Attendorn. Was tun gegen Impfmüdigkeit? In Attendorn wurden junge Leute mit DJ und Cocktails ins Impfzentrum gelotst. Das findet nicht jeder gut.

Am Tag danach ist Markus Hoffmann noch ganz euphorisch. Der 39 Jahre alte „DJ, Producer & Remixer“ (Eigenbeschreibung), im Sauerland als DJ Marc Kiss bekannt, hat am Mittwochabend zum ersten Mal seit dem 8. Oktober 2020 wieder Platten aufgelegt und ist zudem geimpft worden.

Er war, in der Szene-Sprache, Top-Act der ersten Impf-Party im Impfzentrum des Kreises Olpe in Attendorn, und freut sich, dass er bei seinem Konsolen-Comeback zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte: „Ich habe heute ein sehr cooles Gefühl.“

Keine vergleichbare Veranstaltung im Bundesgebiet

Eine Impf-Party mit DJ und Barkeepern, die alkoholfreie Cocktails mixen? Sind die jetzt völlig durchgeknallt? Sinngemäß solche Fragen musste sich Stefan Spieren, Ärztlicher Leiter des Impfzentrums, in sozialen Netzwerken stellen lassen.

Doch der Arzt blieb gelassen, sagt auch mit dem Wissen, dass ihm bundesweit keine vergleichbare Veranstaltung in einem Impfzentrum bekannt ist: „Man muss manchmal verrückte Ideen umsetzen, um zum Ziel zu kommen.“

161 Menschen geimpft

Das Ziel: den rückläufigen Anmeldezahlen in Impfzentren entgegenzuwirken und insbesondere über 16-jährige Jugendliche sowie junge Erwachsene zu Impfungen zu animieren. „Jetzt können wir angesichts einer gewissen Impfmüdigkeit das Ruder noch bewegen. Wir müssen mehr junge Leute impfen, um besser in den Winter zu gehen.“

Der Erfolg am Mittwochabend gibt ihm recht: 161 Menschen („eine sensationelle Zahl“) wurden in ungezwungener Atmosphäre geimpft, „überwiegend 16- bis 20-Jährige“, sagt Spieren, „Schüler und Auszubildende, die wir besonders schützen müssen, wenn sie nach den Ferien wieder im Unterricht in einem Raum sitzen“. Die steigenden Infektionszahlen im Ausland, so der 43 Jahre alte Hausarzt aus Wenden, gäben einen Vorgeschmack auf die Auswirkungen der Delta-Variante.

Rückkehr persönlicher Freiheiten

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Zumal in der jungen Zielgruppe durchaus Überlegungen herrschten, auf eine Impfung zu verzichten, eine Covid-19-Erkrankung durchzumachen und so immun gegen das Virus zu werden. „Das ist natürlich Blödsinn. Eine falsche Argumentation, die auch bei der Rechtfertigung von Masern-Partys benutzt wird. Ich warne davor, sich leichtfertig den Langzeitfolgen eines Post-Covid-Syndroms auszusetzen.“

Der Arnsberger Mediziner Burkhard Lawrenz, Vorstandsmitglied des Landesverbandes Westfalen-Lippe im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, hat dagegen in seiner Praxis noch keine Impfmüdigkeit bei „16- und 17-Jährigen“ festgestellt. „Die Jugendlichen lassen sich sehr wohl impfen, weil sie sich davon die Rückkehr persönlicher Freiheiten wie das Feiern und das Reisen versprechen.“

Junge Leute gut informiert

Über das Coronavirus seien sie gut informiert. Sie wüssten, dass sie sich in einer Altersgruppe befänden, deren Kontaktverhalten die Virusverbreitung fördern kann. Was die Impfbereitschaft geschwächt habe, sei die „Rolle rückwärts“ der Ständigen Impfkommission (Stiko) am 10. Juni gewesen, so Lawrenz.

Galt eine Impfempfehlung bis dahin für alle Jugendlichen, wurde sie beschränkt auf die 12- bis 17-Jährigen, die Risikopatienten sind bzw. einen Risikopatienten in ihrem direkten Umfeld haben: „Das hat viele Eltern verunsichert, die Jugendlichen weniger.“

Sanfte Unterhaltungsmusik gespielt

Einer Impf-Party für junge Leute steht Lawrenz skeptisch gegenüber: „Mir wird der Sinn nicht so recht klar.“ Womöglich müsste er auf Markus Hoffmann alias DJ Marc Kiss stoßen, der die „schöne Atmosphäre“ der Attendorner Veranstaltung hervorhebt.

Er habe sanfte Unterhaltungsmusik gespielt, „keine Stücke der Ärzte“, schmunzelt er. Als er am Ende gegen 22 Uhr selbst geimpft wurde, hätte das Personal kurzerhand den Party-Kracher „Sie liebt den DJ“ umgedichtet: in „Sie impft den DJ“.

Nach dem Premierenerfolg wird es demnächst eine Neuauflage geben. Zuvor soll es am Sonntag gediegener im Attendorner Impfzentrum zugehen: Dann steigt ein Impf-Event für etwas ältere Semester mit alkoholfreiem Bier, Brezel und Blasmusik vom Musikverein Hoffnung Hünsborn. Stefan Spieren: „Vielleicht bedarf es besonderer Aufhänger, um jene für die Impfung zu erwärmen, die etwas müde und zögerlich sind.“

>> INFO: So verfahren andere Städte

  • Dem Beispiel des Impfzentrums im Kreis Olpe wollen andere nicht so schnell folgen. Weder in Hagen noch im Hochsauerlandkreis oder dem Märkischen Kreis sind ähnliche Aktionen geplant. Aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis und dem Kreis Siegen-Wittgenstein stehen die Antworten noch aus.
  • Laut Kassenärztlicher Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) gibt es noch keine statistische Auswertung, wie sehr die Impfzentren nach Aufhebung der Impfpriorisierung von jüngeren Menschen in Anspruch genommen wurden. Es ist unklar, ob diese tatsächlich impfmüde sind.
  • In Hagen und im Kreis Olpe können Impfwillige ohne Termine direkt zum Impfzentrum kommen. Im Hochsauerlandkreis ist von kommenden Montag bis Freitag eine „Woche des Impfens“ ohne Termine geplant. Der Märkische Kreis hält noch an der Terminvergabe fest, heute von 14 bis 18 Uhr und Samstag von 10 bis 12 Uhr und von 14 bis 18 Uhr gibt es Sonderaktionen ohne Termin mit dem Impfstoff von Johnson&Johnson für alle ab 18 Jahre.