Hagen. Die Sorge vor einem baldigen strengen Lockdown mit Geschäftsschließungen hat am 3. Adventswochenende zu einem Kundenansturm im Handel geführt.
Die Corona-Pandemie zwingt offenbar nicht alle Menschen dazu, mit liebgewonnenen Traditionen zu brechen. Trotz eindringlicher Warnungen vor Menschenaufläufen auf engem Raum gehörte der Geschenke-Kauf auch an diesem Adventswochenende zum vorweihnachtlichen Muss-Programm. Die Diskussionen um einen baldigen harten Lockdown mit Geschäftsschließungen führte zusätzlich und insbesondere in größeren Städten zu einem Tag der vollen Einkaufsstraßen und Fußgängerzonen.
Wie von der NRW-Landesregierung angekündigt, gab es am dritten Adventswochenende – traditionell das umsatzstärkste im Weihnachtsgeschäft – verstärkte Corona-Kontrollen. Beobachtungen und Eindrücke aus Südwestfalen zwölf Tage vor Heiligabend:
Es ist 12.37 Uhr, die Hagener Innenstadt füllt sich stetig mit mehr Besuchern. Es herrscht optimales Einkaufswetter im Dezember: trocken und um die 7 Grad.
Torschlusspanik auch bei notorischen Last-Minute-Käufern
Die von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Freitag geäußerte Forderung, dass alle Geschäfte „schnellstmöglich“ geschlossen werden müssten, scheint auch notorische Last-Minute-Geschenke-Käufer in Torschlusspanik gebracht zu haben.
Tüten über Tüten, gestresste Gesichter, ab und an sieht man gebrannte Mandeln oder einen Kaffeebecher in den Händen der Leute. Mit weihnachtlich-besinnlicher Stimmung hat das wenig zu tun.
Schlangen vor Buchhandlungen, Parfümerien und Elektronikfachgeschäften
Die Hagener ergreifen die Gelegenheit, letzte Weihnachtsbesorgungen zu machen. Vor Buchhandlungen, Parfümerien und Elektronikfachgeschäften stehen mehr als 20 Menschen in einer Schlange, um Geschenke für ihre Liebsten zu ergattern.
Wenig gestresst zeigt sich das Mutter-Tochter-Gespann Gabi und Lena Leber. „Wir haben noch schnell das letzte Weihnachtsgeschenk besorgt und fahren gleich auch wieder.“ Es sei nicht so voll wie erwartet, sagt Gabi Leber, „das kommt aber bestimmt noch.“
Den Einzelhandel vor Ort stärken
Betty Siomos (26) setzt die Situation dagegen unter Druck. „Da es zu einem Lockdown kommen wird, bin ich extra heute in die Stadt gefahren, um noch fehlende Geschenke zu besorgen.“ Natürlich könnte man alles bei Amazon bestellen, erzählt sie weiter, „aber ich finde es wichtig, den Einzelhandel vor Ort und auch die kleineren Geschäfte zu unterstützen.“
Bis gerade habe sich das Gedränge noch in Grenzen gehalten, sagt sie, aber der große Ansturm scheine jetzt zu kommen. „Ich bin froh, dass ich bereits heute Vormittag in die Stadt gefahren bin.“
Ohne weihnachtliche Hintergedanken
Sandra Rogowicz bummelt ohne weihnachtlichen Hintergedanken mit ihrer Schwester durch die überfüllte Elberfelder Straße. „Wir fangen grundsätzlich immer sehr früh an, Weihnachtsgeschenke zu besorgen, meist schon im Herbst.“ Das sei viel entspannter: „Wenn ich mir die Situation hier anschaue, bin ich auch sehr froh darum.“
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Als Besitzerin eines Schmuckgeschäftes hat Rosa Florio gerade in der Weihnachtszeit alle Hände voll zu tun. Bei einem erneuten Lockdown muss sie ihr Geschäft voraussichtlich wieder schließen. „Wir versuchen heute das Beste daraus zu machen“, sagt sie, „sind natürlich traurig, dass wir eventuell eine Zeit lang nicht öffnen dürfen.“
