Hagen/Winterberg. Seit Mitte Mai die Gastronomien wieder öffnen durften, gelten klare Hygiene-Regeln. Im Umgang kehrt aber offenbar bedrohlich viel Lässigkeit ein.

Die kommenden Tage werden richtig heiß. Bestes Biergartenwetter. Aber nicht die Zeit für Unbeschwertheit. Leider. Denn neben den Temperaturen steigt auch die Zahl der Corona-Infizierten. Die Angst vor einer zweiten Welle wächst. „Wir befinden uns gerade in einer Situation, die kippelig ist“, beschreibt es Thorsten Hellwig, Sprecher des Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) NRW.

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Genau deshalb appellieren NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann und Dehoga-Präsident Bernd Niemeier an Gäste wie Gastronomen, sich an die Corona-Richtlinien zu halten. „Mit Sicherheit gut ausgehen“, haben Minister und Dehoga-Präsident den Appell überschrieben.

Nicht von ungefähr. Tatsächlich scheint sich nach Monaten der Einschränkungen durch das gefährliche Virus eine Mischung aus Laxheit und Genervtsein breit zu machen. Bei Gästen wie Gastronomen. Abstände, Desinfektion, Einbahnstraßen zur Toilette – und dann die Listen mit persönlichen Daten … . Unsere Zeitung hat den Test in der Hagener Innenstadt gemacht. Momentaufnahmen eines Mittags:

Liste auf dem Weg zur Toilette

Im Eiscafé: Die Maske ist ihm bereits von der Nase gerutscht, nur noch knapp bedeckt sie den Mund des Café-Mitarbeiters in der Hagener Innenstadt, der einen Milchshake, Cappuccino und ein kleines Eis an einen der vielen besetzten Tische nach draußen trägt.

In einer schnellen Handbewegung zieht er den locker gebundenen Schutz etwas höher, kurz darauf hängt ihm die Maske wieder am Kinn. Ein Bild, das keine Ausnahme zu sein scheint – jedenfalls beobachten wir das an diesem warmen Tag immer wieder.

Entlang der Fußgängerzone reihen sich die Tische der Gaststätten aneinander, der Mindestabstand wird gerade so erreicht. Die Kellner wirken hektisch, eilen von Gast zu Gast. „Ich glaube, die sind heute ganz schön im Stress“, spricht ein Mann eine junge Familie am Nachbartisch an und erntet ein Nicken. „Ich schätze, ich bezahle mal eben drinnen, das geht schneller“, sagt er und zieht sich eine Stoffmaske über Mund und Nase.

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Ein Mitarbeiter rückt derweil zügig den Stuhl des Mannes zurück an den Tisch, macht ihn bereit für die nächsten Gäste. Er greift noch nach der leeren Kaffeetasse, doch damit ist`s auch erledigt: Weder der Tisch noch die ausgelegte Speisekarte werden abgewischt. Eine Liste liegt nicht auf unserem Tisch, auch auf keinem anderen.

Überhaupt sehen wir um uns herum während der rund 30 Minuten niemanden, der seinen Namen und seine Telefonnummer irgendwo hinterlässt. Darum gebeten werden wir nicht. Doch es fragt auch sonst niemand danach. Nach dem Bezahlen haken wir deshalb nach, bevor der Mitarbeiter weiterzieht: „Die Liste liegt drinnen“, teilt er uns mit, „da kann man sich eintragen“, sagt er noch und geht. Also gehen wir rein und entdecken nach kurzem Suchen einen Block auf einem der Tische am Rand des Cafés. Und das soll klappen? „Das funktioniert wunderbar“, versichert uns der Chef des Ladens. „Die Gäste tragen sich ein, wenn sie zur Toilette gehen.“ Die seien seit Corona allerdings oft genervt, erzählt er. Vor allem von den Schutzmaßnahmen. „Aber das Ordnungsamt hatte nichts zu beanstanden.“

Beim nächsten Mal wird’s besser

Ortswechsel: im Biergarten einer Traditionsgaststätte in derselben Stadt. 12.20 Uhr, nicht überfüllt. Die Abstände zwischen den Plätzen scheinen ausreichend groß zu sein. Der Tisch, sehr sauber. Das haben wir woanders schon anders erlebt.

Freundliche Bedienung. Keine Maske, dafür ein Klarsichtvisier. Sehr in Ordnung. Die Kellnerin legt die Speisekarte auf den Tisch. Aber keine Datenliste. Diese Gastronomie gilt bei den Ordnungsbehörden als vorbildlich.

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Gute fünf Minuten vergehen. „Etwas gefunden?“ Keine Zeit, um zu essen. Einen Cappuccino bestellt. Die Zettel zum ordnungsgemäßen Eintragen der Gäste schlummern hier in Besteckkörbchen – aber nicht an diesem Platz. 12.30 Uhr: Am Nachbartisch nimmt eine ältere Dame Platz. „Eine Apfelschorle bitte.“ Die Dame wählt aus der Karte. Die Kellnerin bringt eines der Besteckkörbchen.

Der Cappuccino ist geschlürft. Rund ein Dutzend Tische sind besetzt – keinen einzigen Gast gesehen, der sich in eine Liste eingetragen hätte. 12.53 Uhr. Wir müssen langsam gehen. „Zahlen bitte!“ Austausch von ein paar Euro, Trinkgeld inklusive. Noch eine letzte Frage an die sehr freundliche Kellnerin: „Entschuldigung, muss man sich bei Ihnen gar nicht eintragen?“ Irritation beim Gegenüber. „In diese Corona-Listen?“ Es dämmert: „Oh, dann hat meine Kollegin wohl vergessen, den Zettel auf den Tisch zu legen. Beim nächsten Mal achten wir da mehr drauf.“ Auf Wiedersehen – Irritation ganz unsererseits.

Winterberg: Wer sich nicht einträgt, muss gehen

Es geht auch anders: Danny Meurs managt mit seinem Vater Rob einen der größten Hotel- und Gastronomiebetriebe im Touristenort Winterberg. Im Hotel „Der Brabander“ ist die Erfassung von Daten nach dem Check-in kein Problem. Anders im Pfannkuchenhaus, das Meurs auf der gegenüberliegenden Straßenseite betreibt. „Wir haben jede Woche eine Mappe voller Formulare von Gästen.“ Nur einmal habe ein Gast sich geweigert, es auszufüllen: „Er musste sich ein anderes Lokal suchen. Da haben wir keine Alternative“. Danny Meurs versteht, dass in der Branche bei dem ein oder anderen die Lässigkeit im Umgang mit Corona zunimmt. „Es sind extreme Anstrengungen, aber die Alternative wäre ein erneuter Lockdown“, warnt er.

Das Aus für viele Gastronomien

Ein zweiter Lockdown würde für viele Gastronomien sicher das Aus bedeuten. „Wir dürfen jetzt nicht nachlässig werden, sondern müssen neue Routinen für diese herausfordernde Zeit schaffen und einhalten“, wirbt auch Dehoga-Sprecher Hellwig um mehr Wachsamkeit bei Gästen wie Gastronomen.