Freudenberg. Händedruck, Ellenbogen, Faust oder Füße? Wie begrüßt man sich denn nun in Zukunft? Ein Gespräch mit einer Expertin für moderne Umgangsformen.

Wenn Marion Ising erzählt, dass sie lizenzierte Knigge-Trainerin ist, heben Menschen schon einmal fragend die Augenbraue. Knigge? Das hört sich doch ziemlich angestaubt an. Die Freudenbergerin sagt dann, dass es bei ihr um moderne Umgangsformen geht. Was hat die Pandemie in dieser Hinsicht mit uns gemacht? Wie begegnen wir uns formvollendet nach langen Monaten des Abstandhaltens? Diese Fragen kann nur eine Expertin beantworten.

Liebe Frau Ising, wir sprechen am Telefon miteinander, also musste ich mir keine Gedanken machen, wie ich Sie bei einer persönlichen Begegnung begrüße. Wie hätten Sie es denn am liebsten gehabt? Womöglich mit dem Fußgruß?

Marion Ising: Vom Fußkicken halte ich sehr wenig. Wenn Sie sich auf einen Fuß stellen und den anderen nach vorne heben, um Ihr Gegenüber zu berühren, kommen Sie ins Torkeln. Der erste Eindruck ist nicht gerade vorteilhaft: Sie erscheinen alles andere als souverän.

Ist der Gruß von Ellenbogen zu Ellenbogen denn besser?

Marion Ising aus Freudenberg ist lizenzierte Knigge-Trainerin.
Marion Ising aus Freudenberg ist lizenzierte Knigge-Trainerin. © privat

Finden Sie es hygienisch, wenn Sie erst – wie nicht nur in der Pandemie gefordert – in die Armbeuge husten und niesen und im nächsten Moment den Ellenbogen zum Gruß hinhalten?

Dritte Alternative: die Ghettofaust. Wie sieht es damit aus?

Macht ebenfalls nicht viel Sinn. Es ist nur eine flüchtige Berührung, aus der man bei weitem nicht so viel lesen kann wie aus einem Händedruck. Sie erfahren nicht, dass einer aufgeregt ist (feuchte Hände) oder sicher auftritt (fester Händedruck). Insbesondere im Business-Bereich kann ich nicht empfehlen, andere mit Fuß, Ellenbogen oder Faust zu begrüßen.

Sie sind also eine Verfechterin des klassischen Händedrucks? Wird dieser in Zukunft wieder wie vor der Pandemie praktiziert werden?

Der Händedruck wird mehr und mehr zurückkommen. Aber es wird nicht wie vorher sein. Die Menschen werden gut daran tun, vorsichtig und dosiert damit umzugehen. Bevor man die Hand zum Gruß ausstreckt, sollte man bedenken, dass das Gegenüber in gut 20 Monaten Pandemie ein Familienmitglied, einen Freund oder einen Bekannten nach einer Corona-Infektion verloren haben könnte. Es wird in Zukunft weitaus mehr als zuvor bei persönlichen Begegnungen darauf ankommen, Distanzzonen zu wahren. Auch mit Blick auf künftige Grippe-Wellen sind die Menschen hoffentlich sensibilisiert, dass sie Viren auf andere Menschen übertragen können.

Haben die Bundesbürger in der Pandemie Distanz gelernt?

Ich hoffe schon. Es wäre mein Wunsch, dass mehr auf Distanz geachtet wird und dies langfristig beibehalten wird. Also: ein wenig mehr distanzierte Höflichkeit, um das Gegenüber wertzuschätzen.

Noch einmal zurück zum Händedruck: Es ist also kein Zeichen von Unhöflichkeit, wenn ich auf diesen verzichte?

Ein Anblick, an den man sich in der Pandemie gewöhnen musste: Begrüßung mit den Füßen.
Ein Anblick, an den man sich in der Pandemie gewöhnen musste: Begrüßung mit den Füßen. © dpa | Karl-Josef Hildenbrand

Manchmal schon: Es ist unhöflich, eine ausgestreckte Hand unkommentiert zu ignorieren. Wer hier die Begrüßungsregeln kennt, ist klar im Vorteil. Bei Umgangsformen geht es um Wertschätzung. Auf den Händedruck und auch die Umarmung bezogen: Es geht darum, was meinem Gegenüber guttut. Und das ist sicher nicht, von mir angesteckt zu werden – oder in eine missliche Lage gebracht zu werden.

Sie haben davon gesprochen, dass ein Händedruck Informationen über den Menschen geben kann, den man gerade trifft. Wenn ich auf diese Form der Begrüßung verzichte, wie komme ich denn dann an diese Informationen?

Achten Sie auf Körpersprache, Mimik, auf die Augen. Aus alldem können Sie Informationen ziehen.