Menschen halten in Neheim die Hygieneregeln ein
Auf den Neheimer Einkaufsstraßen geht es am Samstag nach Aussage von Konrad Buchheister von „Aktives Neheim“ sehr ruhig zu. „Es gibt keine Panik“, sagt er, „die Leute sind vernünftig und halten sich an die Hygieneregeln.“
Das unterstreicht die Aussage von Sigrid Cers (66), die in diesem Jahr nichts von einem Geschenke-Marathon hält: „Wir sind alle erwachsen, dann gibt es eben nur Kleinigkeiten zu Weihnachten.“
Viele treue Stammkunden
Die Werlerin denkt an die Einzelhändler, denen das lukrative Weihnachtsgeschäft womöglich kurz vor Heiligabend wegbricht. Konrad Buchheister hofft da auf nachhaltige Unterstützung seitens der Kunden: „Wir haben in letzter Zeit gesehen, dass insbesondere die kleinen Geschäfte viele treue Stammkunden haben. Das hilft den Einzelhändlern sehr.“
Weihnachtseinkäufe frühzeitig getätigt
Auch Marion Lübke findet sich am Samstag in der Neheimer City ein, auch wenn sie ihre Weihnachtseinkäufe „zum Glück“ schon hinter sich hat. „Ich bin gut vorbereitet“, sagt sie. Nach Meinung der 48-Jährigen aus Hachen hätte der Lockdown „wahrscheinlich“ schon früher kommen müssen. „So kann es ja nicht weitergehen.“
Viele Kommunen in Südwestfalen haben am 3. Adventssamstag personell aufgerüstet und lassen Ordnungsamtsmitarbeiter mit Unterstützung der örtlichen Polizeiwachen Kontrollgänge erledigen. Sie überprüfen, ob Masken getragen werden oder den richtigen Sitz einnehmen, ob Abstände und die in der Coronaschutzverordnung festgeschriebene begrenzte Kundenzahl in Geschäften eingehalten werden.
Gutscheine zu Weihnachten
Auch Dirk Kleinehr (50) aus Niedereimer denkt beim Einkauf in Neheim an den baldigen Lockdown: „Es hätte besser im November schon so sein sollen – und nicht immer nur stückchenweise.“
Er kauft an diesem Samstag nur noch ein paar Kleinigkeiten. „Ansonsten gibt’s halt Gutscheine zu Weihnachten.“
Lieber Kauf vor Ort als online
Derweil gesteht Enrico Vogel (46) aus Sundern, dass die drohenden Geschäftsschließungen Wirkung gezeigt haben: „Normalerweise wären wir heute nicht in der Stadt gewesen.“
Man wolle jetzt noch ein paar letzte Weihnachtseinkäufe tätigen, ergänzt Tochter Emily (16): „Ich möchte nicht so viele Geschenke online bestellen.“
Lange Schlangen vor der City-Galerie in Siegen
Schauplatzwechsel: Am Samstagmittag ist der Bahnhofsvorplatz in Siegen eher leer, ein einsamer Straßenmusiker ist mit seinen Weihnachtsklängen so ziemlich der einzige, der daran erinnert, dass die Feiertage bald anstehen.
Apropos anstehen: Vor der City-Galerie zieht sich vom Nebeneingang Richtung Gerichtsgebäude bis zum Hauptportal eine lange Schlange von Menschen, die in das Einkaufszentrum möchten. Aber aktuell nicht dürfen. „Wenn die App 1400 zeigt, dürfen wir niemanden mehr hineinlassen“, erklärt ein Sicherheitsmann.
Auch Parkhausnutzer müssen warten
Seit Tagen gehe das schon so mit dem Andrang, sagt der junge Mann, der zu diesem Zeitpunkt ausschließlich Mitarbeiter mit Ausweis ins Haus lässt. Selbst jene, die nur zu ihrem Auto im Parkhaus möchten, müssen warten.
