Hagen. Ladungsdiebstähle auf Rast- und Parkplätzen verursachen in Deutschland einen jährlichen Güterschaden von mehr als 1 Milliarde Euro.

Nichtsahnend hatten es sich die beiden Brummifahrer in den ­Kabinen ihrer Sattelzüge gemütlich gemacht. Während sie ihre Ruhezeiten auf dem Parkplatz der Autobahn 44 bei Soest („Röllingser ­Graben“) abhielten, wurden die Planen der Lkw-Auflieger aufgeschlitzt.

Als die beiden Fahrer wieder starten wollten, bemerkten sie die Ladungsdiebstähle: Parfümflaschen der Marke Joop. Von den ­Tätern keine Spur.

Es ist kein Einzelfall, der sich da auf dem Autobahnparkplatz mitten in Westfalen ereignete: „Die absolute Anzahl der Taten ist nach unseren nicht repräsentativen Erhebungen in den letzten Jahren zwar leicht zurückgegangen, aber bereits wieder auf dem Weg nach oben“, sagt Niels Beuck, Geschäftsführer und Leiter Europäische Angelegenheiten/Sicherheitspolitik beim Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV).

Alle 20 Minuten ein Diebstahl

Nach Angaben der „Arbeitsgemeinschaft Diebstahlprävention in Güterverkehr und Logistik“ stehlen kriminelle Banden in Deutschland statistisch gesehen alle 20 Minuten Lkw-Ladungen. Pro Jahr seien fast 20.000 Laster betroffen. Der Güterschaden belaufe sich auf 1,3 Milliarden Euro.

Die Methoden der Täter sind nach Aussage von Verbandsgeschäftsführer Beuck „sehr verschieden“. Oftmals, beschreibt er, fahren „mobile Einsatzteams organisierter Banden“ entlang der Autobahnen und schlitzen Planen der auf Rastplätzen abgestellten Lkw auf.

In den seltensten Fällen spontane Taten

Dann meldeten sie den Inhalt der Ladung an „die Organisation“. Diese prüfe blitzschnell, ob es dafür einen Markt gebe.

Niels Beuck zufolge sind es in den seltensten Fällen spontane Taten: „Oftmals handelt es sich um organisierte Bandenkriminalität“, deren Hintermänner in Osteuropa den Betrieb wie ein normales Unternehmen führten – mit eigenen Abteilungen z.B. für den Diebstahl, die Lagerung, die Personalbeschaffung und den Vertrieb.

Diebesgut oft über legale Vertriebskanäle verkauft

Niels Beuck ist Geschäftsführer und Leiter Europäische Angelegenheiten/Sicherheitspolitik beim Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV).
Niels Beuck ist Geschäftsführer und Leiter Europäische Angelegenheiten/Sicherheitspolitik beim Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV). © DSLV

Apropos Vertrieb: Das Diebesgut wird nach Beobachtungen des DSLV meist über legale Vertriebskanäle – „wie zum Beispiel den Amazon Marketplace oder Ebay Kleinanzeigen“ – verkauft. In nicht wenigen Fällen gründeten die Banden sogar eigene Handelsunternehmen mit Onlineshop und Marketingabteilung. Verbandsgeschäftsführer Boeck: „So lässt sich selbst mit ein paar Paletten Haushaltswaren ein gutes Geschäft machen.“

Im Zuständigkeitsbereich der Autobahnpolizei Dortmund befinden sich insgesamt 95 Rast- und Tankanlagen sowie Parkplätze. „In letzter Zeit“, berichtet Sprecherin Kristina Purschke, seien keine Fälle von Ladungsdiebstahl bekannt geworden.

Der Bundesverband Spedition und Logistik verweist dann gerne darauf, dass es bei solchen Delikten selten zur Anzeige komme: „Die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher sein als in der offiziellen Kriminalstatistik ausgegeben.“

Höherer Fahndungsdruck gefordert

Einer der Gründe: Kaum ein Fahrer ruft die Polizei, so Geschäftsführer Beuck, wenn nur die Plane aufgeschlitzt wurde. Zudem sei es für die Ermittler nahezu unmöglich nachzuweisen, dass die Ware aus einem aufgebrochenen Lastwagen stammt – „selbst wenn der Transporter der Diebe angehalten wird“.

Der Verband fordert daher einen höheren Fahndungsdruck. Es wäre in den Augen Beucks wichtig, „stärkere Präsenz zu zeigen, Schwerpunktpolizeien und -staatsanwaltschaften aufzubauen und ein eigenes Delikt Ladungsdiebstahl in der polizeilichen Kriminalstatistik aufnehmen, um konkrete Fallzahlen zu ermitteln.“

Maßnahmenkatalog der Speditionsbranche

Die Speditionsbranche jedenfalls hat nach eigenen Angaben in den vergangenen Jahren einiges getan, um die Zahl der Ladungsdiebstähle zu verringern. Niels Beuck nennt Beispiele aus dem Maßnahmenkatalog: „Die Nutzung von schnittfesten Planen, die Förderung sicherer Parkplätze und das Parken auf eigenen Firmengeländen oder der Einsatz von zwei Fahrern, um Pausen weitestgehend zu vermeiden“.

Es ist nicht bekannt, warum unlängst an der A7 bei Göttingen die Planen von mindestens elf Lkw aufgeschlitzt wurden, aber keine Ladung gestohlen wurde. Womöglich waren die Gauner vergeblich auf der Suche nach Parfümflaschen. Und sind dann einfach verduftet.

Hintergrund:

Nicht nur High-Tech- und Luxusgüter entwendet

„Als eines der wichtigsten Transitländer für den Straßengüterverkehr innerhalb der EU“, heißt es bei der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK), steht Deutschland im Fokus bandenmäßig betriebener Eigentumskriminalität.

Die Täter, so die ProPK weiter, entwendeten innerhalb der Transportkette nicht nur High-Technology- und Luxusgüter, sondern mittlerweile auch Dinge des täglichen Bedarfs, wie Lebensmittel, Getränke und andere Konsumgüter.