Hagen. Ziemiak muss zittern. Was macht Merz? Für die Wahlkreise gibt’s Prognosen, wer siegen könnte. Welche Hochburgen bleiben und wo Mehrheiten kippen.
Umfragen sind keine Wahlergebnisse, heißt es so schön. Trotzdem blicken Politiker gebannt auf die Prognose-Orakel. Angesichts knapper Vorhersagen steigt kurz vor der Wahl die Spannung. Nicht nur in Berlin, auch in den Wahlkreisen in Südwestfalen. Denn beim Rennen um die Direktmandate sind Überraschungen nicht ausgeschlossen. Das zeigt zumindest der Blick auf die aktuellen Prognosen der Online-Plattformen election.de und wahlkreisprognose.de.
Beide haben Rechenformeln entwickelt, die Erkenntnisse aus den bisherigen Wahlen mit aktuellen Umfragen und generellen Faktoren wie einem „Amtsbonus“ verbinden. Heraus kommt eine prozentuale Wahrscheinlichkeit, wer den Wahlkreis direkt gewinnt. Zumindest election.de lag bei vergangenen Wahlen ziemlich oft richtig. 2017 sagte das Portal kurz vor der Wahl in 277 der 299 Wahlkreise die stärkste Partei korrekt vorher. Nutzt man dann noch das Portal mandatsrechner.de, kann man spekulieren, welche Kandidaten darüber hinaus über die Reservelisten der Parteien in den Bundestag einziehen könnten (siehe weiter unten). Ein Überblick:
Hochsauerlandkreis
Wer auf Bundesebene eine wichtige Rolle übernehmen will, kann dafür den Rückenwind eines guten Erststimmen-Ergebnisses gut gebrauchen können. Friedrich Merz zum Beispiel. Sollte den Christdemokraten nicht noch der der Himmel auf den Kopf fallen, wird der ehemalige CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende den HSK direkt gewinnen. SPD-Kandidat Dirk Wiese gilt zwar als bürgernah und einflussreich in Berlin, doch die politische Farbenlehre wird er nicht über den Haufen werfen: Das Sauerland ist schwarz – gefühlt seit Menschengedenken. Das zeigen auch beide Online-Prognose-Rechner für diese Wahl.
Merz war ursprünglich mit dem Ziel angetreten, mehr als 50 Prozent der Erststimmen im HSK zu holen, ist zuletzt aber etwas zurückhaltender geworden. Sowohl sein Vorgänger Patrick Sensburg (48 Prozent) als auch Dirk Wiese (26,9 Prozent) toppten vor vier Jahren das jeweilige Ergebnis ihrer Partei deutlich. Soviel steht schon jetzt fest: Das wird Merz auch schaffen.
Märkischer Kreis II
Paul Ziemiak muss da schon ein bisschen mehr zittern. Der 36-jährige Iserlohner und CDU-Generalsekretär tritt im Märkischen Kreis gegen die SPD-Novizin Bettina Lugk (39) an. Sie stammt ursprünglich aus Brandenburg und will Dagmar Freitag nachfolgen, die sich aus der Politik zurückzieht. Lugk mangelt es – verglichen mit ihrem Konkurrenten – an Prominenz, dennoch führt sie die Prognoseplattform election.de als Favoritin, und zwar deutlich. Demnach liegen ihre Chancen, das Direktmandat zu gewinnen bei 84 Prozent. Bei Wahlkreisprognose ist der SPD-Vorsprung etwas knapper.
election.de macht in der Regel keine eigenen Umfragen, sondern wertet bestehende regional aus. „Wir simulieren die Wahl bis zu 100.000 Mal und bilden dann den zu erwartenden Trend ab“, sagt Firmenchef Matthias Moehl. In die Prognosen fließen demnach ein: Ergebnisse bisheriger Bundestags-, Landtags- und Europawahlen, aktuelle Trends aus repräsentativen Wählerbefragungen, die Rolle der nominierten Kandidatinnen und Kandidaten im Wahlkreis sowie das Stimmen-Splitting mit unterschiedlicher Abgabe der Erst- und Zweitstimmen. Der Abstand zwischen Lugk und Ziemiak könnte daher auch ein bisschen Dagmar Freitag geschuldet sein: Beim Übertrumpfen des Parteiresultates zählte die Iserlohnerin regelmäßig zu Deutschlands Besten.
Olpe/Märkischer Kreis I
Florian Müller tritt für die CDU zwar zum ersten Mal an, aber er wird aller Voraussicht nach im Wahlkreis Olpe/Märkischer Kreis I das Direktmandat gewinnen. Beide Online-Portale rechnen ihm die mit Abstand größten Chancen zu, seine SPD-Konkurrentin Nezahat Baradari kommt nur auf eine 7- bis 21-prozentige Wahrscheinlichkeit. Für die Erkenntnis braucht man bei dem schon lange „schwarzen“ Wahlkreis aber auch nicht unbedingt Online-Portale.
