Hamm/Stuttgart. Als Mittelalter-Fan hat er sich in sozialen Netzwerken. Jetzt steht der Polizei-Angestellte Thorsten W. aus Hamm unter Rechtsterror-Verdacht.
Wenn Thorsten W. in sozialen Netzwerken Fotos von sich als germanischer Krieger mit Schwert und Runenschild oder als Wikinger postete, haben manche Kollegen bei der Polizei in Hamm womöglich ein wenig gelächelt und sich gedacht: „So ist unser Kollege nun mal mit seinem Spleen zum nordischen Brauchtum.“ Als der Verwaltungsmitarbeiter in der Direktion Verkehr im Stadtteil Bockum-Hövel am 14. Februar 2020 bei einer Razzia gegen eine mutmaßliche rechtsextreme Terrorzelle in sechs Bundesländern festgenommen wurde, wird sich die Sicht auf einen vermeintlich harmlosen Mitunter-Sonderling schlagartig geändert haben.
Ab Dienstag muss sich W. als mutmaßlicher Unterstützer der sogenannten „Gruppe S.“ vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verantworten. Er soll sich bereit erklärt haben, 5000 Euro für den Ankauf von Waffen und Munition bereitzustellen, falls nötig auch mehr. Die elf Hauptangeklagten, denen Gründung einer rechtsterroristischen Vereinigung vorgeworfen wird, hätten Terroranschläge auf Politiker und Moscheen beabsichtigt, um „bürgerkriegsähnliche Zustände“ herbeizuführen.
Reichskriegsflaggen wehten an seinem Balkon
Der Fall des mutmaßlichen Reichsbürgers Thomas W. hat vor mehr als einem Jahr eine bundesweite Debatte über rechte Tendenzen bei der Polizei befeuert. In regelmäßigen Abständen nach seiner Festnahme kamen „Geschichten“ über den damals 50 Jahre alten Hammer ans Licht, der seit 1995 bei der Polizei war: dass Reichskriegsflaggen an seinem Balkon wehten, dass er auch am Arbeitsplatz schon mal Kleidung einer in der rechten Szene beliebten Modemarke trug oder rechte Publikationen auf seinem Schreibtisch lagen. Nicht zu vergessen die überklebte Europaflagge an seinem Auto.
Drei Wochen nach Thorsten W.‘s Festnahme rügte NRW-Innenminister Herbert Reul, dass es mehr als zehn Jahre Hinweise auf eine Radikalisierung des Polizeimitarbeiters gegeben habe. Und nichts geschah. „Im Fall Thorsten W. sind Fehler unterlaufen“, sagt jetzt Hendrik Heine, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Polizeipräsidium Hamm, „einzelne Hinweise sind nicht zu einem gemeinsamen Bild zusammengefügt und Sachverhalte seines Agierens nicht ausreichend geprüft worden“.
Disziplinarverfahren bei der Polizei in Hamm
Man hätte früher Konsequenzen ziehen müssen – zum Beispiel ein Disziplinarverfahren und eine Information an den Staatsschutz. W. arbeitete zwischenzeitlich in einer Abteilung, in der Genehmigungen für Waffenscheine erteilt wurden. Er selbst soll bis zu seiner Festnahme eine Waffenbesitzkarte besessen haben.
Im Zuge der internen Ermittlungen bei der Hammer Polizei wurden Disziplinarverfahren gegen einen Polizeivollzugsbeamten und einen Regierungsbeschäftigten eingeleitet, erklärt Polizeisprecher Heine. „Sie stehen nicht im Zusammenhang mit der ,Gruppe S.‘“. Ein weiterer Beamter sei „ebenfalls vorläufig“ des Dienstes enthoben worden.
Polizeipräsident Erwin Sievert setzte wenige Tage nach der Festnahme von Thorsten W. eine behördeninterne Arbeitsgruppe ein. Hier sei ein Konzept zur Extremismusprävention erstellt worden, so Hendrik Heine. Als Projektpartner sei im vergangenen Dezember der Verein „Multikulturelles Forum“ gewonnen worden. Die Arbeitsgruppe leite der Extremismusbeauftragte, „erster Ansprechpartner bei Hinweisen, die eine extreme Einstellung oder Zugehörigkeit zu extremen Netzwerken für möglich erscheinen lassen“.
Alle 50 Polizeibehörden haben nun Extremismusbeauftragten
Dem NRW-Innenministerium zufolge erhielten im März 2020 alle 50 Polizeibehörden des Landes sowie die Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW einen Extremismusbeauftragten. „Diese stehen den Mitarbeitern der Polizei außerhalb des Dienstweges als Ansprechpartner zur Verfügung“, so Ministeriumssprecherin Leoni Möllmann. Und im vergangenen Oktober sei im Innenministerium die Stabsstelle „Rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei NRW“ eingerichtet worden: „Sie wird im Herbst dieses Jahres ein Handlungskonzept zur Früherkennung, Entgegnung und Vorbeugung rechtsextremistischer Tendenzen vorstellen.“
Bei der Polizei in Hamm jedenfalls soll es fortan keine Fälle a la Thorsten W. mehr geben. Sprecher Hendrik Heine: „Beschäftigte der Polizei müssen über jeden Verdacht erhaben sein, fremdenfeindliche und/oder diskriminierende Anschauungen zu vertreten oder auch nur zu dulden.“