Siegen/Hagen. Christoph Kiendl aus Wilnsdorf meldete sich als Freiwilliger einer Impf-Studie. Wie sich das anfühlte und welche Nebenwirkungen er verspürte.

Das Schüttelfrostgefühl ist weg, das Fieber auch. Zurück bleibt für den Moment große Zufriedenheit. „Jetzt bin ich froh, ich habe es hinter mir“, sagt Christoph Kiendl aus Wilnsdorf bei Siegen, 51 Jahre alt, Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens: „Die Impfung kann mir niemand mehr nehmen.“ Er gehört zu den ersten Personen in Deutschland, die gegen das Coronavirus geimpft sind. Möglich macht dies seine Teilnahme an einer medizinischen Studie zum Impfstoff des Mainzer Herstellers Biontech und des US-Pharmakonzerns Pfizer.

Impfstoff gegen Corona – begehrt und beäugt

BNT162b2 – die kryptische Bezeichnung des verabreichten Wirkstoffs trägt Christoph Kiendl so selbstverständlich vor als handele es sich um etwas, das man auf einen Einkaufszettel schreiben würde. Dabei dreht es sich um den Inhaltsstoff der wohl begehrtesten Flüssigkeiten, die derzeit zu bekommen sind. Einer Flüssigkeit, der viele Menschen aber auch noch mit Argwohn gegenüberstehen. Was ist es, das der Bevölkerung da unter die Haut gespritzt werden soll?

Christoph Kiendl aus Wilnsdorf bei Siegen nimmt an einer Studie zur Erforschung des Impfstoffes von Biontech und Pfizer gegen das Coronavirus teil.
Christoph Kiendl aus Wilnsdorf bei Siegen nimmt an einer Studie zur Erforschung des Impfstoffes von Biontech und Pfizer gegen das Coronavirus teil. © WP | Privat

Kiendl weiß es. Zumindest weiß er, wie es sich anfühlt. Die Infektions- und Todeszahlen steigen auf Rekordhöhen in Deutschland. Großbritannien hat an diesem Wochenende festgestellt, dass es offenbar eine mutierte Form des Virus gibt, die sich noch schneller verbreitet. Der 51-Jährige kann die meisten Schreckensnachrichten beruhigter hinnehmen, weil er zu den wenigen gehört, die sich als am besten geschützt bezeichnen dürfen.

Der Impfstoff ist „das Licht am Ende des Tunnels“

Vor einigen Wochen habe er einen Beitrag gesehen, in dem Bundesforschungsministerin Anja Karliczek über den Stand bei den Impfstoffen sprach. Kiendl dachte: „Warum sollte ich nicht Teil davon werden?“ Die zweite Welle war nicht nur in NRW schon sicht- und spürbar, umso mehr wirkte der Impfstoff wie „Licht am Ende des Tunnels“, sagt er. „Ich dachte mir, dass ich meinen Teil zu Hoffnung und Zuversicht beitragen könnte, weil durch meine Hilfe der Impfstoff schneller zugelassen und die Pandemie schneller überwunden werden kann.“ Ein großer Schritt für die Menschheit, ein kleiner Schritt für ihn. Oder?

Er recherchierte und fand einen Anbieter klinischer Studien: Clinical Research Services in Mannheim. Weitere Standorte: Berlin, Kiel, Wuppertal. Kiendl meldete sich freiwillig, als Proband, als Versuchsperson für eine Phase-3-Studie, der letzten Phase der Erprobung, an der 40.000 Menschen teilnahmen. Absage. Warteliste. Dann doch die Zusage für eine weiterführende Studie mit dem Wirkstoff, „weil immer mehr Wissen gesammelt werden muss“, sagt Kiendl. Zu Wochenbeginn wird die Europäische Arzneimittelagentur voraussichtlich eine bedingte Marktzulassung für den Biontech-Impfstoff für die EU empfehlen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn geht davon aus, dass ab dem 27. Dezember in Deutschland geimpft werden kann.

Nebenwirkungen und mögliche Langzeitschäden

In nur acht, neun Monaten ist das Gegenmittel gefunden. Viele trauen dem vergleichsweise unbekannten Wirkstoff noch nicht. Wie kann das so schnell gehen, wenn die Entwicklung eines Impfstoffs doch sonst viel länger dauert? Und was ist mit Nebenwirkungen und möglichen Langzeitschäden? „Ich habe keine Zweifel gehabt, weil ich wusste, dass der Impfstoff vor mir schon 40.000 Menschen verabreicht worden war und keine größeren Nebenwirkungen aufgetreten sind. Wir haben die Daten zu den Studien vorab erhalten“, sagt Kiendl.

