Elspe/Warschau. Warum der Schauspieler Jean-Marc Birkholz den Krieg gegen die Ukraine verabscheut. Und was das mit Karl May zu tun hat.

Winnetou ist ein Held, der stets für Gerechtigkeit und Frieden eintritt. Beim Elspe-Festival wird Jean-Marc Birkholz als edler Apachenhäuptling gefeiert. Auch in diesem Sommer reitet er wieder über die große Naturbühne. Privat ist der populäre Schauspieler eng mit der Ukraine verbunden und konnte mit seiner weißrussischen Familie dem Krieg nur mit Mühe ausweichen. Im Interview mit unserer Redaktion schildert Birkholz, wie er die Situation erlebt.

Sie sind mit der weißrussischen Schauspielerin Valentina Gartsueva verheiratet und leben in Berlin und Minsk. Wie sehen Sie aus dieser räumlichen Nähe Russlands Angriff auf die Ukraine?

Jean-Marc Birkholz: Ich verachte diesen Angriff auf die Ukraine, diesen Krieg, aus tiefstem Herzen. Im Januar war ich das letzte Mal in Kyiv (Kiew), habe das neue Jahr und meinen Geburtstag dort gefeiert. Ich habe Freunde und Kollegen dort, die mir viel bedeuten. Obwohl ich Kyiv in der letzten Zeit nur noch über den bedeutend längeren Umweg via Istanbul erreichen konnte, war ich sehr oft dort. Teils wegen Filmarbeiten, teils aus Liebe zur Stadt. Der Direktflug Minsk-Kyiv dauerte vor der Schließung des Luftraums nur eine Stunde.

Angst, nicht mehr hinaus zu können

Sie sind zunächst geblieben?

Seit Beginn des Krieges haben sich immer mehr meiner belarussischen Freunde gewundert, dass ich noch da bin. Viele von ihnen verließen das Land auf unbestimmte Zeit. Auch aus Angst, in diesen Krieg auf irgendeine Weise mit hineingezogen zu werden und aus Angst, nicht mehr hinauszukönnen. Im Hinblick auf meine Sommerverpflichtung in Elspe entschied ich mich, mein Apartment in Minsk kurzfristig aufzulösen und das Land zu verlassen. Ein schwerer Schritt für mich, da mein Herz an Minsk hängt. Der Abschied war tränenreich, bei meinen Freunden und bei mir. Wegen neuer Flugverbote ging es mit einem Reisebus erst nach Warschau, dann weiter nach Berlin.

Wie beurteilt die Bevölkerung in Belarus den Krieg?

Die Menschen, die ich in Belarus kenne, verabscheuen diesen Krieg ebenso sehr wie ich. Anders als eine Handvoll meiner russischen Freunde, die die Staatspropaganda 1:1 nachbeten. Ein Gespräch mit ihnen ist nicht mehr möglich. Es ist erschreckend für mich. Ich erkenne sie nicht wieder.

Wir erreichen Sie in Polen. Sind Sie beruflich dort?

In erster Linie habe ich meine Frau und ihre Familie nach langer Zeit wiedergesehen. Wegen eines Arbeitsverbotes in der Heimat pendeln sie teilweise schon länger zwischen der Ukraine, Polen und Minsk. Die Tante meiner Frau ist eine bekannte Journalistin und musste über Nacht das Land verlassen, ihr Vater war Intendant des Belarussischen Dramatheaters, ihre Mutter war erste Schauspielerin am Nationaltheater, so wie sie auch. Sie alle waren tief verwurzelt in der Heimat. So etwas reißt man nicht einfach aus der Erde.

Lesungen mit dem Goethe-Institut

Aber Sie werden auch zu Lesungen in Polen eingeladen?

Was Lesungen betrifft, habe ich in Polen die Verbindung zu „Reineke Fuchs“ von Goethe wiederhergestellt. Diese Lesung habe ich in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Minsk realisiert. Es war eines der letzten Projekte des Goethe-Institutes dort, bevor es geschlossen wurde und zahlreiche seiner Mitarbeiter das Land verließen, unter anderem eben auch nach Polen gingen. „Reineke Fuchs“ auf Belarussisch und Deutsch: Ich lese auf Deutsch, meine Frau auf Belarussisch. Viele Zufälle waren es, die diese Arbeit möglich machten. Allein das Auffinden der belarussischen Übersetzung von Vital Wolski war ein Abenteuer. Sein Enkel, Ljawon Wolski, hat die Titelmusik für uns geschrieben, er ist ein Star in Belarus. Das ganze Abenteuer der Entstehung von „Reineke Fuchs“, bis hin zur nicht erfolgten Erstaufführung durch die Schließung des Institutes, ist auch Teil unserer Lesung. Ich hoffe, dass wir bald Aufführungsmöglichkeiten in Deutschland finden.

Die Macht der Gerechtigkeit ist stärker

Sie würdigen intensiv das Schaffen des Schriftstellers Karl May: als Winnetou-Darsteller beim Elspe-Festival, aber auch mit Hörbuch-Produktionen und Lesungen. Wie beeinflusst die Figur Winnetou Ihre Haltung zum Krieg?

Dass ich Krieg im Großen und im Kleinen verabscheue, ist kein Geheimnis. Karl May hat mit zunehmendem Alter sein Ideal einer friedlichen Welt immer ausführlicher beschrieben. Und es war einer dieser Zufälle, die eigentlich keine sind, dass ich sein Alterswerk „Ardistan“ und „Der Mir von Dschinnistan“ als Hörbücher für den Karl-May-Verlag eingelesen habe. Beide übrigens in Minsk. Die Spannungen der letzten Wochen vor dem Krieg sind in diese Bücher eingeflossen. Jeder Mensch, der andere Menschen regiert, sollte sie zur Pflichtlektüre erhalten. Als Winnetou habe ich das große Glück, das Unrecht zu bekämpfen und mich mit jeder Faser meiner Seele für ein friedliches Miteinander einzusetzen. Es geht ja bei Winnetou immer darum, dass ein vermeintlich Stärkerer, dem vermeintlich Schwächeren sein Eigentum oder seine Existenz streitig macht, um seines eigenen Vorteils wegen. Bei Karl May ist klar, dass es so nicht geht. Denn die Macht der Gerechtigkeit ist stärker und der Aggressor findet meist ein jämmerliches Ende. Ein Teil von mir ist in jeder meiner Rollen dabei. Hier jedoch fällt es mir besonders leicht.

Was kann die Kultur bewirken, um der Ukraine zu helfen?

Wenn der ukrainische Präsident darum bittet, die gelb-blauen Symbole seines Landes weltweit hinaus auf die Straßen zu tragen, spiegelt es die Hoffnung, auch meiner ukrainischen Freunde, Kollegen und Bekannten wider, das Leid, die Tränen der Kinder, Mütter und Väter und jeden Grund dafür, in ihrem Land nicht zu vergessen. Solidarität und Empathie gehen in großem Maß durch alle Teile der Gesellschaft. Und wenn die Kultur dabei nicht zum Selbstzweck wird, sehe ich es weiterhin als ihre Aufgabe an, nicht zu schweigen.

Information zur Saison 2022 beim Elspe-Festival unter www.elspe.de