Lüdenscheid. Am 28. Februar 2020 wurde der erste Corona-Fall im Sauerland bestätigt. Eine Schulleiterin und Mitglieder des Krisenstabs erinnern sich.
Der Atomschutzbunker im Untergeschoss des Lüdenscheider Kreishauses, Anfang der 80-er Jahre erbaut, ist ein Überbleibsel aus dem Kalten Krieg. Wer in den Raum möchte, muss durch eine 50 Zentimeter dicke Stahltür. Heute hängen Flachbildschirme und Landkarten des Sauerlandes an den Wänden, der „Bunker“ wird als „Katastrophenschutz-, Lage- und Ausbildungszentrum“ des Märkischen Kreises genutzt. Hier sollen Krisenstäbe Großlagen – wie zum Beispiel Epidemien – bewältigen.
Am Freitag, 28. Februar 2020, sitzen Vertreter der Kreisverwaltung an den Tischen und warten auf das Testergebnis eines Lehrers der Lüdenscheider Mosaikschule. Er hatte eine Karnevalssitzung besucht. Und zwar in der Gemeinde Gangelt (Kreis Heinsberg), die zu Beginn der Pandemie als Erstregion traurige Berühmtheit erlangt hatte.
Fall 36 in Nordrhein-Westfalen
„Ich saß auf heißen Kohlen“, erinnert sich der damalige Landrat Thomas Gemke, „ich wollte zu einer Präsidiumssitzung des Sauerländischen Gebirgsvereins nach Arnsberg.“ Gemke kommt an diesem Abend mit großer Verspätung dort an: „Corona ging vor.“ Denn nach langem Warten hat der Atomschutzbunker die Nachricht vom ersten bestätigten Corona-Fall im Sauerland ereilt. Es ist zu diesem Zeitpunkt der 36. an Covid-19-Erkrankte in NRW.
Am Abend des 28. Februar 2020 machte die Meldung von dem positiv getesteten Lehrer aus Lüdenscheid bundesweit die Runde. Die meisten Nachrichten, die bis Mitternacht noch verbreitet wurden, hatten einen Bezug zum Coronavirus. So wurde Kanzlerin Merkel zitiert, die beim Jahresempfang in ihrem Wahlkreis sagte: „Ich gebe heute Abend niemandem die Hand.“
Schule in Trägerschaft des Märkischen Kreises
Die Mosaikschule im Lüdenscheider Stadtteil Gevelndorf in Trägerschaft des Märkischen Kreises befindet sich direkt neben der Otfried-Preußler-Grundschule, benannt nach dem Kinderbuchautor, der die Abenteuer des Räuber Hotzenplotz schuf. Lustige Kasperlegeschichten, die so gar nicht zu den Gefühlslagen rund um den 28. Februar 2020 passen.
„Mein Kollege hat sich damals vorbildlich verhalten“, sagt Anna Christoforidis, die Leiterin der Förderschule, rückblickend. „Er hatte mich sofort angerufen, als er erfuhr, dass bei einer Kontaktperson von ihm in Gangelt eine Corona-Infektion nachgewiesen wurde. Und er hat sich sofort in Quarantäne begeben und sich testen lassen.“
Die Kappensitzung in der Gemeinde Gangelt besucht
Am 25. Februar 2020 war ein 46-jähriger Familienvater aus dem Kreis Heinsberg, das von der altehrwürdigen britischen „Times“ zum „deutschen Wuhan“ gemacht wurde, mit einer Covid-19-Erkrankung in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Er hatte wie der Pädagoge der Mosaikschule Mitte Februar an der Kappensitzung des Karnevalsvereins Langbröker Dicke Flaa im Bürgertreff der Ortschaft Langbroich-Harzelt (Gemeinde Gangelt) teilgenommen.
