Hagen. Der Lockdown bringt vergessen geglaubte Talente zum Vorschein. Immer mehr Menschen in Südwestfalen machen wieder Musik. Wir verraten, warum

Das Kino ist dicht, die Kneipe auch, das Theater erst recht. Wohin mit den langen Abenden im Lockdown? Viele Corona-genervte Erwachsene erinnern sich derzeit an die Gitarre oder die Blockflöte aus Jugendtagen, die auf dem Speicher verstaubt. Die Musikwirtschaft spricht bereits vorsichtig von einer Renaissance der Hausmusik. Gibt es die wirklich? Wir haben bei den Musikfachgeschäften in der Region nachgefragt.

„Man kann keinen Urlaub machen, die Leute sitzen Zuhause und kommen auf die Idee, wieder zu musizieren“, bestätigt Meinolf Kahrig, Inhaber von Music World Brilon, den Trend. „Wir verkaufen in viele europäische Länder, wo es teilweise einen noch stärkeren Lockdown gibt. Das merken wir in der Nachfrage.“

Ware aus Asien wird knapp

Music World Brilon gehört zu den zehn größten Musikhäusern mit Vollsortiment in Deutschland. Meinolf Kahrig beschäftigt 35 Mitarbeiter, darunter Instrumentenbauer aus allen Sparten. Die Briloner haben bereits vor 20 Jahren mit dem Online-Geschäft begonnen, das zahlt sich heute aus. Aber: „Die neue Lust am Musizieren kann nicht die Lücken füllen, die grundsätzlich entstanden sind.“

Im Homeoffice gefragt sind Instrumente, mit denen man sich alleine beschäftigen kann: Digitalpiano, Keyboard, Gitarre und das aktuelle Trendinstrument Ukulele. Allerdings stehen die Händler derzeit vor einer Reihe von Problemen, die mit dem globalen Lockdown zu tun haben. Die Ware aus Asien wird knapp. Weil sich die Preise für die Verschiffung verfünffacht haben, stehen Container voll mit Keyboards und Digitalpianos in den überseeischen Häfen und werden nicht weitertransportiert.

Nachfrage fehlt, weil der Kulturbetrieb stillgelegt ist

Hierzulande bringt der stillgelegte Kulturbetrieb die Musikhändler um die Nachfrage. „Schulorchester, Bläserklassen, Laienorchester, Profiphilharmonien, überall passiert derzeit gar nichts. Insofern ist auch der Bereich der Zubehörprodukte ganz massiv eingebrochen“, so Kahrig. Was läuft, sind Produkte im Bereich Technik und Elektronik, die beim digitalen Unterricht hilfreich sind. Kahrig: „Die frühe Digitalisierung ist unser großer Vorteil, weil wir online definitiv gut verkaufen. Aber auch online werden die Produkte, die nicht benötigt werden, nicht gekauft.“

Der junge Instrumentenmachermeister Holger Block hat sich vor viereinhalb Jahren in Drolshagen-Öhringhausen mit „Meister Block“ selbstständig gemacht, einer Fachwerkstatt für Blasinstrumente. „Die Basis meiner Kundschaft sind die hiesigen Musikvereine“, betont er. Die Blasorchester haben 2020 keine Einnahmen generiert, weil die Schützenfeste ausgefallen sind. „Deshalb hat jeder Verein derzeit einen Deckel auf der Kasse. Es ist deutlich weniger geworden. Hier und da kommen noch ein paar Privataufträge rein. Aber ich mache mir noch nicht ins Hemd deswegen.“

Meister Block kommt vom Horn und schätzt an seiner Heimat Südsauerland die große Dichte an Musikvereinen. „Der Standort ist super, aber wenn nichts stattfindet, geht auch weniger kaputt.“

Musikvereinen fehlen die Einnahmen

Uwe Fischer ist in dritter Generation Geigenbaumeister in Arnsberg. Im Geigenbauatelier Fischer gehören traditionell die Streicher der umliegenden Philharmonien zu den Kunden, die Hagener Philharmoniker etwa oder die Bochumer Symphoniker. Der junge Hans-Josef Becker, heute Erzbischof in Paderborn, hat dort seine erste Bratsche gekauft. Jetzt packen auch Laien wieder ihre Geigen und Celli aus.

„Das ist spürbar“, resümiert Uwe Fischer. „Ganz am Anfang der Pandemie hat es sich am meisten bemerkbar gemacht. Die Leute hatten keine Ausweichmöglichkeiten und haben wieder musiziert. Das konnten wir anhand der Reparaturen und der Bemerkungen der Kunden schließen.“

Ältere Leute gönnen sich noch mal ein schönes Instrument

Georg Göbel von Early Music, dem Fachgeschäft für Blockflöte und alte Musik im Schwelmer Ibach-Haus, beobachtet ebenfalls einen verstärkten Trend zur Hausmusik, allerdings unabhängig von Corona. „Unsere Hauptklientel sind Lehrer, die für ihre Schüler Flöten aussuchen. Das ist durch Corona sehr zurückgegangen.“ Die Altersstruktur der Hobbymusiker hat sich verändert. Göbel: „Die Zukunft der Blockflöte liegt bei den älteren Menschen. Unsere Hauptklientel sind ältere Leute, die sich noch mal eine schöne Flöte gönnen. Ich könnte mir vorstellen, dass das noch zunimmt.“