gelernt, dass eine feste Position mit festem monatlichem Einkommen erstrebenswert ist. Das sind aber nicht unbedingt Künstlerpersönlichkeiten, die ihren Lebensmittelpunkt nach Hagen verlegen und auch gesellschaftlich in der Stadt präsent sein wollen. Ein Leitungsmodell mit Gastchoreographen oder residierenden Choreographen würde laut Hüsers viele neue Chancen eröffnen. „Man geht ab von pyramidalen Leitungsstrukturen. Wir diskutieren im Bühnenverein schon lange über mehr Partizipation in der Leitung“, so Hüsers.
Ist eine Identifikationsfigur nötig?
Intensive Gespräche mit den Tänzerinnen und Tänzern hätten ergeben, dass man von einer Ballettdirektion vor allem Arbeitsschutz bei schwierigen oder unmöglichen Aufgaben erwarte. Künstlerisch seien die Tänzer, die in Hagen überwiegend ihre ersten Stellen antreten würden, zufrieden mit der Arbeit mit Gastchoreographen. „Es ist attraktiv für Tänzer, mit drei verschiedenen Choreographen zu arbeiten, auch weil sie dadurch mehr Kontakte haben.“ Zwei Drittel der Compagnie verlassen Hagen, aus Altersgründen, weil sie bessere Stellen gefunden haben oder einfach, um zu wechseln. Die Auswahl der neuen Compagnie hat der renommierte Choreograph Francesco Nappa beratend unterstützt, der in der kommenden Spielzeit in Hagen „Giselle“ gestalten wird. Auf die frei werdenden Stellen im Ballett haben sich 570 Tänzerinnen und Tänzer aus aller Welt beworben.
Die Ballettfreunde Hagen sehen die neue Leitungsstruktur kritisch. „Die Ballettfreunde haben mehrfach ihre Einschätzungen der Intendanz mitgeteilt und auf mögliche Auswirkungen der vakanten Ballettführung hingewiesen“, so Ursula Berns vom Vorstand des Fördervereins. Ballettmanagerin Waltraut Körver kommt von der Folkwanghochschule Essen, hat an den Theatern Münster, Bremen sowie Osnabrück gearbeitet sowie immer wieder als Dramaturgin und Managerin für Susanne Linke. Seit 2019 ist sie in Hagen.
Überlieferte Hierarchien
Geschäftsführer Thomas Brauers weiß, dass die Existenz eines Ballettdirektors alleine noch keine Probleme löst. Doch die Frage bleibt auch für den Intendanten: Kann das Ballett Hagen nach außen ohne die Identifikationsfigur eines Ballettdirektors oder einer Ballettdirektorin funktionieren? „Wir probieren da im Moment positive und negative Erfahrungen mit Kommunikationsstrukturen aus. Daraus können wir lernen. Seit Jahren, nicht erst seit der Me-too-Debatte, diskutieren wir über teamorientierte Leitungsstrukturen, und jetzt sagen wir: Wir brauchen aber einen Direktor?“. Die überlieferten Hierarchieebenen der Theater stehen ohnehin deutschlandweit auf dem Prüfstand. Daher wird die neue Leitungssituation am Ballett Hagen nicht nur vor Ort aufmerksam beobachtet. Hüsers: „Die Frage lautet: Ist das sozusagen die Zukunft. Darauf weiß ich noch nicht die Antwort.“