Gevelsberg. Nach fast 20 Jahren endet der deutsche Einsatz in Afghanistan. Über den Erfolg der NATO-Mission gibt es Zweifel – auch von Soldaten.

In seiner Erinnerung vergeht kaum ein Abend in Kundus, an dem keine Bomben über die Container im Camp fliegen. Schnell in den Schutzraum, Routine damals. Die Geschosse pfeifen über die mit Sandsäcken belegten Container. Ein Geräusch, das Frederik (Name geändert) für immer in Erinnerung behält. Das ihn immer wieder einholt. 261 Tage seines Lebens verbringt er in Afghanistan. Fast 5000 Kilometer trennen ihn von seiner Heimatstadt Gevelsberg. Angst um das eigene Leben und Heimweh nach der Familie prägen den Alltag. Einen Alltag, der ihn verändert hat – in einer Region, die sich seine Anwesenheit nicht gewünscht hat.

Nach fast 20 Jahren endet die NATO-Mission für die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan mit dem Beginn des Rückzugs ab dem 1. Mai. So ist es in den vergangenen Tagen verkündet worden. 59 Bundeswehrsoldaten verloren in der Zeit ihr Leben. Sie kämpften für die Freiheit dort. Aber nicht nur. „Deutschlands Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt“, sagte der damalige Verteidigungsminister Peter Struck Anfang 2002. Frederik ist einer von denen, die vor Ort waren, die erlebt haben, wie zehrend dieser Einsatz ist. Wie aufwendig. Wie vergeblich zum Teil auch.

„Du siehst das Geld und machst deinen Job“

Als 2008 seine Mission beginnt hat Frederik keine Meinung zu dem Einsatz. Heute sieht er ihn kritisch. „Wir sollten ein vollkommen anderes Volk nach unseren Maßstäben umerziehen“, sagt er. Seine Motivation damals war aber eine andere: „Du siehst das Geld und machst deinen Job.“

Er selbst hat mit den Konflikten an vorderster Front nichts zu tun. Frederik arbeitet im Camp in Masar-e-Sharif in der Logistik, seine Aufgabe ist es, die deutschen Truppen im Norden Afghanistans mit den notwendigen Mitteln auszustatten. Er hat lediglich mit den Einheimischen Kontakt, die in das Camp dürfen und die Arbeit der Bundeswehr unterstützen.

Ein Leben hinter Mauern

Viel von dem Land, das für fast ein Jahr seines Lebens sein Wohn- und Arbeitsort ist, sieht er nicht. Zwei Mal ist er am Hindukusch im Einsatz. Nur einmal muss er das Camp seinerzeit verlassen – und nach Kunduz reisen.

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    171 Kilometer sind das gerade einmal, die Reise dorthin ist aber beschwerlich. Straßen gibt es nur wenige, und wenn es welche gibt, sind diese holprig. Die meisten sind vom immer präsenten Sand verdeckt. So dauert die Reise vom großen deutschen Stützpunkt in das Außenlager mehrere Tage. An einem Tag, so erinnert sich Frederik, schaffen er und seine Kameraden nur 80 Kilometer. Die Gefahr angegriffen zu werden ist zu hoch, also fliegt er die geringe Distanz. „Masar-e-Sharif ist Zucker. Die Kameraden, die außerhalb des Camps im Einsatz sind, hausen im Dreck“, erinnert er sich.

    Täglich traurige Nachrichten

    Schön ist es dort, wo er im Einsatz ist, aber auch nicht. Aber er wiegt sich eher in Sicherheit als seine Kameraden außerhalb des großen deutschen Stützpunkts. Sagt er. Und dass, obwohl ihn fast täglich Nachrichten von gefallenen Soldaten erreichen. „Da haben wir jedes Mal geschluckt“, sagt er. Frederik berichtet von einer Erinnerung an einen Kollegen, dem er eines Morgens noch Materialien übergab – und der Stunden später über eine Miene fuhr und sein Leben verlor.

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    Als Frederik zwischen seinem ersten Einsatz 2008 und seinem zweiten Einsatz 2011 in seiner Heimatstadt ist, hat er oft mit diesen Erinnerungen zu kämpfen. „Mir ging es damals nicht gut“, sagt er. Er hinterfragt seine Aufgabe, die Bedeutung seiner Arbeit in Afghanistan. Sein Weltbild habe sich in der Zeit zwischen den beiden Einsätzen verändert. Bis auf einige Freunde nimmt kaum jemand Notiz, dass er mit tausenden Kameraden „unsere Freiheit“ verteidigt. Das Leben geht für sie ganz normal weiter. Für ihn auch. Nur mit den Erinnerungen im Kopf. Macht das einen Sinn?

    In seiner Jugend ist er ein wenig orientierungslos. „Ich habe zu viel Zeit mit den falschen Leuten verbracht damals“, sagt er heute. Beruflich läuft aber alles, Frederik macht eine Ausbildung zum Heizungsbauer, arbeitet einige Jahre. Seine politische Gesinnung vor seiner Zeit bei der Bundeswehr beschreibt er als eher rechts als links. Jetzt, acht Jahre nach seiner Zeit in Afghanistan, ist das anders. „Ich habe gemerkt, dass man wirklich nur etwas verändern kann, ohne sich dabei zu bekriegen“, sagt er. Dennoch geht es für ihn wieder an den Hindukusch. „Beim zweiten Mal musste ich“, sagt er. Heute würde er das nicht wieder tun.

    Nur geringe Erfolge

    Denn seine Erfahrungen haben ihn geprägt. „Das Land ist politisch aus unserer europäischen Perspektive ein Scherbenhaufen. Das wird auch so bleiben“, sagt er. Am Problem des Terrors im Land habe der Einsatz nichts geändert. „Wir haben sie nur vor uns hergetrieben“, sagt Frederik. Seiner und der Arbeit seiner Kameraden misst er im Nachhinein keinen Sinn mehr bei .

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    Er selbst habe nichts verändert in dem Land, davon ist er heute überzeugt. Ein Land, das anders tickt als sich das die Entscheider in den USA und Europa vorgestellt hatten, verändert sich nicht, weil andere es möchten. Den Aufbau von Schulen bezeichnet er als Erfolg, die Rekrutierung und Ausbildung einer Polizei ebenfalls. Doch damit endet die Liste der Erfolge des deutschen Einsatzes in Afghanistan für ihn bereits. „Wir hätten da nicht hingemusst“, sagt Frederik.