Hagen/Sauerland. Überlastung der Krankenhäuser war die größte Sorge zu Beginn der Corona-Pandemie. Ein Blick auf die Zahlen zeigt die aktuelle Lage in der Region.
- Die Zahl der Corona-Neuinfektionen in der Region steigt.
- Aktuelle Zahlen belegen aber: Das Krankenhaus-System ist nicht überlastet.
- Trotzdem mahnt Virologe Prof. Dr. Ulf Dittmer zur Vorsicht.
Jetzt also Hagen: Den neuen Corona-Warn-Wert von 35 übersteigt die 190.000-Einwohnerstadt am Dienstag mit 35,5 (Stand 0 Uhr, Quelle Robert-Koch-Institut). Das heißt, es hat mehr als 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen in der Stadt gegeben. Und das heißt nach dem neuen Regelwerk: Neue Einschränkungen des öffentlichen Lebens müssen geprüft werden, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.
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Und auch in anderen Landkreisen der Region steigt diese so genannte Sieben-Tages-Inzidenz, die die Dynamik des Coronavirus bundesweit vergleichbar macht: Selbst der Kreis Soest, lange Zeit mit einem Dauer-Niedrigwert von unter zehn, liegt jetzt bei 14,6, der Märkische Kreis bei 20,4, der Ennepe-Ruhr-Kreis bei 22,8 und der Kreis Unna bei 25,1 – also auch schon in Sichtweite der Grenzwerte.
Doch mag die Lage bei den Neuinfektionen angespannt sein. Eine andere Kennzahl ist weit weniger dramatisch: Denn in den Kreisen Siegen-Wittgenstein, Olpe, Soest, Unna, dem Märkischen Kreis, dem Ennepe-Ruhr-Kreis, dem Hochsauerlandkreis sowie in den Großstädten Hagen und Dortmund – eine Region mit insgesamt etwa 2,9 Millionen Einwohnern – werden insgesamt nur 33 mit dem Coronavirus infizierte Patienten stationär in den Krankenhäusern behandelt. Zehn davon liegen auf der Intensivstation, davon müssen wiederum nur vier beatmet werden.
Die Sorge, die zu Beginn der Pandemie angesichts der schrecklichen Bilder in Italien herrschte, ist also derzeit unbegründet: Das Krankenhaus-System ist nicht überlastet. Aktuell, das zeigt das DIVI-Intensivregister, gibt es in allen Landkreise und Großstädten der Region ausreichend freie Intensivbetten und Beatmungsmöglichkeiten.
- Siegen-Wittgenstein: 41 freie Intensivbetten, 99 belegt, 5 Corona-Patienten im Krankenhaus insgesamt, davon 1 auf Intensivstation, der auch beatmet wird.
- Kreis Olpe: 23 freie Intensivbetten, 14 belegt, 2 Corona-Patienten im Krankenhaus insgesamt, davon keiner auf Intensivstation, es wird auch keiner beatmet.
- Hochsauerlandkreis: 35 freie Intensivbetten, 82 belegt, 2 Corona-Patienten im Krankenhaus, davon keiner auf Intensivstation, es wird auch keiner beatmet.
- Kreis Soest: 33 freie Intensivbetten, 62 belegt, kein Corona-Patient im Krankenhaus.
- Kreis Unna: 32 freie Intensivbetten, 89 belegt, 5 Corona-Patienten im Krankenhaus insgesamt, davon 2 auf Intensivstation, 2 werden auch beatmet.
- Märkischer Kreis: 52 freie Intensivbetten, 71 belegt, 2 Corona-Patienten im Krankenhaus insgesamt, davon 2 auf Intensivstation, keiner wird beatmet.
- Stadt Hagen: 32 freie Intensivbetten, 53 belegt, 2 Corona-Patienten im Krankenhaus insgesamt, davon 2 auf Intensivstation, 1 davon wird beatmet.
