Dortmund. Wer aus einem Risikogebiet nach Deutschland reist, muss sich testen lassen. Wie die Tests am Dortmunder Flughafen laufen und was Passagiere sagen.
Ein Mann steht in der mit der Flatterband abgesteckten Warteschlange und telefoniert wortreich. Er trägt Jogginghose und die Sonnenbrille klemmt am Kragen des Muskelshirts. Hinter ihm: zwei Frauen, nicht gerade dezent parfümiert. Ein kleines Mädchen brüllt weiter vorn vor Wut, während es seinen Stoffhund mit dem linken Arm umschlungen hat.
„Ausweis“ ruft jemand laut, doch sein Wort wird vom Gemurmel der Menge fast verschluckt. 30, 40, 50 Meter ist die Warteschlange lang hier am Dortmunder Flughafen, direkt hinter der Gepäckausgabe, wo Reisende aus Risikogebieten auf das Coronavirus getestet werden. Wo die Flieger aus den Risikogebieten in enger Taktung landen.
Corona: Jede vierte Neuinfektion in NRW geht auf Reise-Rückkehrer zurück
Flug W6 6941 aus Charkow in der Ukraine? Gelandet um 12.37 Uhr.
Flug W6 6761 aus Lemberg in der Ukraine? Gelandet um 13.36 Uhr.
Flug W6 4091 aus Belgrad in Serbien? Gelandet um 14 Uhr.
Flug W6 3091 aus Bukarest in Rumänien? Gelandet um 14.20 Uhr.
Seit wenigen Tagen ist der Corona-Test Pflicht für alle, die aus gefährdeten Gebieten zurückkommen. Sie und andere Reisende sollen es sein, die maßgeblich zu den steigenden Infektionszahlen in Deutschland und in NRW beitragen. Das Landesgesundheitsministerium vermeldete in dieser Woche, dass jede vierte aller bestätigten Corona-Neuinfektionen in NRW auf Reiserückkehrer zurückgehe.
Testzentrum: Eine halbe Stunde in der Warteschlange
„Wir waren nicht sicher, ob wir wirklich verreisen sollen“, sagt Jovica Cubric, der mit seiner Frau Nevena und seiner Tochter Ema (2) in Serbien war. Zwei Monate Urlaub in der Heimat südlich von Belgrad, Familie besuchen. Das war lange geplant, dann kamen die Lockerungen. Und Ema soll doch die Großeltern sehen. Sie fuhren. Mit dem Auto. Der Papa kam früher zurück und holt nun seine Frau und sein Kind vom Flughafen ab.
Eine knappe halbe Stunde dauert der Aufenthalt in der Warteschlange für sie. Ihr Gesicht glänzt wegen der Hitze. „Ich finde das gut“, sagt sie. „Es ist sehr gut organisiert und kostenfrei.“ Sie seien bei ihrer Familie geblieben, in einem kleinen Städtchen eine Stunde südlich von Belgrad. Keine Menschenansammlungen, keine Risiken. Nach der Warteschlange tritt Nevena Jovic an einen von fünf provisorischen Schaltern, an denen medizinische Fachangestellte hinter Plastikscheiben sitzen, Personalien aufnehmen, Formulare ausfüllen und Abstrichröhrchen etikettieren.
7800 Abstriche und drei Prozent Infizierte
Im Raum nebenan wartet Dr. Heinz Ebbinghaus, Allgemeinmediziner aus Soest. „High Five“, sagt er zu einem Kind, das er untersucht hat. Der Arzt hat sich freiwillig für den Einsatz im Test-Zentrum gemeldet. Er trägt Maske und Visier, am Körper einen blauen Plastikanzug, der von zwei schwarzen Klebestreifen auf dem Rücken zusammengehalten wird. Die Hemdkragen wellen sich vor Feuchtigkeit. „Das Hemd ist durch“, sagt er. Dabei ist der kleine Raum mit den grünen Lamellenvorhängen klimatisiert. Zusammen mit einem Kollegen nimmt er die Abstriche: bei jedem aus Rachen und Nase.
Das Corona-Testzentrum am Dortmunder Flughafen gibt es bereits seit dem 25. Juli. Mittlerweile wird im Drei-Schicht-Betrieb gearbeitet. Bis zum Donnerstag wurden 7800 Abstriche gemacht. Bis zu zweimal am Tag kommt das Labor und holt die Proben ab. Die Ergebnisse liegen binnen maximal 48 Stunden vor. Die Positivquote liege bei mehr als drei Prozent, sagt Ebbinghaus. Nicht viel. Aber offenbar deutlich mehr als an anderen Flughäfen.
Mallorca gehört nun auch zu den Risikogebiete
„Werner“, ruft eine Frau hinter ihrem Mann her, der sich gerade in die Schlange einreihen will: „Is’ nur für Reisende aus Risikogebieten.“ Die beiden kommen aus Mallorca an. Stunden später zählt auch des Deutschen liebste Insel zu den Risikogebieten. Werner ist da schon weg. Ein Pärchen, das in Charkow war und eigentlich aus Holland kommt, wird abgewiesen: Sie sollen sich in ihrem Heimatland testen lassen.
Die ältere Frau aus Bielefeld, die sich an ihrer Handtasche festhält, zwei Mundschutze übereinander und Gummi-Handschuhe trägt, kommt gerade aus Belgrad: Urlaub bei der Familie. Sonst fliegt sie von Bielefeld aus. Ob sie Angst hat, weil die Zahlen wieder steigen. Sie schüttelt den Kopf. Eine Passantin stoppt unvermittelt ihren Rollkoffer und fragt: „Corona?“ Fragende Blicke.
Überwachung per App und Polizei
Seit Februar hat Alex seine Freundin aus Lemberg nicht mehr gesehen. Wegen Corona. Er kommt aus Pforzheim angefahren, um sie abzuholen. Vier Stunden Fahrt. „Es gibt ja kaum Flughäfen, die die Ukraine anfliegen“, sagt er. Auch sie warten geduldig. Gut finden sie die Untersuchung. Da wisse man, woran man ist und müsse nicht in Quarantäne.
Gutes Stichwort: Joshua (28) aus Mannheim war mit seiner Freundin deren Familie in Charkow besuchen. Zehn Tage. Deutschland ist in der Ukraine ebenfalls Risikogebiet - zumindest am Tag, als sie dort ankamen. Sie mussten einen Test machen und sich bis zum negativen Ergebnis in Quarantäne begeben. Eine verpflichtende App, die sei dreimal am Tag aufforderte, binnen 15 Minuten ein Bild von sich zu Hause zu machen, überwachte sie dabei. Falls nicht, komme die Polizei. Die Auswertung verzögerte sich: drei Tage blieben sie deswegen in ukrainischer Quarantäne. Jetzt noch den Test in Dortmund, dann ist die Reise geschafft. „Und beim nächsten Mal“, sagt Joshua, „ist das alles hoffentlich nicht mehr nötig.“