Haben die Menschen in der Pandemie dauerhaft gelernt, wie wichtig es ist, im Alltag bisweilen freundliche Distanz zu halten statt aufdringlicher Nähe?

Dauerhaft weiß ich nicht, aber viele werden es als wohltuend empfunden haben, dass sie an der Supermarktkasse keinen Einkaufswagen in die Hacken bekommen haben, sich am Kaufhaus-Wühltisch oder am Konzert-Einlass keinen Kampf ums Überleben liefern mussten.

Wie überwindet man Unsicherheit im Umgang mit anderen Menschen, die sich in den langen Monaten der Pandemie aufgebaut hat? Wie erwirbt man sicheres Auftreten zurück?

Sich selbst zu reflektieren, bringt Lockerheit. Also: Wie wirke ich? Und da geht viel über Körperhaltung. Stehen Sie fest, treten Sie authentisch auf. Offener Blick. Dann kann Ihnen nichts passieren.

Im Homeoffice hat sich bei dem ein oder anderen eine gewisse Nachlässigkeit in Sachen Kleidung entwickelt. Müssen wir befürchten, dass sich die Jogginghosen-Kultur hält?

In gewisser Weise schon. Aber: Man tut sich selbst etwas Gutes, während der Arbeitszeit in Kleidung zu schlüpfen, die tatsächlich nach Arbeit aussieht. Es macht etwas mit Ihrer Arbeitsweise, wenn Sie nur eine Wohnzimmer-Kluft tragen. Gerade in Branchen, die in der Pandemie in Turbulenzen geraten sind, sollten Mitarbeiter seriös auftreten. Das gibt den Kunden Sicherheit und Vertrauen. Vertrauen geht auch immer über das Outfit.

Man hat den Eindruck, dass Tablet und Smartphone für viele in der Pandemie noch unverzichtbarer geworden sind. Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig, die Teile bei bestimmten Gelegenheiten (Mahlzeiten, Treffen mit Freunden) auch einmal aus der Hand zu legen?

Bei Mahlzeiten, Treffen mit Freunden oder Geschäftsterminen treffen Sie sich hier und jetzt mit echten Personen. Wenn Sie dann immer wieder das Handy oder Tablet zur Hand nehmen, lassen Sie Ihr Gegenüber damit stehen und beschäftigen sich mit fiktiven Personen oder unsichtbaren Themen in Social Media. Es ist absolut unhöflich, jemandem den Rücken zu kehren und sich mit anderen zu beschäftigen. Entscheiden Sie sich, mit wem Sie jetzt gerade Zeit verbringen wollen.

In der Pandemie waren Restaurants monatelang geschlossen. Der Abholservice der Gastronomie wurde genutzt, oder es wurde wieder mehr Essen selbst zubereitet. Hat sich die Etikette am Tisch dadurch verändert?

Zu Hause wurde schon immer anders gespeist als im Restaurant. Aber: In der Pandemie haben die Menschen reihenweise Fotos und Filmchen von schön angerichteten Esstischen und Tellern in ihren Wohnungen in sozialen Netzwerken und Video-Portalen veröffentlicht. Es ist ein Trend zu mehr Wohn- und Tischkultur zu erkennen. Und: Zunehmend junge Leute interessieren sich dafür. An einem schön gedeckten Tisch zu sitzen, ist ein Zeichen der Wertschätzung sich selbst und anderen gegenüber. Die Tischetikette gilt nach wie vor.

Werden sich Werte wie Wertschätzung und Rücksichtnahme in den Köpfen der Menschen über die Pandemie hinaus halten?

Zunächst einmal: Ich bin stolz auf viele Mitbürger, die vorbildlich Rücksicht genommen haben. Gerade die junge Generation hatte verstanden, dass die Älteren geschützt werden müssen. Aber ich befürchte, wie bei vielen Fragen, zwei Trends in der Gesellschaft: Die einen werden ihre Schlüsse aus der Pandemie ziehen und Wert auf gute Umgangsformen legen. Die anderen werden sich nicht ändern. Ihnen ist es schlicht und ergreifend egal.

Hintergrund:

Marion Ising ist Ausbilderin für Style und Image und bietet seit 16 Jahren Personality-Styling und Knigge-Training für Freizeit und Business.

Nach Angaben des Arbeitskreises­ Umgangsformen ergab eine Umfrage unter Bundesbürgern­, dass 62 Prozent der Befragten auch nach der Corona-Pandemie lieber freundlich grüßen wollen, statt anderen die Hand zu geben. Bei den befragten Frauen lag der Anteil derer, die künftig an dieser Gewohnheit festhalten wollen, sogar bei 70 Prozent.