Direkt hinter ihm steht Danina Sujak mit ein paar Freunden. Sie spricht ruhig, die Augen über der blauen Maske schleudern allerdings den einen oder anderen Zornesblitz in eine unbestimmte Richtung. „Ich muss ein paar Dinge besorgen“, nennt sie den Grund, warum sie inzwischen schon „eine ganze Stunde“ in der wachsenden Schlange steht.
„Corona interessiert mich eigentlich nicht“
Über einen möglichen Lockdown hat sich die Siegerländerin wenig Gedanken gemacht. „Ach, Corona interessiert mich eigentlich nicht“, schüttelt sie den Kopf, „das geht doch immer hin und her.“ Sichtlich ärgerlicher findet sie, „dass wir hier stehen und ständig jemand an uns vorbeikommt“.
Ein paar Meter weiter stützt sich Roswitha Hoffmann ebenfalls schon eine ganze Stunde in der langen Reihe auf ihren Rollator. „Ich muss einkaufen“, begründet sie, warum sie den Stress am dritten Adventssamstag auf sich nimmt.
Die neuesten Entwicklungen sind noch nicht bekannt
Nicht wegen des immer wahrscheinlicher werdenden „harten Lockdowns“? „Ist ab Montag alles zu?“, entgegnet die Seniorin mit fragendem Blick zu ihrem Begleiter. Dann schüttelt sie den Kopf. Offenbar haben beide die neuesten Entwicklungen noch nicht registriert.
Weihnachtsstadt statt Weihnachtsmarkt
Die Corona-Pandemie hat auch in Attendorn zur Absage des Weihnachtsmarktes geführt. Aber so ganz wollten Stadtmarketing und Werbegemeinschaft nicht auf vorweihnachtliches Flair verzichten und haben ein Alternativ-Konzept entwickelt.
Aus dem Weihnachtsmarkt ist die Weihnachtsstadt geworden. Nur stehen die geschmückten Holzhütten nicht mehr zentral und eng nebeneinander auf dem Alten Markt, sondern über die gesamte Innenstadt verstreut.
Kaum vorstellbar, dass die Weihnachtsstadt auch am kommenden Wochenende öffnet
Eigentlich soll die „Weihnachtsstadt“ an den vier Samstagen im Advent geöffnet sein. Doch kaum einer glaubt daran, dass die Hütten und die meisten Geschäfte in einer Woche noch geöffnet sind. „Die Zahlen sind so hoch. Das ist für mich nicht vorstellbar“, sagt Stephanie Klein, die in der Kölner Straße Weihnachtsdeko anbietet.
Frühzeitig wieder nach Hause
Andreas und Anne Erwes aus Finnentrop-Schönholthausen verkaufen auf dem Wochenmarkt Massivholz-Deko. Dass sie dort in einer Woche noch einmal stehen, glauben sie nicht: „Alles andere würde ich angesichts der Corona-Entwicklung nicht verstehen.“
Als die Fußgängerzone so langsam lebhaft wird, machen sich Andreas und Teresa Koromilas aus Finnentrop-Fretter bereits wieder auf den Weg nach Hause. Das Ehepaar versucht so gut es geht, Kontakte zu vermeiden. „Wir feiern Weihnachten alleine“, steht für sie fest.
NRW-Gesundheitsminister Laumann hatte öffentlich vor vollen Innenstadt gewarnt
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hatte am Freitag angesichts eines befürchteten „erheblichen Kundendrucks“ eindringlich davor gewarnt, den Einzelhandel zu einem „zusätzlichen Infektionsbeschleuniger“ werden zu lassen.
Die Hoffnungen auf eine verschlankte Einkaufstour erfüllen sich nicht überall. Für die leidgeprüften Einzelhändler ist der 12. Dezember womöglich der vorerst letzte Zahltag.