Bad Berleburg. Geht das Wisent-Projekt in Wittgenstein weiter oder wird es beendet? NRW-Umweltministerin Heinen-Esser war am Mittwoch in Bad Berleburg zu Gast.
Weihnachtsfrieden für die freilebenden Wisente im Rothaargebirge: Wie am Mittwoch auf einer Pressekonferenz mit NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser in Bad Berleburg mitgeteilt wurde, wird es keine „letale Entnahme“ – also eine Tötung der mächtigen Wildrinder – geben.
Diese Variante hat das jetzt vorgestellte 176-Seiten-Gutachten des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover ausgeschlossen. Das gleiche gelte für die Umzäunung der Tiere in einem Großgatter.
Entscheidung auf Grundlage des Gutachtens
Dürfen die streng geschützten Kolosse weiter durch südwestfälische Wälder streifen oder wird das Projekt abgebrochen? Die Koordinierungsgruppe hinter dem international beachteten Artenschutzprojekt in Wittgenstein will über die Zukunft der Wisente im Rothaargebirge auf Grundlage des Gutachtens entscheiden.
Und was sagt das ITAW? „Eine Empfehlung kann nicht ausgesprochen werden“, so Mitarbeiter Oliver Keuling, „je nach Kosten sind sowohl Herrenlosigkeit als auch Abbruch denkbar.“
2,6 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln
Die Koordinierungsgruppe will das Gutachten Anfang kommenden Jahres auswerten, so deren Vorsitzender, der Siegen-Wittgensteiner Landrat Andreas Müller, und dann zügig darüber entscheiden, ob das Projekt weitergeführt oder beendet wird.
Gutachter Keuling zufolge hat das Projekt, in das bislang mindestens 2,6 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln geflossen seien, „einen großen Modell- und Vorbildcharakter für die Arterhaltung“. Für eine Fortführung allerdings müssten aus seiner Sicht bestimmte Bedingungen erfüllt werden: eine intensivere wissenschaftliche Begleitung beispielsweise. Oder ein besseres Konfliktmanagement.
„Starke Partner“ gesucht
Zudem habe sich gezeigt, dass der kleine Trägerverein Wisent-Welt-Wittgenstein das Projekt- und Herdenmanagement nicht alleine stemmen könne. Man müsse „starke Partner“ hinzuziehen. Bernd Fuhrmann, 1. Vorsitzender des Vereins und Bürgermeister von Bad Berleburg, zieht während der Pressekonferenz ein As – oder besser: zwei – aus dem Ärmel: Man stehe mit der Deutschen Wildtierstiftung und dem Kölner Zoo in Gesprächen.
Umweltministerin Heinen-Esser kann in Bad Berleburg ihre Sympathie für das „herausragende Artenschutzprojekt nicht verhehlen: „Es liegt mir am Herzen“, sagt sie. Ergänzt aber: „Die Situation der Waldbauern auch.“
Streifgebiet vergrößert
Sinnbildlich für die Probleme, die es rund um die Wisente gibt, steht die Anreise der CDU-Politikerin. Der Ministerwagen steuert zunächst fälschlicherweise das Bürgerhaus im Ortsteil Aue an, nicht das gleichnamige Gebäude mitten in der guten Stube Bad Berleburgs. Die Wege – das ist der große Streitpunkt seit Beginn des Projekts.
Denn die Wildtiere mit den dicken Köpfen sind nicht, wie ursprünglich geplant, in einem 5000 Hektar großen Streifgebiet in Wittgenstein geblieben, sondern stiefeln gerne auch ins angrenzende Schmallenberger Sauerland. Und haben dort Schälschäden an Buchenbeständen im Privatbesitz angerichtet. Bislang in Höhe von 600.000 Euro, hieß es am Mittwoch. Deutlich mehr als erwartet, wie die Projektpartner eingestehen.
Zum zweiten Mal vor dem Bundesgerichtshof
Die Waldeigentümer sind wegen der Besuche auf ihren Grundstücken buchstäblich auf dem Baum. Zwei von ihnen sind mit ihren Klagen bereits zum zweiten Mal vor dem Bundesgerichtshof. Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen.
Der Siegen-Wittgensteiner Landrat Andreas Müller spricht von einer kompromisslosen und verhärteten Haltung der Waldbesitzer. Dabei habe das Schälen der Wisente an den Buchen keine nachhaltigen Schäden an den Beständen verursacht, zudem habe man finanzielle Entschädigungen geleistet.
„Konstruktive Lösung“ angestrebt
In vorweihnachtlicher Stimmung richtet er die „inständige Bitte“ ins Sauerland, „konstruktive Lösungen“ für „das in Westeuropa einzigartige Artenschutzprojekt“ zu versuchen und auf eine „Verweigerungshaltung“ zu verzichten.
Mit auf dem Podium sitzen auch Müllers Pendant aus dem Hochsauerlandkreis, Karl Schneider, und Schmallenbergs Bürgermeister Burkhard König. „Wir sind gesprächsbereit“, sagt Schneider. Aber auch: „Ich sehe keine Grundlage für die Fortführung des Projekts.“ Und Bürgermeister König: „Aus Sicht der Stadt sollte das Projekt zügig beendet werden.“
Acht Wisente im April 2013 ausgewildert
Die Zeit läuft. „Wir dürfen uns nicht vom Bundesgerichtshof juristisch überholen lassen“, sagt Landrat Müller. Man müsse vorher eine politische Entscheidung treffen. Die Politik, so kann man Ministerin Heinen-Essers Kopfnicken deuten, will auf die Tube drücken. Geord Feldmann-Schütte, einer der beiden klagenden Waldbauern aus Oberkirchen, kann seine Skepsis nicht verbergen: „Ich habe die Befürchtung, dass es bis zur NRW-Landtagswahl im Mai keine vernünftige Lösung geben wird.“
Der Trägerverein Wisent-Welt-Wittgenstein hatte am 13. April 2013 acht Wisente ausgewildert. Mittlerweile soll die Population etwa 25 Tiere betragen. Falls das Projekt weitergeführte werden sollte, empfehlen die Gutachter aus Hannover eine Begrenzung der Herde auf 20 Tiere.