Herscheid/Erfde. Zwei Sauerländer erfüllen sich ihren Traum und ziehen mit einem Tiny House nach Schleswig-Holstein. Ihr Glück, sagen sie, liege im Verzicht.
Mit dem Haus aus der Stadt auf die grüne Wiese umziehen, Unabhängigkeit genießen und der Natur dabei auch noch etwas Gutes tun – wer träumt nicht davon. Jörg Aistermann und seine Lebensgefährtin Susanne Nowak aus Herscheid haben sich diesen Wunsch erfüllt.
Sie kauften sich ein Tiny House und zogen im August in die kleine Gemeinde Erfde in Schleswig-Holstein um. „Es war befreiend, dem Schwerlasttransport in unsere neue Heimat hinterherzufahren und in einem auf das wesentliche reduzierten Wohnraum einzuziehen“, erzählt der 50 Jahre alte Sauerländer, der als Selbstständiger anderen Menschen Software nahe bringt.
Im Schritttempo ihrem Tiny House gefolgt
Sachlich berichtet Aistermann vom 10.000 Euro teuren Transport des Mini-Domizils, das das Paar zuvor für 100.000 Euro nahe Kassel gekauft hatte. „Gut angelegtes Geld“, sagt er. Es sei spannend gewesen, im Konvoi in einer Sommernacht im Schritttempo dem Haus zu folgen. Inklusive Absicherung durch ein Begleitfahrzeug.
Die Entscheidung zum Umzug samt Haus war den Sauerländern leicht gefallen: Sie grübelten seit längerem, ob mit 50 Jahren ihr Leben so weitergehen sollte wie bisher. Minimalismus als bewusster Lebensstil, der Ressourcen schont und der Konsumkultur den Rücken kehrt, das lag ihnen immer schon nahe.
Leben auf 42 Quadratmetern
Ein Bericht im Fernsehen brachte sie auf die Idee, sich die kleinen ökologischen und nachhaltigen Fertighäuser aus Holz anzuschauen. „Unser Traumhaus stand bei Kassel“, erzählt Aistermann.
Seit September wohnt das Paar aus Südwestfalen auf 42 Quadratmetern. Das Mikrohaus steht auf einem Fundament aus Beton und ist an Wasser, Strom und Internet angeschlossen. „Mehr braucht man nicht“, so der Freiberufler.
Große Fenster und helles Holz
Ihr Tiny House biete alle Annehmlichkeiten einer normalen Wohnung mit Duschbad, Schlafzimmer einem kombinierten Küchen- und Wohnbereich. Durch die großen Fenster und dem hellen Holz wirkt der Innenraum deutlich größer. Eine kleine Sauna als Anbau soll noch folgen.
Zweieinhalb Monate sind mittlerweile seit dem Einzug ins Mini-Haus vergangen – und wie ist es, auf nur 42 Quadratmetern zu leben? „Wunderschön“, betont Aistermann. Man brauche nicht viel.
Fast alle Möbel verkauft
In ihrer letzten Wohnung in Lüdenscheid hätten sie sich meistens im Wohnzimmer aufgehalten. „Da war ein Tiny House die logische Konsequenz.“ Bis auf ein Bett und das E-Piano hätten sie alle Möbel verkauft oder verschenkt. „Es sind eben nur Möbel“, fügt der 50-Jährige hinzu.
Als stadtmüden Träumer, der das Landleben zum Paradies verklärt, sieht er sich nicht: „Wir leben den ökologischen Ansatz des Verzichtes.“ Außerdem sei ihr neues Zuhause altersgerecht. „Es ist alles barrierefrei in Reichweite und es ist leicht sauber zu halten.“ Sie vermissten nichts. „Wir sind einfach nur glücklich.“
Küste nicht in Sichtweite
Erfde, das neue Zuhause der Sauerländer in Schleswig-Holstein, hat 2000 Einwohner. Die Küste ist allerdings nicht in Sichtweite. „Wir haben uns trotzdem für dieses Fleckchen Erde entschieden. Es ist ländlich und für Outdoor-Aktivitäten wie gemacht.“
Zuvor hatte sich das Paar auch in Thüringen und in Bayern umgesehen. „Letztlich hatten die Berge gegen das Wasser keine Chance. Die Nord- und Ostsee sind jeweils nur 50 Kilometer entfernt. Die Erfder seien sehr hilfsbereit und unbürokratisch gewesen: „Die Baugenehmigung hat nur acht Monate gedauert.“
Abschied aus dem Sauerland fiel nicht schwer
Der Abschied von der Sauerländer Heimat fiel Jörg Aistermann nicht schwer, gesteht der 50-Jährige, der nach wie vor oft in seinem Büro in Lüdenscheid anzutreffen ist. Auch nach zwei Monaten falle ihnen die Decke nicht auf den Kopf.
Er sei kein Romantiker, eher ein sachlich-nüchterner Typ, aber wenn er von der Veranda seines kleinen mobilen Domizils in die Ferne blicke, dann sehe er keinen Stau, sondern Morgensonne auf dem glitzernden Wasser des Flusses Eider. Das erwärme sein Herz. Sie lebten ihren Traum in ihrem Raumwunder, in ihrer Seelenkiste.
Hintergrund
Bundesweit gibt es laut Tiny Houses Consulting 20 Tiny-House-Anbieter.
Schon vor mehr als zehn Jahren haben Trendscouts den Siegeszug der Tiny-House-Bewegung aus den Vereinigten Staaten auch in Europa vorhergesagt. In Amerika propagieren Designer wie der Kalifornier Jay Shafer seit den Neunzigern die Winzighäuser als sparsame und umweltschonende Form des Wohnens.
Die Preise für ein fix und fertig aufgestelltes und ausgestattetes Tiny House (15 bis 45 Quadratmeter) beginnen im Schnitt bei etwa 45.000 Euro.