Hagen. Jeans oder Anzughose? Viele Arbeitgeber in der Region lockern die Regeln für Mitarbeiter – und ein Chef aus Menden macht es selbst vor.

Eine Krawatte? Die hat Bernd Reichelt nicht mal mehr im Schrank. Er ist Geschäftsführer, ja, seit acht Jahren, bei den Stadtwerken Menden. Aber einen Anzug hatte der 55-Jährige trotzdem seit Jahren nicht mehr an. Am häufigsten trifft man ihn in Jeans und T-Shirt, die mag er am liebsten, wie er sagt. Vielleicht werfe er auch mal ein sportliches Sakko über, wenn es der Anlass erfordere. Zur Konfirmation seines Sohnes, da habe er zum Beispiel eins getragen.

In seiner Position sei das vielleicht ungewöhnlich, räumt er ein. Aber von Kleidervorschriften halte er eben nicht viel, auch für seine Mitarbeiter gibt es keine. Denn als Team befinde man sich auf Augenhöhe, sagt er, und die sollte auch durch Kleidung signalisiert werden. „Weil sich unsere Unternehmenskultur verändert hat.“

Durchaus sei am Arbeitsplatz inzwischen deutlich mehr erlaubt, weiß Kommunikationsberaterin Beate Ridzewski aus Soest. Erst wenige Jahre sei es her, da habe sie miterlebt, wie jemand nach Hause geschickt wurde, weil er in Chino-Hose und Polohemd zur Arbeit kam. „Da hieß es dann seitens der Leitung, man sei hier nicht auf dem Golfplatz“, erzählt sie. Inzwischen sei das lockerer, ein solches Outfit selten ein Problem. Der Anspruch gehe eher in Richtung gepflegte Freizeitkleidung.

Die Botschaft muss stimmen

Überall? Ganz sicher nicht, betont Ridzewski. „Kleidung ist immer Kommunikation, und was getragen werden soll, hat auch immer mit der Identität des Unternehmens zu tun.“ Denn die Botschaft nach außen hin müsse stimmen. Ein Beispiel: „Die Bank: Wenn ich mein Geld einer solchen Institution anvertraue, sollte mein Gegenüber auch entsprechend wirken. Ein erster Eindruck läuft körpersprachlich im Bruchteil einer Sekunde ab. Und bei aller Lässigkeit – ein gewisses Format sollte vorhanden sein.“

Ein Grund, weshalb für die Mitarbeiter der Sparkasse Hagen-Herdecke nach wie vor ein klarer Dresscode gilt: „Um die Seriosität zu unterstreichen“, sagt Pressesprecher Thorsten Irmer. Erwartet werde nun mal „bankmäßige“ Kleidung, also Kostüm, Bluse, Krawatte und Anzug. Doch selbst unter den Bänkern gebe es erste Diskussionen zur Kleiderordnung, weiß Irmer. „Da ist sicherlich was im Fluss. Möglich, dass sich auf Dauer etwas ändern wird. Oder es einfach so bleibt, wie es jetzt ist.“

Bequem auf die Arbeit konzentrieren

Verändert hat sich in anderen Branchen aber bereits einiges, „früher waren Jeans in einem Meeting noch ein No-Go, heute ist das meistens völlig in Ordnung“, sagt Ridzewski. Und dass sich lockere Arbeitskleidung noch weiter durchsetzen wird, darauf könnten vor allem die jüngeren Generationen Einfluss nehmen, vermutet die Kommunikationsberaterin. „Weil sie ein deutliches Fabel für eine Work-Life-Balance haben und deshalb wohl auch lockerer mit der Kleidungsfrage umgehen.“

Denn der Wohlfühlfaktor spiele eine große Rolle: „Durch das viele Homeoffice während Corona haben viele die Erfahrung gemacht, sich zu Hause leger und entspannt auf die Arbeit zu konzentrieren“, sagt Ridzewski. Im Anzug fühlten sich manche Menschen eingeengt, auch in Führungspositionen hätten einige diese Erfahrung gemacht. „Deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass sich das in die Richtung weiterentwickelt.“

In manchen Branchen sei es schon jetzt wichtig, nicht zu streng zu wirken, vor allem dann, wenn es kreativ werde. Wie in Gevelsberg. „Die Kultur in einer Werbeagentur ist eine andere als in den meisten Unternehmen in unserer Region“, sagt Sandrine Rosol, Projektleiterin bei Pechschwarz Media. Je individueller, desto besser, laute ihr Motto. Was nicht bedeute, dass nicht aufs Äußere geachtet werde. Im Gegenteil: Auch in der Werbeagentur trage die Geschäftsführung häufiger mal ein Hemd, weil man im Kundenkontakt ist, sagt Rosol. Aber sobald es in den kreativen Bereich gehe, wünsche man sich sogar möglichst Vielfalt in der Kleidung, die die Persönlichkeit unterstreiche. „Die eine Mitarbeiterin trägt ein T-Shirt mit unserem Logo und ihrem persönlichen Spruch, dazu einen kurzen Rock und Sneaker. Ein anderer ein Sakko oder eine Mütze und Jeans“, erzählt die Projektleiterin. Solange niemand in Jogginghose aufkreuze, sei quasi alles erlaubt.

Leben und leben lassen, darum gehe es, findet Bernd Reichelt. Über Kleidung sollte heute niemand mehr diskutieren, sondern sich darin wohlfühlen. „Wir brauchen keine Anzüge, um zu zeigen, wer der Boss ist. Was wir brauchen, ist mehr ,Wir’. Und ich weiß, wovon ich rede.“ Sein Vorgänger sei immerhin konservativer gewesen, die Energiewirtschaft sei es generell. „Aber es hat sich in den letzten Jahren etwas verändert, auch bei uns.“ Und das sei gut.