Hagen. Unter jungen Menschen sind die Infektionszahlen besonders hoch. Kurz nach Schulbeginn häufen sich die Quarantänefälle. Wie soll es weitergehen?

Als Emma (10) nach Hause kam, weinte sie. Ihr Coronatest in der Schule war positiv. Das Mädchen, das eigentlich anders heißt, musste wie ihre Sitznachbarinnen von der Schule abgeholt werden und ist wie ihre Sitznachbarinnen seitdem in Quarantäne. „Mir tut leid, dass die anderen wegen mir auch nach Hause müssen“, habe Emma gesagt, berichtet die Mama, die ebenfalls nicht mit Namen in der Zeitung stehen möchte.

Die Familie aus Hagen wartet nun bang auf das Ergebnis des PCR-Tests, der die Sorgen potenzieren oder zerstreuen könnte. Kann das Kind wieder in die Schule? Oder wird es 14 Tage lang daheim bleiben müssen? Im Distanzunterricht, der bei vielen auch als Nervenschlacht mit den Eltern bekannt ist, die eigentlich arbeiten müssten.

Neues Schuljahr, alte Probleme.

Mittlerweile sind Schüler diejenigen, bei denen sich das Infektionsgeschehen abspielt, wie die enormen Inzidenzzahlen belegen (siehe Grafik). Hagen gehört in NRW zu den Städten mit dem höchsten Wert. Kurz nach Schuljahresbeginn stellt sich die Frage: Wie soll das weitergehen in Herbst und Winter? Wie sinnvoll sind die Quarantäne-Regeln? Wie können Schulkinder geschützt werden? Antworten aus vier verschiedenen Blickwinkeln.

Die Eltern

Emmas Eltern sind in Sorge, in doppelter Hinsicht. „Der Gedanke, dass sie jetzt infiziert sein könnte oder es im Laufe des Winters wird, ist schrecklich. Man kann nichts tun und muss hoffen, dass sie keine Schäden davontragen. Kinder sollen doch eigentlich unbeschwert sein können und sich nicht Sorgen machen, ob sie Freunde, die Oma oder den Opa angesteckt haben.“

Und natürlich ist da die Frage, wie dieses Schuljahr werden soll, wenn schon jetzt die Welle losbricht, wenn das Kind entweder in Quarantäne ist oder einen leichten Schnupfen hat, mit dem es auch zu Hause bleiben muss. „Ich weiß nicht, wie wir das wieder umsetzen sollen. Ich habe gefühlt drei Tage gebraucht, um alles zu organisieren, nachdem wir Emma von der Schule abgeholt haben“, sagt die Mama, die auch an die anderen Familien denkt, die von Emmas Fall mitbetroffen sind: „Die müssen jetzt warten, bis unser Ergebnis vorliegt. Ist es negativ, können alle zurück in die Schule. Ist es positiv, müssen alle ebenfalls einen PCR-Test machen.“ Die Quarantäne-Zeit verlängert sich auf diese Weise.

Die Kreise und Städte

Astrid Hinterthür hat derzeit häufiger mit wütenden Eltern zu tun. Sie ist Leiterin des Krisenstabs für den Ennepe-Ruhr-Kreis, wo es an 38 von 99 Schulen positive Corona-Fälle gibt. Das bedeute für die Ämter einen Riesenaufwand und für Eltern und Schüler häufig Ärger: Denn die Empfehlung des Schulministeriums, nur direkte Sitznachbarn in Quarantäne zu schicken, sei nicht immer umsetzbar. „Wir müssen das von Fall zu Fall entscheiden, weil jede Situation anders ist“, sagt Hinterthür. „Das fängt damit an, dass in manchen Grundschulen gemeinsam gefrühstückt wird, andere Schüler waren auf engem Raum zusammen im Bus, weil sie als Klasse zum Sportunterricht gefahren wurden. Das kann dazu führen, dass nicht nur wenige, sondern plötzlich alle in Quarantäne müssen – und ist so auch schon mehrfach passiert.“

Eltern seien verunsichert und manchmal wütend, weiß Hinterthür. Im Hochsauerlandkreis war es mit den vermehrten Quarantänefällen zu Auseinandersetzungen gekommen, wie Sprecher Martin Reuther sagt. Mitarbeiter des Gesundheitsamtes seien Beschimpfungen ausgesetzt, die Intensität nehme zu.

Die Einzelfallentscheidungen treffen alle Kreise und hielten sich an die Vorgaben des Landes, wie sie auf Nachfrage mitteilen. Groß sei die Hoffnung, dass die Infektionszahlen wieder sinken, jetzt, da die Hauptreisezeit vorbei sei.

Der Schulleiter

Joachim Deckers ist Schulleiter des Gymnasiums der Benediktiner in Meschede. An seiner Schule gab es einen Corona-Fall, in dessen Folge 75 Mitschüler in Quarantäne mussten. Grund: Die infizierte Person hatte eine dreitägige Kennenlernfahrt der neuen Oberstufenschüler mitgemacht. Mittwochs ging es frisch getestet los, donnerstags ergab der nächste Test die Infektion. „Allein schon wegen der Busfahrt mussten alle Mitreisenden – mit Ausnahme der Geimpften – in Quarantäne“, sagt Deckers. Die Vorgabe des Ministeriums – auch hier untauglich. Volles Verständnis vom Schulleiter für die Entscheidung.

„In der Realität ist der Kreis derer, die in Quarantäne müssen, größer, weil wir zum Beispiel auch Fach- und Kursräume haben, in denen die Schülerinnen und Schüler wieder anders verteilt sitzen“, sagt Deckers, der Unmut zum Schulstart durchaus vernommen hat. „Für die Betroffenen und die Eltern ist es natürlich nicht schön, das Schuljahr wieder mit einer zweiwöchigen Quarantäne zu beginnen. Manche Eltern haben auch nicht verstanden, warum sich ihre Kinder nicht freitesten können.“

Reiserückkehrer können die Quarantäne nach fünf Tagen mit einem negativen Test beenden, „aber da ist die Gefahr ja eher abstrakt“, sagt Deckers, „hier liegt ein nachgewiesener Kontakt zu einer infizierten Person vor.“ Er weiß, dass das alles nicht schön ist, aber eine Lösung kennt auch er nicht. „Was soll man sonst machen? Gerade die Jüngsten vorsorglich in den Distanzunterricht zu schicken, hätte Nebenwirkungen, die womöglich noch problematischer sind.“

Der Virologe

Die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen sei ebenso wichtig wie die körperliche, sagt der Virologe Sebastian Voigt von der Uni-Klinik Essen. Welches Risiko höher wiege, könne er nicht sagen, „das ist sehr individuell“. Durch die von der Ständigen Impfkommission nun empfohlene Impfung für Kinder ab 12 sei „das Risiko schon etwas geringer, das war wichtig“. Denn auch, wenn Kinder „glücklicherweise nicht so schwer krank werden wie Erwachsene“, bleibe ein Risiko bestehen.

Wie es sich noch senken ließe? Klassen teilen, um Abstände zu vergrößern, alle zehn bis zwanzig Minuten lüften und Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Luftfilter könnten auch helfen, wenn sie denn die entsprechenden Anforderungen erfüllten.