Hagen/Sundern. Schnell und unbürokratisch? Wie Flut-Opfer bei der Beantragung von dringend benötigten Hilfsgeldern einem „bürokratischen Monster“ begegnen
Karl Schulte hatte sich die Sache mit der „schnellen und unbürokratischen“ Hilfe anders vorgestellt. Sein Haus in Sundern-Recklinghausen war im Sommer beim Hochwasser schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Er hatte der NRW-Landesregierung vertraut – die hatte eine schnelle und unbürokratische Hilfe versprochen.
Jetzt sagt er: „Man wird wahnsinnig.“ Er weiß jetzt, dass die Wiederaufbauhilfe des Landes viel mit Bürokratie zu tun hat.
Fünf Tage vergebliche Antrags-Versuche
Der Rentner (78) war in seinem Berufsleben im Baugewerbe tätig. „Ich kann auch mit dem Computer umgehen“, sagt er und will damit darauf hinweisen, dass er sich mit Anträgen und Internet auskennt.
Als am 17. September das „Online-Förderportal Wiederaufbau NRW“ freigeschaltet war, versuchte er fünf Tage lang, einen Antrag auszufüllen und ihn zusammen mit angehängten Dokumenten wie Schadensnachweisen und Kostenvoranschlägen abzuschicken. Es folgten Fehlermeldungen am laufenden Band.
Schäden größer als erwartet
Schulte rief mehrfach das Servicetelefon „Wiederaufbau NRW“ an und schrieb E-Mails. „Irgendwann ging der Antrag raus.“ Nach zwei Monaten erfuhr Schulte „eher durch Zufall online“, dass der Antrag bewilligt sei. 40 Prozent der Summe wurde im ersten Schritt auf sein Konto überwiesen.
Zwischenzeitlich hatte ein Sachverständiger das Haus unter die Lupe genommen. Jetzt erhielt Schulte das Gutachten: „Der komplette Estrich muss raus. Die Sanierung wird doppelt so teuer als ursprünglich veranschlagt.“ Was ist jetzt für eine weitere Kostenübernahme durch den Staat zu tun? Muss er einen neuen Antrag stellen oder den alten nur ergänzen?
Viele Seiten Erläuterung
Karl Schulte hat, wie er sagt, unzählige Male das Servicetelefon „Wiederaufbau NRW“ angerufen: „Das Personal ist überfordert, viele Fragen wurden nicht beantwortet. Oder ich bekam unterschiedliche Aussagen zum selben Komplex.“
Der Sauerländer hat sich wiederholt die Seite des Online-Förderportals angeschaut, u.a. die „Förderrichtlinie NRW Wiederaufbau“ und die „Anleitung ,Schritt für Schritt‘ durch den Online-Antrag für Aufbauhilfen“. „Die eine hat 55 Seiten, die andere 31. Finden Sie das unbürokratisch?“, fragt er.
Fachkundige Hilfe benötigt
Auch andere Betroffene kritisieren die aus ihrer Sicht zu komplizierten Fluthilfe-Anträge, die selbst Computer-unkundige Senioren nur stellen können, wenn sie eine E-Mail-Adresse haben. Almut Kückelhaus aus Hagen-Rummeohl spricht von einem „bürokratischen Monster“, das „ohne fachkundige Hilfe“ kaum zu bewältigen sei: „Wer das Ding fehlerlos eingereicht hat, sollte einen Bachelor in Verwaltungskunde bekommen.“
Sie wurde von der kommunalen Fluthilfe-Beratung in Hagen „bestens unterstützt“. Als Lehrerin im Ruhestand und Beamtin kenne sie sich mit Verwaltung aus. „Aber ein Grundsatz ist doch, dass man Aufgaben gibt, die auch lösbar sind.“
300 Jahre altes Fachwerkhaus von der Flut heimgesucht
Frank Poschmann (69) aus Hagen-Hohenlimburg hat sich beim Antrag Im Herbst auch von Beratern der Stadt helfen lassen. „Ich hätte das nicht alleine geschafft.“ Einen Bewilligungsbescheid hat er nach wie vor nicht. Die Flut hatte im Juli sein 300 Jahre altes Fachwerkhaus heimgesucht. Die „Wochen im Schlamm“, wie er es ausdrückt, haben an den Nerven gezehrt.
Der Rentner, der zusammen mit seiner Frau vorübergehend bei seinem Sohn wohnt, hat noch die frühen Worte aus der Landesregierung in den Ohren, dass jeder mit dem Wiederaufbau beginnen könne. „Wie denn, wenn man nicht weiß, ob und wie viele Gelder man bekommt?“, fragt er.
12 Milliarden Euro für NRW stehen bereit
Zumal es schwierig sei, Handwerker für Sanierungsarbeiten zu beauftragen, wenn einem nicht bekannt ist, wann die Hilfe vom Staat überwiesen wird. Poschmann ist frustriert: „Man hängt in der Luft.“
Nach der Flutkatastrophe stehen dem Land NRW mehr als 12 Milliarden Euro für den Wiederaufbau zur Verfügung. Betroffene können bis zu 80 Prozent der Wiederaufbaukosten erstattet bekommen. Für Hausrat-Schäden ist eine Pauschale vorgesehen. Für einen Ein-Personen-Haushalt gibt es 13.000 Euro, für weitere Haushaltsmitglieder erfolgt eine Staffelung nach oben.
Kritik von der Opposition
Die zuständige NRW-Heimatministerin Ina Scharrenbach will am Mittwoch in einer Pressekonferenz den Stand der Wiederaufbauhilfe erläutern. Ende November hatte die CDU-Politikerin mitgeteilt, dass fast 9000 Hilfsanträge von geschädigten Privathaushalten eingegangen seien, von denen mehr als 4700 „in der Bewilligung“ seien.
In Medienberichten dazu hieß es, dass die Auszahlung der Hilfsgelder schlechter vorangehe, als von der Landesregierung behauptet. Die SPD-Opposition im Landtag kritisierte, dass den für die Antragsbearbeitung zuständigen Behörden nicht ausreichend Personal zur Verfügung stehe. Das NRW-Heimatministerium hat mehrfach ein „Organisationschaos“ dementiert.