Aufwändig sei seine Studienreihe, an der neben ihm nur fünf weitere Personen teilnehmen. Sieben Mal war er seit November nun in Mannheim in einer ehemaligen Kinderklinik, oft für einen halben oder ganzen Tag: zu Beginn Voruntersuchungen, Papierkram, Aufklärung über Versicherungsschutz und mögliche Nebenwirkungen: Müdigkeit, Kopf- und Muskelschmerzen, Schüttelfrost, Unwohlsein. Rund um die Impfungen dann immer wieder Blutentnahmen, Urinabgaben und die Überwachung vieler anderer Werte.

Notfallnummer 24 Stunden am Tag erreichbar

Erster Impftermin am 26. November, 9 Uhr morgens. Pieks gegen die Pandemie. Schmerzen im Oberarm verspürt er nicht. Kiendl führt ein Impf-Tagebuch, darin notiert er, wie er sich fühlt. Für den Abend des Impftages hält er das Gefühl fest, alles wie durch einen Filter wahrzunehmen, irgendwie dumpfer. Zudem: Kopfschmerzen sowie das Gefühl, nicht richtig krank, aber auch nicht richtig fit zu sein. Sport ist in den Tagen danach eh verboten. Täglich misst er seine Temperatur und notiert sie. Die Probanden haben eine 24 Stunden erreichbare Notfalltelefonnummer erhalten.

Zwei Mal werden Impfwillige gespritzt, drei Wochen müssen zwischen den Terminen liegen. „Der Impfschutz ist eine Woche nach der zweiten Impfung gewährleistet“, sagt Kiendl. Bei ihm also an Heiligabend. Ein Geschenk, so sieht er das zumindest.

Schüttelfrost und hohes Fieber als Reaktion

Zweite Impfung am vergangenen Donnerstag, wieder 9 Uhr morgens. Kiendl sagt, er sei angespannt gewesen, weil ihm der Moment so wichtig gewesen sei. Er wollte, dass alles klappt, dass sich seine Werte nicht verschlechtert haben, dass nicht eine Erkrankung die zweite Injektion verhindert. „Dann wäre alles für die Katz‘ gewesen.“

Bis nachmittags blieb er unter Beobachtung in Mannheim. Dann stieg er ins Auto. „Auf der Rückfahrt habe ich gemerkt, dass da was kommt. Mir wurde kalt, später bekam ich Schüttelfrost und Fieber: 39,8.“ Er weiß nicht, wann er zuletzt höheres Fieber hatte. Doch es verschwindet auch schnell wieder. „Am Morgen danach habe ich mich aber schon wieder besser gefühlt.“ 2500 Euro brutto hat er erhalten für die Teilnahme an der Studie. Das ist aber nicht der Grund, warum er es wieder so machen würde.

Im Januar wird er erneut untersucht, ein letztes Mal dann im November 2022. Seine Frau, sein Umfeld, niemand habe Sorgen angemeldet, weil er sich als Proband zur Verfügung gestellt habe. Kiendl sagt, er habe Verständnis für die, die argumentieren, dass sie dem Impfstoff gegenüber skeptisch sind. „Das ist immer eine Abwägung von Chancen und Risiken. Für mich überwiegen die Chancen. Wenn wir unser Leben zurückhaben wollen, dann führt kein Weg an der Impfung vorbei“, sagt Christoph Kiendl und stellt eine Frage, die wie eine Drohung klingt: „Oder wollen wir ewig so weiterleben?“

<<< HINTERGRUND >>>

  • Müdigkeit, Kopfweh, Schmerzen an der Einstichstelle gehören zu den häufigsten Nebenwirkungen der Impfung. Andere Probanden der ersten Studien klagten über Fieber, Schüttelfrost, Durchfall oder Muskel- und Gliederschmerzen. Im Allgemeinen waren die Nebenwirkungen schwach bis mäßig und klangen nach kurzer Zeit ab.
  • Im Vergleich zu vielen etablierten Impfstoffen wie etwa dem gegen Grippe traten die Nebenwirkungen vergleichsweise häufiger auf. Mögliche selten auftretende Nebenwirkungen konnten aufgrund der kurzen Beobachtungszeit noch nicht erfasst werden. Deshalb wird die Verträglichkeit des Impfstoffes auch nach Zulassung weiter geprüft.
  • Die Biontech-Impfung weist eine Wirksamkeit von 95 Prozent auf. Ob diese Wirksamkeit auch bei einem massenhaften Einsatz erreicht wird, wird sich erst in einigen Monaten zeigen, weil die durchgeführten Studien unter idealisierten Bedingungen mit vor allem gesunden Menschen durchgeführt würden.