Der Lehrer aus dem Sauerland will sich nicht öffentlich äußern, die Kreisverwaltung hatte damals mitgeteilt, dass er nur „milde Erkältungssymptome“ zeige. Schulleiterin Anna Christoforidis will vermitteln, wie „herausragend uns der Schulträger, die Schulaufsicht und das Gesundheitsamt durch die schwierige erste Zeit getragen hat“.
Nach Bekanntwerden der Erkrankung des Lehrers wurde die Schule umgehend geschlossen, die Eltern der Förderschüler wurden über den Messenger-Dienst der Schule und per E-Mail informiert. Vier Lehrer, zwei Integrationskräfte und 22 Schüler mussten als Kontaktpersonen des Infizierten in häusliche Quarantäne, zudem acht aus dem privaten Umfeld. Bei allen Kontaktpersonen fielen Tests auf den Erreger negativ aus.
Nicht auf das Virus vorbereitet
Weil einige Zeit später ein zweiter Corona-Fall im Lehrerkollegium hinzukam (Anna Christoforidis: „keine Verbindungen zum ersten Fall“) und weitere Lehrer in Quarantäne mussten, öffneten sich die Türen des Schulgebäudes in Lüdenscheid-Gevelndorf bis zu den generellen Schulschließungen in NRW am 16. März 2020 nicht mehr. „Wie alle in Deutschland waren auch wir in keiner Weise auf das Coronavirus vorbereitet“, so die Schulleiterin.
Hendrik Klein drückt es anders aus, meint aber dasselbe: „Dass das Virus mit dieser Wucht kam, hatte keiner erwartet.“ Der langjährige Sprecher des Märkischen Kreises sieht sich als durchaus krisenstabs-erfahren („wir haben regelmäßig Übungen absolviert“): „Aber was Ende Februar 2020 kam, das war schon heftig. Und ist es immer noch.“
Kreis Heinsberg war zunächst weit weg
Der Sauerländer kann sich noch gut an die Zeit vor dem 28. Februar 2020 erinnern. „Okay, Wuhan hatten wir schon. Aber China ist weit entfernt. Und selbst der Kreis Heinsberg war auch erst einmal weit weg.“ Als der Lehrer der Mosaikschule positiv getestet wurde, war das ferne Virus plötzlich gegenwärtig. Fortan allgegenwärtig: „Im Krisenstab war uns klar, dass dies kein Einzelfall war. Dass wir es mit einem Virus zu tun haben, das uns alles abverlangt.“
Der damalig Landrat Thomas Gemke spricht von „Neuland für alle. Wir haben gelernt, dass man in einer Pandemie immer nur auf Sicht fahren kann.“ Das A und O im Krisenmodus, das war allen mit dem ersten Corona-Fall klar, sei „entscheiden und machen“. Dass dabei auch einmal Fehler passieren könnten, gesteht er ein. Aber: „Die Leistung in der Kreisverwaltung und in anderen Behörden war schon beeindruckend.“
Ängste aus Unwissenheit
Die Mosaikschule in Lüdenscheid ist vor einem Jahr unfreiwillig ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. „Ja“, sagt Schulleiterin Anna Christoforidis, es habe auch Menschen gegeben, die argwöhnisch auf die Schule und ihr Personal geblickt hätten: „Das ging sogar so weit, dass Kollegen, die sich nicht in Quarantäne befanden, bei außerschulischen Veranstaltungen nicht mehr willkommen waren.“ Für die Pädagogin eine Folge der damaligen Umstände: „Die Unwissenheit über ein unbekanntes Virus hat Ängste ausgelöst.“
Die „halbe Schülerschaft“, so Anna Christoforidis, ist in dieser Woche in die Mosaikschule zurückgekehrt. Alle mühen sich, so gut es geht, mit den Herausforderungen der Pandemie umzugehen. „Ein Jahr nach dem ersten Corona-Fall im Sauerland ist um“, sagt die Schulleiterin am Ende des Gesprächs, „und wir kämpfen immer noch gegen das Coronavirus.“