Hagen. Die Grünen sind in Südwestfalen erfolgreich, Abgeordnete gibt es aber nur wenige: Gregor Kaiser ist einer von ihnen. Was nun auf ihm lastet.
Ruht jetzt alle Last allein auf seinen Schultern? Muss er nun den grünen Wahlerfolg zumindest für das südliche Südwestfalen allein im Alltag umsetzen? Gregor Kaiser überlegt kurz und sagt: „Nein, eine Last spüre ich nicht. Aber schon Respekt vor der Verantwortung. Und allein bin ich ja auch nicht.“ Der 47-Jährige aus Lennestadt im Kreis Olpe ist Sozialwissenschaftler mit Doktorteil, er hat aber auch den elterlichen Betrieb übernommen, produziert Bio-Weihnachtsbäume, die von seinen Schafen vom hohen Gras freigefressen werden, er ist vierfacher Vater – und er ist nun Landtagsabgeordneter.
Das kam am Sonntag bei der Wahl nicht wirklich überraschend. Seit sich in Umfragen abzeichnete, dass die Grünen ein sehr gutes zweistelliges Ergebnis erzielen würden, konnte Kaiser damit rechnen, dass sein Platz 28 auf der landesweiten Liste der Grünen für ein Mandat in Düsseldorf reichen wird. Genauso absehbar war auch schon länger, dass er in seinem weiteren Umkreis wohl der einzige Abgeordnete seiner Partei sein würde.
Grüne haben kräftig im Sauerland zugelegt
Die Grünen haben zwar in Südwestfalen nicht ganz so kräftig zugelegt wie im NRW-Durchschnitt, wo ein Plus von knapp zwölf Prozent zu Buche schlug. Aber auch in den Tiefen des Sauerlands legen sie um sieben bis acht Prozentpunkte zu, im Kreis Soest sind es sogar knapp zehn Prozent. Überall haben die Grünen zweistellige Ergebnisse eingefahren. Aber flächendeckend vertreten sind sie bei weitem nicht.
Und das ist eine Herausforderung für eine Partei, die aller Voraussicht nach als sehr starke Partnerin an einer Landesregierung beteiligt sein wird. Zwar waren auch in den vergangenen Jahrzehnten die kleineren Koalitionspartner nie annähernd flächendeckend vertreten wie CDU und SPD. Aber auch noch nie war ein „kleiner“ Koalitionspartner so stark wie die Grünen diesmal: 18 Prozent wecken Hoffnungen und Erwartungen.
Dass Gregor Kaiser, der Neu-Abgeordnete aus dem Kreis Olpe, sich angesichts dessen nicht ganz allein fühlt, liegt zum einen an Dagmar Hanses. Die 47-jährige aus Warstein im Kreis Soest saß schon einmal von 2010 bis 2017 für die Grünen im NRW-Landtag. Jetzt hat die Erzieherin nach fünf Jahren Pause den Wiedereinzug geschafft.
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Doch Kaiser schaut nicht nur auf Südwestfalen: „In der Eifel haben die Menschen doch ganz ähnliche Probleme, wenn es um die Herausforderungen des ländlichen Raums geht“, sagt Gregor Kaiser. „Es werden also viele Abgeordnete auch bei den Grünen die gleichen Interessen haben.“
Was das grüne Urgestein Johannes Remmel sagt
Bei Johannes Remmel stößt diese Sichtweise auf große Zustimmung. Der 59-Jährige aus Siegen ist ein grünes Urgestein in NRW: Seit 27 Jahre ist er in der Landespolitik aktiv, war Landesumweltminister unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, saß 22 Jahre im Landtag, jetzt tritt er ab. Dass Gregor Kaiser aus dem Nachbarkreis Olpe jetzt in weiten Teilen Südwestfalens allein die grüne Landespolitik stemmen muss, hält Remmel für machbar: „Ich habe zuletzt ja auch als einziger Abgeordneter fünf Kreise betreut.“ Und man habe extra den Grünen-Bezirksverband Westfalen gegründet, um die Interessen des ländlichen Raums von Münster bis Siegen zu bündeln: „Ob Coesfeld oder Hochsauerlandkreis, das sind alles Industrieregionen im Grünen. Da geht es darum, Mobilität ohne fossile Brennstoffe zu garantieren, die erneuerbaren Energien in der Fläche zu etablieren.“
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Gleichwohl mahnt Remmel auch, dass der Schwung des guten Landtagswahlergebnisses genutzt werden müsse, um die Organisationsstruktur in Südwestfalen zu verbessern und die letzten weißen Flecke für die Grünen zu schließen: „Die goldene Regel ist ja: Wo wir kommunalpolitisch erfolgreich sind, sind wir es auch im Land und im Bund.“
Politologe: Die Wahl ist auf dem Land gewonnen worden
Professor Norbert Kersting, Politologe an der Universität Münster, in Brilon im Sauerland aufgewachsen und auch heute noch bestens vertraut mit den Verhältnissen in Südwestfalen, unterstreicht das: „Etablierte Strukturen helfen immer, handlungsfähig und auch ansprechbar für die Bürger zu sein.“ Aber trotz des Erfolgs der Grünen werde es für die Partei nicht einfach sein, flächendeckend die personelle Decke zu vergrößern: „Da werden die Grünen die gleichen Probleme haben wie andere Parteien und Institutionen: Viele Menschen wollen sich nicht fest binden.“
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Kersting ist sich ziemlich sicher, dass CDU und Grüne inhaltlich zueinander kommen werden, bei Energiewende, Mobilitätswende und Digitalisierungsschub gemeinsame Ziele formuliert werden können. Dass dabei mit den Grünen, die besonders stark in Großstädten sind, Themen der Ballungsräume Überhand nehmen könnten, befürchtet Norbert Kersting nicht: „Diese Wahl ist doch auf dem Land gewonnen worden – von der CDU, aber auch von den Grünen, wenn man dort die Zugewinne sieht. Bei den Koalitionsverhandlungen wird man das nicht vergessen.“