Marsberg. Eigener Laden, der deutsche Pass winkt. Der syrische Flüchtling Nezar Alawad hat schon viel geschafft. Hätte das in der Großstadt auch geklappt?
Es gibt viele Probleme und Herausforderungen bei der Integration von Geflüchteten. Aber dieses ist eine Geschichte vom Gelingen. Wobei die Hauptperson eher zurückhaltend ist am fünften Jahrestag von Kanzlerin Merkels inzwischen berühmt gewordenen Satz: „Wir schaffen das?“ Hat er, hat Nezar Alawad aus Marsberg, es auch geschafft? Ist er schon am Ziel hier in Deutschland? Er kennt Angela Merkels Satz genau, aber der 42-Jährige sagt: „Nein, ich habe es noch nicht geschafft“, und das in wohl überlegten Sätzen und in einem sehr guten Deutsch. „Aber ich schaffe das noch. Wir alle müssen noch daran arbeiten.“
Dabei ist schon jetzt in seiner Geschichte viel Zielstrebigkeit zu erkennen. Nezar Alawad arbeitet 17 Jahre lang für den syrischen Staat. „Für das Justizministerium“, sagt er. Doch in den Wirren des Bürgerkriegs habe er die Seiten gewechselt, sei zum Gegner des Assad-Regimes geworden. Nezar Alawad flüchtet allein, ohne seine Familie, kommt im Oktober 2014 nach Deutschland und wird auch schnell Marsberg, der 20.000-Einwohner-Stadt am östlichen Rand des Sauerlands, zugewiesen. Sie wird seine neue Heimat. Im Juli 2015 bekommt er eine Aufenthaltsgenehmigung, im Oktober darf er seine Familie nach Deutschland holen: Seine Frau Mervat, die Töchter Joud (heute 11), Lamar (10), den Sohn Hashem (7) und die noch ganz kleine Kinana (5).
Sofort mit Deutschkursen begonnen
„Ich habe gleich mit zwei Deutschkursen hintereinander begonnen“, sagt Nezar Alawad. Und er kann auch schnell arbeiten gehen. Erst in einer Glas-, dann in einer Papierfabrik. „Aber ich habe gemerkt, dass es schwierig ist für mich auf dem Arbeitsmarkt“, sagt der 42-Jährige. „Da habe ich mit meiner Frau überlegt, dass wir uns selbstständig machen. Ich habe mit einem sehr kleinen Laden angefangen hier in Marsberg, aber er ist immer weiter gewachsen.“ Lebensmittel aus der Türkei, aus Syrien oder Indien gehören zu seinem Sortiment. „Zu 90 Prozent sind Türken oder Syrer als Kunden gekommen“, sagt Nezar Alawad. „Aber seit ich frisches Obst und Gemüse anbiete, kommen auch die Deutschen.“
Dass er und seine Familie es schon weit geschafft haben, das führt er auch ganz entscheidend darauf zurück, dass er auf dem Land gelandet ist. Denn er weiß, dass andere Geflüchtete, die auch vor fünf, sechs Jahren nach Deutschland gekommen sind, es nicht geschafft haben, nicht in dieser Gesellschaft angekommen sind. „Ich hatte das Glück, dass ich hier in Marsberg gleich Deutschkurse machen konnte, dass ich gleich arbeiten konnte“, sagt der Familienvater. „Das ist hier in Marsberg möglich, hier habe ich alles gefunden. Ich denke, dass 95 Prozent der Syrer hier Arbeit haben. Das ist in einer Großstadt ganz anders. Da bekommst du schwerer einen Sprachkurs oder einen Job, dann ist man schnell raus.“
Nezar Alawad hat zwar seinen Laden mitten in der Marsberger Innenstadt. Doch er und seine Familie wohnen in Essentho, einem Dorf mit etwa 1500 Einwohnern. Und die Kinder gehen zur Schule im Nachbardorf in Westheim (1700 Einwohner), mit anderen Kindern vom Land.
Fußball bei den Alten Herren
Es ist dieses dörfliche Umfeld, da ist sich der 42-Jährige sicher, das bei der Integration hilft: „Die Leute in Essentho sind sehr, sehr nett, ich spiele Fußball bei den Alten Herren. Das hilft auch Deutsch zu lernen. Du musst mit den Leuten sprechen.“ Und er formuliert auch eine Erwartung an andere Geflüchtete: „Wir, die hierhin gekommen sind, müssen daran arbeiten.“
Heimweh nach Syrien kennt er er trotzdem: „Ich habe neun Geschwister dort, mein Vater und meine Mutter leben in Syrien. Ich habe viele Freunde zurückgelassen. Natürlich vermisse ich sie alle.“ Aber dennoch ist sein Fokus ganz klar Deutschland. Nach Jahren, in denen die Aufenthaltserlaubnis immer wieder nur für eine bestimmte Zeit verlängert wurde, soll sie nun entfristet werden. Für die Familie Alawad ein Riesenschritt: „Das bedeutet, dass ich in ein paar Monaten die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen kann.“ Und das will er unbedingt, den deutschen Pass in Händen halten: „Ja, natürlich. Für mich persönlich ändert sich da vielleicht nicht viel, aber es die Gelegenheit für meine Kinder, für sie ist das sehr gut. In Syrien gibt es für sie keine Zukunft, die haben sie hier.“