Hagen. Die Hagener Feinstahl GmbH stand tief unter Wasser, die Produktion ist gestoppt. Fälle wie dieser haben Folgen weit über die Betriebe hinaus.
Man wird bescheiden in dieser Katastrophe: Wenn im Laufe der kommenden Woche 10 bis 15 Prozent der Maschinen wieder laufen würden, dann wäre das ein Erfolg für die Hagener Feinstahl GmbH. „Und wenn wir dann in vier Wochen wieder auf 80 Prozent kommen würden, dann wäre das viel mehr als alles, was wir uns heute vorstellen können“, sagt Timo Fichtel, während er durch die Firmenhallen geht, wo Mitarbeiter und Spezialfirmen an allen Ecken und Ende versuchen, den Schlamm, den Dreck und den Staub zu entfernen.
Fichtel ist eigentlich Leiter Finanzen des Hagener Unternehmens, das spezialisiert ist auf das Ziehen von teils äußerst feinen Drähten. Jetzt ist er aber vor allem Krisen-Manager, kommt nicht in Büro-Kleidung zur Arbeit, sondern in kurzer Hose und Polo-Shirt, um die Aufräum- und Säuberungsarbeiten mit zu koordinieren. Die Feinstahl GmbH mit ihren gut 100 Mitarbeitern am Standort Hagen ist massiv von der Flut-Katastrophe betroffen. 20.000 Quadratmeter Betriebsfläche wurden überflutet von Wasser und Schlamm, alle Maschinen sind derzeit nicht nutzbar. An Produktion ist nicht zu denken.
Eng vernetzte Wirtschaftswelt: Lieferketten drohen zu reißen
Ein Problem nur für das Unternehmen? Nein, die Feinstahl GmbH ist vielmehr ein Teil des Problems, das die gesamte Wirtschaft noch Wochen und Monate beschäftigen dürfte. Und zwar die unterbrochenen Lieferketten. In einer heute extrem vernetzten Wirtschaft, in der kleine oder mittelständische Unternehmen einen Großteil von Einzelkomponenten für die Endprodukte liefern und es kaum Lagerhaltung gibt, kann der Ausfall eines Zulieferers enorme Auswirkungen haben.
Speziell in einer Industrieregion wie die in Hagen, dem Märkischen Kreis und dem Ennepe-Ruhr-Kreis, wo es massenweise Unternehmen gibt, die kein Endverbraucher kennt, die aber hoch spezialisiert in ihrem Bereich sind. Und wo nun die Flut besonders zugeschlagen hat: Bis zu 2000 Betriebe und Geschäfte seien betroffen, so die für das Gebiet zuständige Südwestfälische Industrie- und Halskammer (SIHK). Und immer noch kämen neue hinzu.
Die Hagener Feinstahl GmbH ist so ein Unternehmen, an dem man tausend Mal vorbeifährt, ohne genau zu wissen, was hier tatsächlich produziert wird. Timo Fichtel macht es einfach: „Wir ziehen ganz einfach Draht.“ Draht, der am Ende aber ganz besonders ist, ganz speziell für die Kunden aufbereitet. Mal hauchdünn, mal mit einer besonderen Beschichtung. Draht, der sich später in Schrauben wiederfindet, in Türschlössern. Und in Autos.
Mitarbeiter in der Flutnacht mit Schlauchboot gerettet
„Wir wissen gar nicht, wo genau dann unser Draht verbaut wird, da hängen wieder andere Unternehmen zwischen“, so der Leiter Finanzen. „Aber wir wissen, dass die weiteren Firmen darauf angewiesen sind, dass wir liefern, weil ihnen sonst das Material ausgeht. Wenn das noch länger anhält, dann stehen auch die Bänder bei den Autoherstellern still.“ Mehr als 1000 Tonnen Draht gehen im Monat normalerweise vom Hof. Jetzt erst einmal gar nichts. Und so leicht gibt es auch keinen Ersatz auf dem Markt, zu speziell sind die Produkte.
