Sundern/Schmallenberg. Ökologische Weidetierhaltung rechnet sich nicht. Bund und Land NRW lehnen direkte Förderung ab. Mit Idylle im Sauerland könnte es bald vorbei sein.
Eigentlich sind sie die stillen Botschafter des Sauerlandes. Wie sie da so gemütlich auf den Wiesen stehen und stundenlang Gras wiederkäuen: Strahlen sie nicht eine wunderbare Ruhe und Gelassenheit aus? Weidekühe prägen in vielen Teilen Südwestfalens das Landschaftsbild. Wie gemacht für Postkarten. Doch ihren Haltern geht es wirtschaftlich schlecht. Sie fordern Unterstützung vom Staat. Sonst sind die Kühe und ihre Kälber bald weg, warnen sie.
Thomas Wiese versteht die Welt nicht mehr. „Wir erfüllen genau das, was Politik und Gesellschaft von der Tierhaltung fordern“, sagt der 51-jährige Schmallenberger und lieferte ziemlich viele Argumente: Die Kühe verbringen die meiste Zeit des Jahres auf der Wiese, leben also nicht wie Massenwaren eingepfercht in Ställen. Vielleicht sind sie sogar glücklich. Ihre Kuhfladen liefern den Insekten Nahrung und Lebensräume, die Weiden brauchen keine Chemie, keinen Pflanzenschutz. Im Gegenteil: Sie sind arten- und blütenreich, bieten Tieren Rückzugsräume – und binden deutlich mehr Kohlendioxid als Ackerfläche.
Markterlöse decken die Kosten nicht mehr
Allerdings lohnt sich die Haltung von Mutterkühen kaum noch. „Die Markterlöse decken die ständig steigenden Kosten nicht mehr“, sagt Wiese, der sich im Mutterkuh-Arbeitskreis im Hochsauerland engagiert. Der Klimawandel wirkt. Das Futter kostet immer mehr, Wiesen trocknen im Sommer aus, Weidezäune werden teurer, die Pacht für die Flächen auch. Der tiermedizinische Aufwand ist größer als bei der Massenhaltung. Gleichzeitig wird für die Kälber weniger gezahlt.
In ganz Nordrhein-Westfalen gibt es rund 65.000 Mutterkühe in 6000 Betrieben. Allein im Hochsauerlandkreis leben 13.140 Tiere in 516 Betrieben, die dieses Geschäft fast ausschließlich im Nebenerwerb betreiben. So wie Thomas Wiese. „Wir praktizieren das, was von der Allgemeinheit gewünscht wird“, sagt er. Dafür brauchen wir Unterstützung. Dass große Milchviehbetriebe 55 Euro pro Kuh pro Jahr bekommen, wenn sie die Tiere ein, zwei Stunden am Tag vor den Stall lassen, Weidetierhalter aber keinen Cent sehen, kann er nicht verstehen. „Der Bau von Großställen wird gefördert, wir werden es nicht. Verstehen Sie das“, fragt er rhetorisch.
Bundesministerin Klöckner lehnt Prämie ab
Auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) findet Weidetiere im Prinzip toll, eine Prämie lehnt sie trotzdem ab. „Zweifellos leisten die Mutterkuhhalter insbesondere in Mittelgebirgslagen durch die Bewirtschaftung von Dauergründlandflächen einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung einer flächendeckenden Landwirtschaft, zur Offenhaltung der Landschaft und zum Artenschutz sowie zur Biodiversität. Dabei entspricht die Mutterkuhhaltung den Wünschen der Verbraucher für eine naturnahe Nutztierhaltung mit hohem Tierwohl“, schrieb sie in einem Brief an den Briloner SPD-Bundestagsabgeordneten Dirk Wiese. Direktzahlungen lehne die Bundesregierung aber ab, weil sie zu „Fehlanreizen sowie Markt- und Wettbewerbsverzerrungen“ führen. Deutschland setze vielmehr auf einheitliche Flächenzahlungen.
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Dirk Wiese kann das nicht nachvollziehen. „Es spricht vieles dafür, diese Art der Landwirtschaft mit ihren vielfältigen positiven Folgen für die Gesellschaft gesondert zu unterstützen. Sie rechnet sich sonst nicht“, sagt er. In Hessen soll die Prämie eingeführt werden, Bayern hat sie schon. Sogar der Bundesrat hat die Bundesregierung im Sommer 2019 aufgefordert, die Weidetierhalter zu unterstützen. Auch Hubertus Beringmeier, Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes, befürwortet eine Förderung.
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Heinrich Bottermann, Staatssekretär im NRW-Umweltministerium, habe den Mutterkuhhaltern vor einem Jahr bei einem Besuch im Sauerland Unterstützung versprochen, passiert sei bisher jedoch nichts, kritisieren beide Wieses (die aber nicht verwandt sind).
In der Tat: Das Ministerium lehnt eine Prämie ab, wie es auf Anfrage dieser Zeitung mitteilt. Sie wäre mit „einem sehr hohen Verwaltungs- und Kontrollaufwand verbunden“, heißt es zur Begründung. Trotzdem würden die „Kostenstrukturen der extensiven Weidetierhaltung als Beitrag für mehr Biodiversität adäquat Berücksichtigung finden“.
Statt schöner Worte hätte Thomas Wiese lieber konkrete Taten. „Die Gesellschaft schätzt diese Haltungsform“, sagt er. „Sie muss sie auch unterstützen.“