Hagen/Ennepe-Ruhr I
Ähnliches gilt mit anderen Vorzeichen für den Ruhrgebiets-Wahlkreis Hagen mit Teilen des Ennepe-Ruh-Kreises: Selbst als die SPD zuletzt bundesweit darnieder lag, hat sie hier immer gewonnen. election.de bescheinigt Timo Schisanowski, der erstmal antritt, nun auch eine 100-Prozent-Chance, wahlkreisprognose.de „nur“ 98 Prozent.
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Ennepe-Ruhr-Kreis I
Eine sichere Bank dürfte auch der Wahlkreis Ennepe-Ruhr-Kreis II für die SPD sein. Mit Hartmut Ziebs, einst Chef des Deutschen Feuerwehrverbands, schickt die CDU zwar einen recht prominenten Vertreter ins Rennen, doch election.de gibt ihm nur 1 Prozent Sieg-Wahrscheinlichkeit, das andere Portal zumindest 20 Prozent. Axel Echeverria dürfte für die SPD den Wahlkreis gewinnen.
Siegen-Wittgenstein
Wirklich spannend könnte es dagegen im Kreis Siegen-Wittgenstein werden. Volkmar Klein (CDU) sitzt seit 2009 im Bundestag und hat drei Mal den Wahlkreis direkt geholt. Klappt das auch diesmal? Das Portal election.de sieht nun die SPD-Kandidatin Luiza Licine-Bode als Favoritin. Demnach wird sie mit 67 Prozent Wahrscheinlichkeit siegen. Auch bei wahlkreisprognose.de liegt sie vorne, wenn man die Kategorie „aktueller Trend“ anschaut. Beim „Chancencheck“, bei dem auch Amtsbonus und Bekanntheitsgrad eine Rolle spielen, liegt CDU-Mann Klein allerdings vorn.
Unsicherheiten bleiben also. Wie heißt es doch so schön: Umfragen sind keine Ergebnisse. Zum Glück. Sonst könnten wir uns die Stimmabgabe ja gleich schenken.
>> HINTERGRUND: Sie können auch noch in den Bundestag einziehen
Nicht nur die Gewinner aus den Wahlkreisen ziehen in den Bundestag ein, sondern mindestens genausoviele Abgeordnete, die auf den von den Parteien aufgestellten Listen stehen. Diesmal dürfte es außergewöhnlich viele Abgeordnete geben, da mit viel Überhang- und Ausgleichsmandaten gerechnet wird, die dann entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate erzielt als ihr eigentlich nach dem Zweitstimmen zustehen würden.
Die Online-Plattform mandatsrechner.de geht auf Basis der aktuellen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen und der Erststimmenprognose von election.de von 832 Sitzen im Bundestag aus. Für NRW würde das bedeuten:
- CDU: 41 Sitze (davon 24 Wahlkreissieger)
- SPD: 60 Sitze (davon 40 Wahlkreissieger)
- Grüne: 26 Sitze
- Linke: 9 Sitze
- FDP: 26 Sitze
- AfD: 16 Sitze
Würde diese aktuelle Prognose tatsächlich eintreffen, dann hieße das für die Parteien und ihre Kandidaten aus der Region:
- CDU: Paul Ziemiak muss zwar um den Wahlkreissieg zittern, mit Platz 6 auf der CDU-Landesliste würde er aber in den Bundestag kommen. Volkmar Klein (Siegen-Wittgenstein, Platz 24) hätte bei Verlust seines Wahlkreises auch noch eine Chance, wenn einige Parteifreunde, die vor ihm auf der Liste stehen, ihre Wahlkreise direkt gewinnen und damit ohnehin im Bundestag sitzen. Keine Chance haben Christian Nienhaus (Hagen, Platz 49) und Hartmut Ziebs (Ennepe-Ruhr-Kreis, Platz 45).
- SPD: Dirk Wiese (Hochsauerlandkreis) ist mit Platz 5 so gut wie im Bundestag. Bettina Lugk (Märkischer Kreis) dürfte mit Platz 14 auf der Liste auch in den Bundestag kommen, wenn sie gegen Ziemiak verliert. Nezahat Baradari (Olpe/MK, Platz 26) und Luiza Licine-Bode (Siegen-Wittgenstein, Platz 32) müssten hoffen, dass viele, die vor ihnen auf der Liste stehen, als Wahlkreis-Sieger ohnehin ins Parlament kommen.
- Grüne: Laura Kraft (Siegen-Wittgenstein, Platz 23) und Janosch Dahmen (Hagen, Platz 24) haben gute Chancen in den Bundestag zu kommen, Maria Tillmann (HSK, Platz 31) und Ina Giesswein (Ennepe-Ruhr-Kreis, Platz 33) müssen auf ein besserer Grünen-Ergebnis als derzeit vorausgesagt oder einen noch größeren Bundestag hoffen.
- FDP: Johannes Vogel (Olpe/MK, Platz 5), Julius Cronenberg (HSK, Platz 14) und Katrin Helling-Plahr (Hagen, Platz 15) dürften sicher in den Bundestag kommen, Anna Neumann (EN-Kreis, Platz 28) mit etwas Glück.
- AfD und Linke: Sie haben keine Kandidaten aus unserer Region auf aussichtsreichen Plätzen nominiert.