Hagen. Debatte wegen sinkender Infektionszahlen: Kann die Maske bald weg? Wir fragen Experten, Bürger – und ermahnen Tragemuffel im Selbsttest.

Der Mund-Nasen-Schutz ist zum ständigen Wegbegleiter geworden. Zum Symbol der Corona-Pandemie. Zum Wutobjekt für jene, die das alles nur noch unsinnig finden. Zum Streitobjekt gar, wenn er nicht ordentlich getragen wird. Was passiert, wenn man jemanden genau darauf anspricht? Wie lange müssen wir das Textil überhaupt noch tragen? Ergibt es Sinn, die Maskenpflicht wie bereits andernorts gefordert aufzuheben oder zu lockern? Wir fragen...

… die Tragemuffel:

Der Autor dieser Zeilen muss zugeben, dass es ihn unangemessen aufregt, wenn Menschen die Maske nicht ordentlich tragen. Ist ja nicht schwer, kann man schon schaffen. Meistens sagt man ja nichts. Aber müsste man nicht? Und was passiert dann? Ein Selbstversuch in der Hagener Innenstadt, in der generelle Maskenpflicht herrscht.

Der Mann, mittleres Alter, Typ Stiernacken, verlässt den Einkaufsmarkt, nimmt sich die Maske vom Gesicht und schnallt sie ums Handgelenk. Eine ältere Frau, die ihm entgegenkommt, schüttelt den Kopf. Freundliche Frage: „Wissen Sie, dass hier Maskenpflicht herrscht?“ Weiß er. Der Stiernacken macht eine entschuldigende Handbewegung. Je mehr ihm klar wird, dass er vor mir nichts zu befürchten hat, desto unwirscher wird er. Es sei doch genug Platz und keiner in der Straße unterwegs. Mit einem entschlossenen Abgang beendet er das kurze Gespräch – und trägt die Maske weiterhin nicht.

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Zugegeben: An der frischen Luft hat der Hinweis etwas von Pedanterie. Andererseits: Die Regeln sind für alle gleich. Warum meinen einige, sich nicht daran halten zu müssen? Gerade in Innenräumen bedeutet jede Nachlässigkeit mit der Maske eine Gefahr für andere. Die beiden Damen, die im Drogeriemarkt nach Schmuck schauen, tragen die Maske unterhalb der Nase beziehungsweise noch weiter unten am Kinn. Würden Sie bitte? Sie ziehen den Schutz bereitwillig hoch.

Ist hier keine Verkäuferin, die auf sowas achtet? Doch, sie ordnet ein Regal bei den Spülmitteln – und zieht sich die Maske immer wieder unter die Nase. Machen Sie das mit Absicht? „Ja, manchmal will ich einfach besser Luft bekommen.“ Verständlich. So geht es aber anderen doch auch. Kann dann jetzt jeder machen, was er will? „Soweit müssen wir ja nicht gehen“, sagt sie. Hat sie schonmal jemand angesprochen? „Nein, Sie sind der Erste?“ Ist es ihr unangenehm, darauf angesprochen zu werden? „Nein“, sagt sie freimütig.

… den Experten:

Die Maskenpflicht ist wieder im Gerede. Aufgrund sinkender Infektionszahlen soll sie bald fallen. Die niedersächsische Landesregierung zum Beispiel hatte die Aufhebung der Maskenpflicht im Einzelhandel in Orten mit einer Inzidenz unter 35 in den Entwurf einer neuen Corona-Verordnung geschrieben - den Passus nach Widerstand aber wieder gestrichen. Der Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz, Peter Heinz, sprach sich ebenfalls für maskenfreie Geimpfte und Genesene aus.

„Ich bin gegen eine Lockerung der Maskenpflicht für Geimpfte und Genesene“, sagt Dr. Dominic Dellweg, Chefarzt der Pneumologie am Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft in Schmallenberg. Die dortigen Experten zu Lungenkrankheiten beschäftigen sich seit Beginn intensiv mit Masken und deren Wirkung. „Die Masken sind effektiv wie mittlerweile viele Studien zeigen konnten und zwar für den Selbstschutz wie auch für den Schutz anderer.“

Dellweg fürchtet, dass Fortschritte im Kampf gegen die Pandemie wieder eingebüßt werden könnten. „Das Infektionsgeschehen ist noch nicht in einer vollständig kontrollierten Phase und es sterben täglich weiterhin mehr als 200 Menschen an der Erkrankung.“ Zudem könnten auch Geimpfte und Genesene (erneut) Träger des Virus sein.

Allerdings könne über manche Maßnahmen sicher nachgedacht werden. „Mit einer Maske durch die Fußgängerzone zu laufen, ist vollkommen sinnlos“, sagt Dellweg, denn die Aerosole verdünnen sich sofort. Neue Daten aus dem irischen Gesundheitssystem hätten belegt, dass weniger als 0,1 Prozent aller Infektionen im Freien stattgefunden hätten. Die Gefahr lauere eher drinnen und steige, je kleiner der Raum sei, je länger Menschen zusammen seien, je mehr Menschen zusammen seien.

„Ich denke spätestens, wenn alle ein Impfangebot bekommen haben, sollte die Maskenpflicht fallen“, sagt Dellweg. Es gäbe zwar dann noch Ungeimpfte: Dies seien entweder Kinder unter 12 Jahren, die aber meist einen sehr milden Verlauf haben, oder Menschen, die auf eine Impfung verzichteten. „Es ist davon auszugehen, dass innerhalb der nächsten Jahre jeder in der Bevölkerung Antikörper haben wird, sei es durch Impfung oder aktive Infektion. Wer sich nicht impfen lässt, den impft die Natur oder wie in den sozialen Medien etwas sarkastisch zu lesen ist: If you don’t like the vaccine – try the disease.“ Übersetzt: Wenn Du die Impfung nicht willst, versuch’ es mit der Erkrankung.

... die Bürger:

„Sollten Geimpfte von der Maskenpflicht befreit werden?“ - diese Frage haben wir den Menschen auf Facebook gestellt. Das Stimmungsbild ist ausgeglichen. „Es gibt keinen Grund für weitere Repressionen! Wer geimpft ist sollte sich frei und unbeschwert bewegen können“, sagt Thorsten Horchler aus Siegen. „Auf jeden Fall bin ich dafür, dass der Masken-Irrsinn bald vorbei ist”, sagt Klaus Huettemeister aus Menden. Michael Jennemann aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis sagt: „Maskenpflicht im Freien generell abschaffen und es ansonsten den jeweiligen Hausherren überlassen.”

Doch die Fraktion derer, die die Abschaffung der Maskenpflicht ablehnen, ist mindestens genauso groß. „Auch Geimpfte können sich mit dem Virus anstecken und es dann weitergeben“, sagt Sandra Goerke aus Menden: „Die Impfung schützt vor einem schweren Krankheitsverlauf und nicht, sich überhaupt anzustecken. Habe das leider bei drei Personen aus meinem direkten Umfeld erlebt.“ Yvonne Kam aus dem Bereich Wetter/Herdecke meint: „Mal davon ab, was moralisch und gesundheitlich richtig wäre: Wer soll das kontrollieren?“ Norbert Bracht aus Brilon ergänzt: „Diese Diskussion, ob Geimpfte die Maske weglassen können, können wir führen, wenn 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sind.“ Und das dauert noch ein wenig.