- Ennepe-Ruhr-Kreis: 34 freie Intensivbetten, 100 belegt, 3 Corona-Patienten im Krankenhaus insgesamt, davon 3 auf Intensivstation, 1 davon wird auch beatmet.
- Stadt Dortmund: 61 freie Intensivbetten, 249 belegt, 12 Corona-Patienten im Krankenhaus insgesamt, davon keiner auf Intensivstation, es wird auch keine beatmet.
Deshalb plädiert Professor Dr. Ulf Dittmer, Chef der Virologie am Uniklinikum Essen, auch für einen differenzierten Blick auf die Zahlen. Nicht allein auf die Neu-Infektionen solle mit der Sieben-Tages-Inzidenz geschaut werden, sondern auch auf die Zahl der krankenhauspflichtigen Patienten und der Todesfälle. „Weil das ist natürlich das, was am Ende wichtig ist.“ Ziel sei es zu erreichen, dass wenig Menschen im Krankenhaus behandelt werden müssten oder gar an der Covid-19-Infektion sterben, sagt der bekannte Virologe im aktuellen Video-Podcast der Funke-Mediengruppe, zu der auch diese Zeitung gehört.
Todeszahlen seit Mai kaum gestiegen
Nun sind neben den eher wenigen Kranhauspatienten zuletzt auch tatsächlich die Todeszahlen im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion nicht mehr stark gestiegen. Das zeigt auch der Blick auf die Region, wenn man die Zahlen von Mitte Mai mit denen von Anfang Oktober vergleicht. In Siegen-Wittgenstein ist die Zahl der Verstorbenen mit acht zum Beispiel gleich geblieben. In Olpe, wo es von März bis Mai 52 Todesfälle gab, sind seitdem nur fünf hinzu gekommen, im Hochsauerlandkreis nur zwei (auf 19), im Kreis Unna sieben (auf 42), im Märkischen Kreis fünf (auf 32), in Hagen drei (auf 14) und im Ennepe-Ruhr-Kreis einer (auf 15). Lediglich Dortmund hat seit Mai einen massiven Anstieg an Corona-Todesfällen erlebt: von 6 auf 21 Fälle.
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Professor Ulf Dittmer gibt damit aber keinesfalls Entwarnung: Die Entwicklung aus anderen europäischen Ländern zeige, dass mit stark steigenden Infektionszahlen auch wieder mehr krankenhauspflichtige Corona-Patienten und auch Todesfälle kämen. Er hält daher die Grenzwerte der Sieben-Tages-Inzidenz für richtig und angemessen: „Die Erfahrung hat gezeigt, dass es bei einem Wert von mehr als 50 den Gesundheitsämtern schwer fällt, die Infektionsketten nachzuverfolgen und einzudämmen. Insofern ist die Zahl eine Zäsur.“
Dass neue Einschränkungen des öffentlichen Lebens nicht flächendeckend erfolgen, sondern dort, wo die Infektionszahlen tatsächlich hoch sind, hält der Virologe ebenfalls für angemessen. Von den einschränkenden Maßnahmen in Hagen nach Überschreiten des ersten Corona-Warn-Werts 35 werden viele Bürger aber zunächst gar nichts merken: Denn derzeit ist die Infektionsdynamik besonders in Schulen und Kindergärten groß. Darauf konzentrieren sich auch die Maßnahmen. Einige sind bis zu den Herbstferien ganz geschlossen, für die anderen gilt ab Klasse 5 wieder die Maskenpflicht im Unterricht.
>> INFO: Quarantäne
- Mag die Zahl der Patienten in Krankenhäusern auch klein sein: viele Menschen sind aber als Infizierte oder Kontaktpersonen in Quarantäne.
- Allein im Ennepe-Ruhr-Kreis, im Märkischen Kreis, im Kreis Olpe und in der kreisfreien Stadt Hagen betrifft dies zusammen rund 2500 Menschen.