Hagen. Lange Schlangen für die Booster-Spritze? Das war einmal. Warum trotz Omikron-Höchstzahlen nun Ärzte schon Patienten hinterher telefonieren.

Der Satz von Tim-Henning Förster klingt fast wie ein Werbespruch. „Es war nie so einfach sich impfen zu lassen“, sagt der Hausarzt aus Medebach im Hochsauerlandkreis. Aber die Werbung verfängt nicht mehr. Nicht bei ihm. Nicht bei der Masse der anderen Ärzte. Und auch nicht bei den kommunalen Impfstellen der Kreise in der Region. Gab es vor Weihnachten teils noch lange lange Menschenschlangen, die sich eine Booster-Impfung als Auffrischung gegen das Coronavirus sichern wollten, so ist der Andrang jetzt flächendeckend eingebrochen.

Und das, obwohl das Ziel einer Erstimpfungs-Quote von mindestens 80 Prozent bis Ende Januar und einer möglichst hohen Zahl von Booster-Spritzen zumindest bundesweit nicht erfüllt wird. Kanzler Olaf Scholz hat das eingeräumt. In NRW ist das Ziel mit 79,7 Protzen zwar knapp erfüllt, beim Boostern aber noch viel Luft nach oben.

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Wie genau die Lage in den einzelnen Kreisen der Region ist, ist nur schwer zu sagen. Das Robert-Koch-Institut veröffentlicht hierzu – anders als bei der Sieben-Tage-Inzidenz – keine detaillierten Zahlen. Nur in Kreisen, die Zahlen für ihre Impfstellen zur Verfügung stellen, kann man die Quote berechnen. Dazu weiter hinten mehr.

Weit mehr als 40 Prozent in NRW nicht geboostert

Eine deutlich Sprache sprechen aber schon die Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL). Sie zeigen die Impfungen in den westfälischen Praxen von Anfang Oktober bis jetzt (siehe Grafik) – und damit den größten Teil des Impfgeschehens. Die klare Aussagen: Bei Erst- und Zweitimpfungen hat sich in den vergangenen vier Monaten nur wenig getan, und der Booster-Boom ist vorbei – obwohl NRW-weit noch mehr als 40 Prozent nicht geboostert sind.

Diese Zahlen können Ärzte aus der Region auch aus ihrer eigenen Erfahrung bestätigen. Wie eben Dr. Tim-Henning Försters aus Medebach. Er ist auch skeptisch, dass sich noch sehr viel tun wird: „Wer bis jetzt nicht geimpft wurde, hat in der Regel Beweggründe, die keine wissenschaftliche Grundlage haben und ist auf Schwurbler und Leerdenker reingefallen.“ Diese Patienten seien mit Argumenten schwer erreichbar. Nur wenige entschieden sich um: „Nach schweren Verläufen im persönlichen Umfeld wird der ein oder andere dann doch noch überzeugt.“

Dr. Ulrike Badzies aus Wetter kennt das Ringen um die Impfentscheidung. Kürzlich habe sich eine ihrer Patientinnen den Ruck für die Erstimpfung gegeben, die Angst davor hatte. „Nach langen Beratungen hat sie sich dafür entschieden.“ Besonders Risikopatienten versuche sie zu überzeugen. Was dazu kam: Bis Mitte Januar war Biontec knapp in Badzies Praxis. Gegen den verfügbaren Moderna-Impfstoff gab es jedoch Vorbehalte. Mittlerweile sei von beiden Herstellern genügend Impfstoff da – trotzdem erschienen jeden Impfnachmittag um die drei Leute nicht zum Termin.

In Dr. Stefanie Junkers Praxis in Olpe war bis in den Januar die Nachfrage sehr hoch: „Und dann ging es von jetzt auf gleich, dass ich oft hinterher telefonieren muss, um meine sieben Dosen am Tag auch wegzukriegen.“ An zwei von fünf Tagen sei das der Fall: „Gerade bei den Kinderimpfungen finden von 60 bis 70 geplanten Impfungen am Tag nur noch circa 50 statt, weil sich viele in der Zwischenzeit angesteckt haben.“

Hoffnung auf den Tot-Impfstoff der Firma Novavax

Ganz ähnlich das Bild in den kommunalen Impfstellen. Alle Kreise und Großstädte bieten in Impfstellen oder -bussen die Spritzen an – mit zunehmend mäßigem Erfolg.

„Die Nachfrage ist deutlich rückläufig“, sagt Alexander Bange, Sprecher des Märkischen Kreises, für den man die Impfquote annähernd berechnen kann: 75 % der Bevölkerung sind vollständig geimpft, die Booster-Quote liegt bei 49,1 %. „Waren es in den Impfbussen im Dezember noch teilweise über 1000 Impfungen in der Woche, sind es jetzt – bei teilweise mehr Stationen, die angefahren werden – 400 bis 500 pro Woche.“ Drei Impfstellen im Kreis werden noch betrieben, allerdings mit reduzierten Öffnungszeiten. Eine weitere – die in Menden – ist schon im „Standby-Betrieb“.

Der Kreis Siegen-Wittgenstein (genaue Impfquoten nicht bekannt) betreibt zwar weiter zwei Impfstellen. Aber Sprecher Manuel Freudenstein sagt: „Seit ein bis zwei Wochen werden vermehrt Termine aufgrund des derzeitigen Infektionsgeschehens abgesagt.“ Eine deutlich geringere Nachfrage gibt es auch im Ennepe-Ruhr-Kreis (genaue Impfquote nicht bekannt) und im Hochsauerlandkreis (Erstimpfungsquote: 79,6 %, Zweitimpfung: 73,3 % , Booster: 56,2 %): Der HSK ist flächenmäßig sehr groß, seit Januar konzentriere man sich aber auf nur noch vier mobile Impfstellen „mit dem größten Bedarf, die an zwei bis vier Tagen im Einsatz seien“, so ein Sprecher.

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In Hagen (Erstimpfungsquote: 77,3 %, Zweitimpfung: 73,2 %, Booster: 58,5 %) müht man sich weiter: Bis zum 11. Februar wird es in den Stadtteilen vor Ort Angebote geben. Im Impfzentrum in der Stadthalle sei die Nachfrage aber stark rückläufig, so Sprecher Michael Kaub, der aber einen kleinen Lichtblick sieht: „Wir erwarten mit der Lieferung des Impfstoffs der Firma Novavax Ende des Monats eine temporäre Steigerung.“

Wie sich dieser Tot-Impfstoff auf die Zahlen auswirken wird, erwartet man auch im Kreis Olpe mit großer Spannung: „Der Zulauf im Impfzentrum hat insgesamt abgenommen“, so Sprecherin Stefanie Gerlach. Das könne aber durch die ohnehin schon hohen Impfquoten begründet sein. Gut 84 Prozent der Gesamtbevölkerung sind zumindest einmal geimpft und gut 64 Prozent auch schon geboostert.