Südwestfalen. Ukraine-Krieg: Die erschütternden Nachrichten prasseln medial auch auf junge Menschen ein. So gehen Schüler und Pädagogen mit den Sorgen um.

Nach dem Aufwachen der erste Griff zum Handy. Lilli Beckmänning öffnet eine Nachrichtenseite. Es ist der Morgen des 24. Februar 2022. „Dann habe ich gelesen, dass es Krieg in Europa geben wird“, sagt die 18-Jährige aus Wetter. Der Schock wird an diesem Schultag den Unterricht überlagern – und das nicht nur in den höheren Klassen. Auch Grundschulkinder haben Ängste, die oft noch diffuser sind. Lehrkräfte sehen sich mit einem psychologischen Drahtseilakt konfrontiert: Wie redet man ernsthaft und gleichzeitig schonend mit Kindern und Jugendlichen über den Krieg?

Die Gymnasiasten

Lilli Beckmänning hatte die sich zuspitzende Ukraine-Krise in den Medien verfolgt, den Kriegsausbruch bereits befürchtet. Auch bei ihren Mitschülern am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Wetter sei der Konflikt in den vergangenen Wochen sehr präsent gewesen – neben Corona und einer anstehenden Vorabiturklausur. Doch in diesen Tagen weicht der Unterrichtsstoff der aktuellen Nachrichtenlage, denn es besteht Redebedarf: „Selbst bei denen, die sonst emotional nicht so viel preisgeben, hat man gemerkt, dass die ziemlich stark verunsichert sind.“

Normalerweise im Unterricht nicht erlaubt, liegen die Handys jetzt offen auf den Tischen. „Wir haben ständig die News-Ticker aktualisiert und den Lehrern dann Fragen gestellt“, sagt Lilli Beckmänning. Wie groß die Gefahr eines Atomkriegs sei, beispielsweise. Und ob die EU nur ein Wirtschaftsbündnis sei oder ob auch etwas Militärisches dahinterstehe.

Irgendwann habe jemand die Meldung vorgelesen, dass 18- bis 60-Jährige nicht mehr aus der Ukraine ausreisen dürfen: Vor allem die Jungen in ihrer Stufe hätten unweigerlich darüber nachgedacht: „Wenn ich jetzt in der Ukraine leben würde, könnte es sein, dass meine Familie mich verlassen und ich kämpfen müsste.“ Auch über eine Wehrpflicht in Deutschland sei dann gesprochen worden.

Lilli Beckmänning (18) ist Schülerin am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Wetter.
Lilli Beckmänning (18) ist Schülerin am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Wetter. © WP | Privat

„Die Stimmung wurde von Stunde zu Stunde bedrückender“, schildert auch Julius Lachmann (16) aus Menden seinen Schultag nach der russischen Ukraine-Invasion. Im Laufe des Tages sei ihm und seinen Mitschülern am Städtischen Gymnasium an der Hönne das Ausmaß der Situation immer bewusster geworden. Vorher hätten sich viele in seinem Alter kaum mit dem Konflikt in der Ost-Ukraine beschäftigt: „Man hat es zwar in den Medien verfolgt, aber stark dafür interessiert hat sich glaube ich keiner von uns.“ Jetzt würde nicht nur im Unterricht, sondern auch auf dem Schulhof viel darüber gesprochen, oft aufs Handy geguckt, Nachrichten ausgetauscht. Gesprächsangebote gebe es viele, von den Lehrkräften und der Sozialarbeiterin. „Ich glaube, das ist auch wichtig“, so der 16-Jährige. Denn es herrsche viel Unverständnis. Die Frage „Warum?“ werde am meisten gestellt.

Die Grundschulkinder

Die Ängste vieler Grundschüler seien dagegen konturloser, sagt Melanie Leber, Sozialtherapeutin und Kinderschutzfachkraft sowie Leiterin der offenen Ganztagsschule an der Städtischen Grundschule Bad Laasphe. „Kann der Krieg auch nach Deutschland kommen“, hätten Viertklässler gefragt. „Die gucken tatsächlich auf dem Globus nach, wie weit die Ukraine weg ist.“

In einer Arbeitsgemeinschaft, die Melanie Leber leitet, habe sie bewusst auch Kinder mit russischen Wurzeln zu Wort kommen lassen, um Rassismus vorzubeugen: „Damit alle verstehen, dass es nicht bedeutet, dass ein Kind Krieg möchte, nur weil es russischstämmig ist.“ Gleichzeitig gebe es Kinder mit Kriegserfahrungen: „Da sind wieder alle Traumata da.“

Um Hoffnung zu geben, sei es wichtig, die Friedenssymbolik größer zu machen, als die des Kriegs: „Wir versuchen Sicherheit zu vermitteln, dass wir alle gemeinsam in Europa für den Frieden zusammenstehen.“

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Natürlich könnten kleinere Kinder ihre Gefühle noch nicht so gut artikulieren, sagt Melanie Leber. Sie empfiehlt Eltern, ihre Kinder vor unkontrolliertem Medienkonsum zu schützen und sie nur spezielle Kindernachrichten schauen zu lassen.

Die Pädagogen

Unsicherheiten, ausgelöst durch Nachrichtenbilder, beobachtet auch Monika Aßheuer-Waller, Rektorin der Grundschule St. Engelbert in Brilon. Die Einordnung von dem, was medial auf Kinder einprassele, sei wichtig: „Wir thematisieren diese Fragen und Sorgen der Kinder behutsam“, so die Schulleiterin. Ein Patentrezept für Pädagogen gibt es nicht: „Zur Frage, wie man mit Kindern über Krieg redet, gibt es keine pauschale Antwort.“ Orientierung böten jedoch schulpsychologische Empfehlungen des NRW-Schulministeriums.

Grundschullehrer Jan Güntheraus Hagen empfindet diese Empfehlungen als „wirklich hilfreich“. In seinem Kollegium an der Dudenrothschule in Holzwickede habe man sich zwar auch direkt über das Thema ausgetauscht. Die Material- und Link-Sammlung des Ministeriums verschafften Lehrkräften jedoch eine akute Erleichterung. Die Videolinks nutze er beispielsweise für seine „aktuelle Stunde“, wie er sie nennt: Unterrichtszeit, die er dafür verwendet, mit den Kindern die Nachrichtenlage zu verarbeiten, um Ängsten vorzubeugen – und ein Gefühl von Sicherheit zu geben.

Ein Gefühl, das Lilli Beckmänning in diesen Tagen als Privileg empfindet: „Ich darf für meine Klausur lernen, Zeit mit meiner ­Familie verbringen. Ich darf in einem Haus leben, das nicht bombardiert wird, ich werde nicht aus meinem Umfeld gerissen.“ Bemerkenswert, dass ein Krieg erst so nah sein müsse, dass man so wachgerüttelt werde.