Und das alles wegen dieser Flut, von der man eigentlich gehofft hatte, dass sie das Unternehmen nicht trifft. Am Mittwoch vergangener Woche, da bestimmten schon die Bilder der Zerstörung aus dem Hagener Stadtteil Hohenlimburg deutschlandweit die Nachrichten, kam abends die zweite Flutwelle angerollt. „Experten der Stadt hatten uns vorher noch gesagt, dass es uns wohl nicht hart treffen würde“, erinnert sich Timo Fichtel. Trotzdem wurde die Spätschicht vorsichtshalber nach Hause geschickt. Nur ein kleines Team blieb zur Kontrolle da.. „Die musste die Feuerwehr dann mit dem Schlauchboot aus der Firma holen“, so Fichtel. Denn binnen kürzester Zeit war alles mehr als einen Meter hoch überflutet.
Alle Maschinen sind defekt, der Serverraum stand unter Wasser
Konkret bedeut das: Alle Maschinen laufen nicht, die Elektronik, die komplett im Wasser stand, ist defekt. Das Wasser drang in der Serverraum ein, so dass auch die IT des Unternehmens, von der auch die Standorte in Iserlohn und Altena abhängig sind, schwer getroffen wurde. Und eine Stromversorgung von außen gibt es auch heute noch nicht. Die 10-kv-Station des Energieversorgers, die vor den Toren des Unternehmens steht, ist kaputt. Die Lieferung von Ersatzteilen wir wohl noch Wochen dauern.
Die Hagener Feinstahl GmbH hat sich schon ein Stück weit rausgekämpft aus dem Schlamm: „Das Beeindruckende in dieser Situation war, wie alle mit angepackt haben“, sagt Timo Fichtel. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind auch am Wochenende gekommen. Befreundete Unternehmen haben geholfen, Abfuhrunternehmen Sonderschichten gemacht. Landwirte sind mit Traktoren gekommen.“
Rares Gut: Putzlappen, Reinigungsmittel, Schutzhandschuhe oder Flitschen
Die Firma hat Notstromaggregate organisiert, die jetzt über Wochen und Monate die Versorgung sichern müssen. „Wie zu Beginn der Corona-Pandemie, als die Masken und Schutzkleidung knapp wurden, so haben wir uns jetzt von überall her um Putzlappen, Reinigungsmittel, Schutzhandschuhe oder Flitschen bemüht“, so die Geschäftsleitung. Jetzt sind überall Mitarbeiter beschäftigt, putzen die Maschinen, spritzen mit Hochdruckreinigern die Metall-Coils ab.
Doch sie können ein großes Problem mit noch so viel Engagement nicht lösen: Dass es eine Not an Ersatzteilen für die Elektrik gibt. Am Wochenende rückt ein Spezialunternehmen mit 50 Mann an, dass die Schaltkästen reinigt, dann wird man sehen, wie viele neue Steuerungsgeräte nötig sein werden. „Hier brauchen wir jetzt auch die Hilfe der Industrie- und Handelskammern und der Verbände“, sagt Timo Fichtel. „Sie müssen den großen Herstellern dieser Ersatzteile klar machen, dass es hier nicht um einen kleinen Mittelständler geht, sondern um ganze Wirtschaftsabläufe. Das muss Priorität haben.“
Keine Versicherung wollte Hochwasser absichern
Und so sieht es auch Ingo Bender, der geschäftsführende Gesellschafter, der im Urlaub von der Katastrophe erfahren hatte und sofort zurückgeflogen war: „Es muss auch den Endproduzenten wie den Auto-Herstellern klar gemacht werden, dass das hier eine gemeinsame Herausforderung ist, dass da kein Druck nützt.“
Auf dem aktuellen Schaden wird das Unternehmen ohnehin sitzen bleiben. Im Hochwassergebiet wollte keine Versicherung Verträge gegen Überflutung abschließen. Auf 5 Millionen Eure schätzt Finanz-Chef Timo Fichtel allein den Schaden. „Und da kommt der Produktionsausfall noch oben drauf.“
Bislang habe man noch in keiner Krise Kurzarbeit anmelden müssen. „Das wollen wir auch jetzt nicht, mal sehen, ob wir es schaffen,“ sagt Timo Fichtel.