Hagen. Weil die Wohnung unter Wasser steht, müssen die Großeltern in die Kurzzeitpflege. Dafür soll eine Hagenerin nun gleich doppelt zahlen.
Als der Brief neulich bei ihr ankam, verschlug es Agnes Suckow die Sprache. Die 37-Jährige hatte eigentlich gedacht, dass doch jenen, die vom Hochwasser betroffen sind, unbürokratisch und schnell geholfen werden soll. Aber in ihren Händen hielt sie – schwarz auf weiß – das Gegenteil dessen: Eine Rechnung über 2500 Euro und die Streichung aller Urlaubstage, die ihr in diesem Jahr noch zugestanden hätten.
Denn Agnes Suckow pflegt im Zweigenerationenhaus im Hagener Stadtteil Eckeseyihre Großeltern: 79 und 85 Jahre alt, Pflegestufe zwei und fünf. Die Großmutter ist bettlägerig. Eine mit Strom betriebene Wechseldruckmatratze sorgt dafür, dass sie sich nicht wundliegt.
Die Großeltern kamen wochenlang in die Kurzzeitpflege
Als der Starkregen Mitte Juli einsetzte, befand sich Agnes Suckow mit ihrem Mann und den beiden Kindern seit zwei Tagen im Urlaub in Polen. Für die Betreuung der Großeltern war gesorgt. Zunächst aus der Ferne erlebte sie so mit, wie erst der Keller absoff und das Wasser sich dann ins Erdgeschoss hochdrückte. Die alarmierte Feuerwehr holte die Großeltern rechtzeitig aus der Wohnung und brachte sie ins Krankenhaus.
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Doch die Wohnung blieb unbewohnbar. „Hüfthoch stand das Wasser im Erdgeschoss“, erinnert sich Agnes Suckow an die Rückkehr am nächsten Tag. Mit Freunden machten sie sich an die Arbeit: Schlamm beseitigen, Putz runterklopfen, Müll entsorgen. 11 Tonnen Unrat, 11 Tonnen Bauschutt fallen an. „Wir haben zehn Wochen lang sieben Tage die Woche und fast rund um die Uhr hier gearbeitet“, sagt sie. Die Großeltern? Kamen mehrere Wochen in die Kurzzeitpflege.
Wer pflegt, hat Anspruch auf sechs Wochen Urlaubsvertretung
Und da fangen die Probleme an. Denn das Pflegeheim stellte eine Rechnung über 2500 Euro aus. Die Summe nimmt sich – in Anbetracht der Dauer des Aufenthalts der Großeltern – recht gering aus. Grund: Pflegende haben pro Jahr Anspruch auf sechs Wochen Urlaubs- bzw. Krankheitsvertretung. Das bedeutet, dass die Pflegeversicherung die Kosten einer notwendigen Ersatzpflege bezahlt. Diese sechs Wochen wurden in diesem Fall komplett geltend gemacht.
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Mit erheblichen Folgen für Agnes Suckow: Nach dem abgebrochenen Urlaub, dem Wasser im eigenen Zuhause und den Wochen des Schuftens, um die gröbsten Schäden zu beseitigen, fehlen ihr nun die Möglichkeiten, mal Abstand von allem zu gewinnen. Die Großeltern sind wieder zu Hause, Agnes Suckow kümmert sich, während Elektriker, Kanaltechniker, Handwerker bezahlt werden müssen und das Wohnzimmer noch wie eine Baustelle aussieht. Alles muss neu. Fast 20.000 Euro kostete das alles bisher. Versichert ist die Familie nicht. Nachts reinigt Agnes Suckow auf 450-Euro-Basis die Omnibusse der Stadt.
Krankenkasse lehnt Hilfe ab – zunächst
Sie rief wegen der Urlaubstage ihre Krankenkasse an, erzählte wieder und wieder ihre Geschichte. „Fünf, sechs Mal habe ich am Telefon gefragt und gebeten, ob es nicht eine Ausnahme von der Regel geben könne“, sagt sie. Die Antwort ihrer Krankenkasse, der Barmer, sei stets die gleiche gewesen: Es gibt leider keine Möglichkeit, die Tage seien ausgeschöpft, da könne man nichts machen. „Ich war sprachlos. Ich habe mir doch nicht ausgesucht, meine Großeltern ins Pflegeheim zu geben. Es war schlicht und einfach nicht anders möglich. Ich musste es tun“, sagt sie.
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In ihrer Verzweiflung wendet sie sich an die WESTFALENPOST. Diese fragt bei der Barmer nach, wie sie den Fall einschätzt und warum es keine Ausnahme geben kann in einem solchen Fall. Nach zwei Tagen die Rückmeldung per Mail: Man habe die Anfrage zum Anlass genommen haben, „den Fall (...) nochmals eingehend anzusehen. Die Folgen der Hochwasserkatastrophe sind uns allen noch sehr gut im Gedächtnis“, beginnt die Antwort. Die Kasse sei sich „völlig bewusst, in welch schwierige Lage“ die Familie dadurch gekommen sei. „Unter Berücksichtigung dieser besonderen Umstände werden wir deshalb die Eigenanteile, die durch den notwendigen stationären Pflegeaufenthalt entstanden sind, erstatten.“
Hoffnung auf ein gutes Ende
Die Barmer werde in der kommenden Woche auf die Familie zugehen. Auf Nachfrage, ob diese auch mit einer Lösung in der Frage der Urlaubstage rechnen darf hieß es, dass alles detailliert besprochen werde. Es besteht Hoffnung für Agnes Suckow - und vielleicht viele andere, die in ähnlicher Lage sind. Happy End also nach der Schocknachricht? So scheint es zumindest zu sein.