Meschede/Hagen. Kirsten Hardekopf begleitet Menschen auf ihrem letzten Weg. Warum sie ihre Arbeit liebt und wie wichtig Ehrlichkeit, Waffeln und Sekt sein können.
Im Angesicht des Todes darf es auch mal ein Sektchen sein. Kirsten Hardekopf erinnert sich genau an die alte Dame, die sie damals betreute, die kaum noch jemanden um sich herum wahrnahm, die in ihrem Bett lag und nicht viel mehr tat als auf das Ende ihres Weges zu warten. Die
Palliativ-Fachkraft
erkundigte sich, was die Dame gern mochte – und wurde im Kühlschrank fündig: Prosecco.
Den Mund der
Patientin
befeuchtete sie ganz leicht damit und nicht wie sonst mit Wasser. Eine Maßnahme, die die alte Dame offenbar zu schätzen wusste. „Sie hat dagelegen und mit geschlossenen Augen gesagt: Hach, was geht’s uns heute wieder gut“, erzählt Hardekopf. Pause. „Da können einem die Tränen kommen.“
Tränen des Glücks in den schwersten Momenten
Tränen des Glücks, Spuren des Glücks in den schwersten Momenten, die das Leben zu bieten hat: Dann nämlich, wenn es endet, wenn Gewissheit wird, dass Therapien nichts mehr ausrichten können. Diese Menschen und ihre Angehörigen betreut Kirsten Hardekopf als Koordinatorin des
Palliativnetzes
, das in den
Kreisen Soest und Hochsauerland
Menschen auffängt, die Unterstützung suchen, wenn Diagnosen sie straucheln oder gar stürzen lassen.
Ihr Job ist, Abschiede für alle so schön wie möglich zu machen und belastende
Symptome wie Schmerzen, Angst und Unruhe
zu lindern. Manchmal darf es dann eben auch Sekt sein. Warten auf den Tod? Nein, so versteht sie ihre Arbeit ganz und gar nicht.
Die Zeit verschönern, die noch bleibt
„Es geht darum, die Qualität der Zeit, die bleibt, zu verbessern und einen friedlicheren, schöneren Abschied möglich zu machen“, sagt die 54-Jährige, die fast drei Jahrzehnte als
Krankenschwester
auf einer Intensivstation gearbeitet hat. Doch je länger sie das tat, desto mehr Zweifel kamen ihr an dem, was sie
Maximaltherapie
nennt:
Lebenserhaltung
um jeden Preis, selbst in den ausweglosesten Fällen. „Warum darf jemand nicht sterben, der sich vielleicht selber dafür entscheiden würde? Wo ist die Selbstbestimmung?“
Pallium ist lateinisch, sagt sie, und bedeute Mantel. Das ist die Devise: Den Patienten einen wärmenden Mantel aus Fürsorge zu bieten, den Angehörigen die Ängste zu nehmen. „In unserer Gesellschaft ist der
Tod
eine Art
Tabuthema
geworden. Aber der Tod gehört zum Leben unweigerlich dazu. Wenn jemand so schwer krank ist und seinem Lebensende näher kommt, dann ist er dankbar, wenn er gut und friedvoll sterben kann.“
Frisch gebackene Waffeln, das Lieblingseis – oder eben Sekt
Ziel sei, diese Zeit zu füllen mit
positiven Gefühlen
. Das kann der Geruch von frisch gebackenen Waffeln sein, der Geschmack des Lieblingseis’, oder eben mal ein Sekt oder ein kühles Bier. Und wenn auch nur als Mundbefeuchtung. „Jeder Mensch hat diese Assoziationen, die sich wecken lassen mit diesen Sinneseindrücken“, sagt die 54-Jährige.
Kirsten Hardekopf kommt zu den Menschen nach Hause. Sie unterstützt je nach gewünschtem Hilfegrad. Nach Hause – dorthin wollen jene, für die es keine Hoffnung mehr gibt, am liebsten, gerade jetzt vor Weihnachten. „Das ist hoch emotional, wenn die Patienten wissen, dass es ihr letztes Fest ist vielleicht“, sagt sie. Manche Menschen begleitet sie nur für ein paar Stunden oder Tage, andere schon über Jahre. Wann das Leben zu Ende gehe, wisse schließlich niemand.
„Sicher gibt es viele
traurige Momente
in meiner Arbeit“, sagt sie: „Wenn man sieht, dass jemandem nicht mehr geholfen werden kann, ist das immer schlimm, vor allem, wenn man denjenigen persönlich kennt. Oder wenn junge Menschen betroffen sind, die vielleicht auch noch Kinder haben.“ Dieses Jahr musste sie drei Frauen begleiten, die unter 40 Jahre alt waren.
Ein Stück Trauerarbeit
Sie redet offen mit allen: Mit dem Patienten, mit den Angehörigen, sie beschönigt nicht, sie sucht keine Ausflüchte, sie sucht das
Tröstliche im Tod
. Sie rät, auch Kindern die Wahrheit zu berichten, denn sie spürten ohnehin, dass etwas nicht stimme. „Die Begleitung eines Schwerkranken ist ein Stück
Trauerarbeit noch zu Lebzeiten
für die Angehörigen.“ In der Kollegenschaft redeten sie viel miteinander, sagt sie. Das helfe auch. Zudem gibt es Supervisionen.
„Ich habe den Wechsel in die
Palliativmedizin
noch keine Sekunde bereut“, sagt Kirsten Hardekopf: „ich bekomme durch Gesten, Blicke und Worte so viel Dank zu spüren, dass ich das als unendlich wertvoll empfinde.“ Sie lebt bewusster, seit sie den neuen Job hat, weil er ihr stets vor Augen führt, wie schnell sich alles ändern kann. „Das Leben“, sagt sie, „ist zu kurz für Sätze, die mit ,Irgendwann’ beginnen.“
<<< VOM WARTEN: GESCHICHTEN IM ADVENT >>>
Das Wort Advent hat seinen Ursprung im Lateinischen. Es bedeutet: Ankunft . Mit einer Ankunft verbunden ist: das Warten, auch das Erwarten.
Worte, die im Zentrum dieser Adventsserie stehen. Jeden Tag erzählt uns ein Mensch, der wartet, seine Geschichte. Immer andere Menschen, immer ein anderes Warten: vorfreudig, ängstlich, traurig, lustig, tragisch oder banal.
In der Regel sind es kurze Geschichten, seltener längere. So warten wir gemeinsam mit Ihnen, lieber Leserinnen und Leser, auf den Heiligen Abend und die Ankunft von Weihnachten .