Hagen. Im Kampf gegen Corona wird jetzt das Lüften als wichtiges Mittel beworben. Aber wie geht das richtig? Und was empfiehlt der Arzt?

Wolldecken und Thermoskannen – das dürfen die Schüler des Theodor-Heuss-Gymnasiums in Hagen jetzt in die Schule mitbringen. „Wir empfehlen ihnen auch, sich warm anzuziehen“, sagt der kommissarische Schulleiter Dr. Hermann Kruse. So sind sie für den Unterricht gut gewappnet, denn es muss regelmäßig gelüftet werden. Das Ziel: Der Luftaustausch soll eine mögliche Viruslast senken und so vor einer möglichen Ansteckung mit Corona schützen. Doch wie funktioniert das in der Praxis? Wie lüftet man richtig? Und welcher Rhythmus ist der Beste?

Der Arzt

„Ich empfehle, ständig zu lüften“, sagt Igor Wisniewski, Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde im Medizinischen Versorgungszentrum in Bad Berleburg. Sei es durch ein gekipptes Fenster oder die komplette Fensteröffnung. „Das regelmäßige Lüften sorgt für eine geringere Viruslast in der Luft,“ betont auch der HNO-Arzt. Virenbelastete Tröpfchen und feinste luftgetragene Flüssigkeitspartikel, so genannte Aerosole, können sich in der Luft ansammeln und im ganzen Zimmer verteilen. „Durch das Lüften werden nicht alle Viren entfernt, aber das Risiko, sich mit Corona anzustecken, sinkt“, betont Wisniewski.

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Bei herbstlichen Temperaturen kann das Dauerlüften allerdings schon einmal ungemütlich werden. Inwieweit man sich dadurch in Corona-Zeiten schneller erkältet, sei aber „schwer zu sagen“, so der Mediziner. Generell gelte: Je weniger man lüfte, desto höher sei die Virenbelastung und damit umso höher die Gefahr, sich mit Covid-19 anzustecken. Daher sei der Luftaustausch eine „Sache der Vernunft“, sagt Wisniewski. Er rät, auch den Filter von Lüftungsanlagen regelmäßig zu wechseln.

Die Behörde

Die Bezirksregierung Arnsberg ist für den Arbeitsschutz zuständig und sollte somit eigentlich wissen, wie man denn „richtig“ lüftet. „Spezielle Handreichungen für Firmen zum Lüften haben wir nicht“, sagt Pressesprecher Christoph Söbbeler. Die Behörde orientiert sich an der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel der Bundesregierung. „Das ist unsere grundsätzliche Orientierungshilfe“, erklärt der Sprecher.

Dort wird unter anderem das Lüften von Büroräumen nach 60 Minuten und von Besprechungsräumen nach 20 Minuten empfohlen. In dem Papier heißt es im feinsten Bürokratendeutsch: „Diese Frequenz ist in der Zeit der Epidemie möglichst zu erhöhen. Eine sogenannte Stoßlüftung über die gesamte Öffnungsfläche der Fenster ist anzuwenden. Es wird eine Lüftungsdauer von drei bis zehn Minuten empfohlen.“

Die Mitarbeiter in der Abteilung Arbeitsschutz der Bezirksregierung geben Firmen anhand dieser Richtlinie Tipps und Hinweise für das richtige Lüften. „Wenn meine Kollegen die Corona-Hygienestandards in den Firmen kontrollieren, achten sie auch auf die Lüftungsmaßnahmen“, betont Christoph Söbbeler. Inwieweit und wann gelüftet würde, müsse aber lokal im einzelnen Unternehmen organisiert werden.

Die Bank

Im Alltag läuft das Lüften in den Unternehmen unterschiedlich ab: „Wir lüften so viel wie möglich und nehmen das auch sehr ernst“, sagt etwa Stefanie Schierling von der Sparkasse Siegen. In den größeren Filialen wurden die Belüftungsanlagen auf einen Frischluftaustausch umgestellt – „wenn das nicht schon vorher der Fall war“, betont die Pressesprecherin. In den kleineren Filialen, in denen es häufig keine Lüftungsanlage gibt, werden die Fenster regelmäßig geöffnet. Die Sparkasse Siegen hat Lüftungszeiten als festen Bestandteil in ihre Corona-Regeln aufgenommen: Alle 20 Minuten soll Frischluft in die Räume dringen. „Auch vor, nach und in Besprechungen wird gelüftet“, so Stefanie Schierling.

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Zu Streit hat diese neue Corona-Sitte nicht geführt. Natürlich sei das Thema Raumklima immer mal wieder ein „Diskussionspunkt“. „Aber aktuell sagt niemand etwas gegen das Lüften. Die Kollegen achten sehr aufeinander und mit den Corona-Regeln wird verantwortungsvoll umgegangen.“ Die Pressesprecherin betont, dass auch Neuerungen bei den Corona-Schutzmaßnahmen laufend an die Filialen im Sparkassenbezirk Siegen herausgegeben würden.

Die Schule

Die Schüler des Theodor-Heuss-Gymnasiums kommen nun dick angezogen und mit heißen Getränken im Rucksack in die Klassenräume. „Die Notwendigkeit zu lüften, ist allen klar. Die Entscheidung wird von Lehrern, Eltern und Schülern mitgetragen“, sagt Dr. Hermann Kruse. An seiner Schule hat das Dauerlüften im 15-Minuten-Takt noch für keine Beschwerden gesorgt. Denn auch in der kalten Jahreszeit sei das eine unabdingbare Voraussetzung für den Präsenzunterricht, so der kommissarische Schulleiter.

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Er setzt an seiner Schule ganz auf das Stoßlüften: „Wir haben das Glück, die Fenster unserer Schule weit öffnen zu können. Sie nur zu kippen, finde ich unsinnig.“ Das regelmäßige Lüften ist aber nur ein Teil des allgemeinen Hygienekonzepts am Theodor-Heuss-Gymnasium. Wie überall in Deutschland gilt sonst die AHA-Formel: Abstand, Hygiene, Alltagsmasken.

Der Fachmann

AHA + L (für Lüften) heißt somit die aktuelle Corona-Formel. Wer genug vom manuellen L hat, könnte mitunter technische Unterstützung suchen. Doch ein Boom im Lüftungsanlagen-Geschäft bleibt aus. Markus Graf von „Graf Luft- und Klimatechnik“ in Hagen sagt: „In unserem Handwerk hat sich seit Corona nicht viel geändert.“

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Allerdings sei das Interesse für Luftreiniger seit dem Tönnies-Skandal leicht gestiegen. Darunter fallen auch raumlufttechnische Anlagen, die sogenannten RLT-Anlagen. Für die gibt die Bundesregierung – wieder im besten Bürokratendeutsch – soweit grünes Licht: „Das Übertragungsrisiko von SARS-CoV-2 über raumlufttechnische Anlagen (RLT-Anlagen) ist insgesamt als gering einzustufen, wenn sie über geeignete Filter verfügen oder einen hohen Außenluftanteil zuführen.“

Info: CO2-Konzentration per App berechnen

>> Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) empfiehlt, die CO2-Konzentration in Innenräumen zu messen, um die Luftqualität festzustellen.

>> Eine Möglichkeit, um die CO2-Konzentration überschlägig zu berechnen, bieten CO2-Apps, die auf dem Smartphone installiert werden können.

>> Die DGUV bietet die App „CO2-Timer“ an. Sie errechnet für Unterrichts- und Büroräume die erforderlichen Lüftungsintervalle. Die errechnete Zeit kann dann als Timer gesetzt werden. Die App erinnert anschließend mittels eines akustischen Signals ans Lüften.