Bad Berleburg. Nachdem zwei frei lebende Wisente auf dem Rothaarsteig die Hündin „Lotta“ getötet haben, wird erneut über das Auswilderungsprojekt diskutiert.

  • Die zwölfjährige Familienhündin Lotta hatte keine Chance bei einem Wisent-Angriff am Rothaarsteig. Sie überlegte eine Attacke von zwei Tieren nicht.
  • „Wisente sind eigentlich ganz entspannt“, sagt Fred Zentner, Leiter des Wisentreservats Damerower Werder in Mecklenburg-Vorpommern, „aber Kühe können in den ersten 14 Tagen nach der Geburt des Kalbes aggressiv auf vermeintliche Bedrohungen reagieren – und sei es ein Hund.“
  • Der Wisentverein bedauert den „Unfall“. Allerdings: Auf einer Entfernung von fünf Metern an Wisenten vorbeizugehen, „ist keine adäquate Reaktion auf das Antreffen der Tiere“, sagt Micheal Emmrich vom Wisentverein. Er empfiehlt einen Abstand von 50 Metern.

Lotta hatte keine Chance, als sich die beiden Kolosse auf sie stürzten. „Die Wisente drängten sie in eine Mulde und bearbeiteten sie mit ihren Köpfen“, schildert Sebastian Demuth den Moment, den er seinen Leben lang nicht vergessen wird. Lotta, die zwölf Jahre alte Familienhündin, überlebte die Wisent-Attacke am Rothaarsteig nicht. Das Horn eines der beiden Wildtiere hatte sich tief in ihren Körper gebohrt.

„Es wurde immer behauptet, dass die frei lebenden Wisente scheu und friedlich sind“, klagt der 36-Jährige aus Bad Berleburg-Berghausen und fordert Hinweisschilder an dem ebenso beliebten wie belebten Premiumwanderweg. „Es kommen Wanderer von überall her. Woher sollen die wissen, wie man sich richtig verhält, wenn man auf Wisente trifft?“

Die 12 Jahre alte Hütehündin Lotta wurde von zwei frei lebenden Wisenten getötet. Sie hat einen Angriff auf dem Rothaarsteig nicht überlebt.
Die 12 Jahre alte Hütehündin Lotta wurde von zwei frei lebenden Wisenten getötet. Sie hat einen Angriff auf dem Rothaarsteig nicht überlebt. © Privat

Es sollte ein ganz normaler Spaziergang mit Lotta werden, zu dem Sebastian Demuth am 8. Juli aufbrach. Herrchen und Hund setzten sich ins Auto und fuhren zum Wanderparkplatz Albrechtsplatz an der Grenze Wittgensteins zum Sauerland. „Wir waren am Rothaarsteig auf dem Rückweg, als wir aus 200 Metern Entfernung an einer Lichtung grasende Wisente sahen. Einige standen auf dem Wanderweg.“

Wisent-Angriff auf dem Rothaarsteig: Erster Sichtkontakt aus der Ferne

Es war Demuths erster Sichtkontakt mit den Wisenten überhaupt, auch wenn er nach eigenen Angaben „täglich überall in Wittgenstein“ mit Lotta unterwegs war. Als zwei Wanderer ihn ermunterten, die Stelle zu passieren („die tun nichts!“), nahm Demuth seine Lotta an die kurze Leine und wollte „fünf bis zehn Meter entfernt“ an den Tieren vorbei: „Lotta hat nicht gebellt, hat sich nicht auffällig verhalten.“ Und doch seien die Wisente plötzlich angelaufen gekommen.

Demuth wähnte sich in akuter Lebensgefahr, nahm die Beine in die Hand und verschanzte sich hinter einem Gebüsch. Es gelang ihm nicht mehr, die Hütehündin der Rasse Australian Kepie per Leine zu sich zu ziehen. Ein kurzes Jaulen war das Letzte, was Demuth von seiner Lotta gehört hat. „Sie war lieb und zutraulich, hatte nie Probleme mit anderen Tieren. Besonders meine Mutter leidet unter dem Verlust.“

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Fred Zentner leitet das Wisentreservat Damerower Werder in Mecklenburg-Vorpommern. Durch den Anruf des Reporters erfährt er von der Attacke auf dem Rothaarsteig. „Wisente sind eigentlich ganz entspannt“, sagt er, „aber Kühe können in den ersten 14 Tagen nach der Geburt des Kalbes aggressiv auf vermeintliche Bedrohungen reagieren – und sei es ein Hund.“

Tödlicher Wisent-Angriff: „Stehen dort, wo das beste Futter ist“

Dass sich Wisente auch an Wanderwegen aufhalten, ist aus Zentners Sicht nicht ungewöhnlich. „Sie stehen dort, wo das beste Futter ist. Wenn sie solche Flächen gefunden haben, gehen sie erst einmal nicht weg.“

Was ist also zu tun für Wanderer oder Hundebesitzer? Den Rückwärtsgang einlegen und einen anderen Weg gehen – auch wenn dies einen längeren Umweg bedeutet, rät der Wisentexperte. „Rennen Sie bloß nicht los wie ein Verrückter. Den Tieren sollte man nicht vermitteln, dass man Angst hat.“

Sebastian Demuth (36) aus Bad Berleburg-Berghausen auf dem Rothaarsteig an der Grenze Wittgensteins zum Sauerland. An dieser Stelle wollte er zusammen mit Hündin Lotta die grasenden Wisente passieren. Seine Hündin überlebte den tödlichen Wisent-Angriff nicht.
Sebastian Demuth (36) aus Bad Berleburg-Berghausen auf dem Rothaarsteig an der Grenze Wittgensteins zum Sauerland. An dieser Stelle wollte er zusammen mit Hündin Lotta die grasenden Wisente passieren. Seine Hündin überlebte den tödlichen Wisent-Angriff nicht. © Lars-Peter Dickel

Was Zentner Sorgen bereitet: Wenn die Wildtiere zu häufig an stark frequentierten Wanderwegen auf Menschen stoßen, ohne dass irgendetwas passiert, könnten sie sich an diese gewöhnen und ihre Scheu verlieren. Gleiches gelte auch umgekehrt. Aber: „Wisente bleiben immer Wildtiere, die für den Menschen unberechenbar reagieren können.“

Es sei oft der Mensch, so Zentner weiter, der Zwischenfälle in der Natur heraufbeschwöre. „Es ist nicht jedem gegeben, brenzlige Situationen zu erkennen. Nehmen Sie Zusammenstöße mit Wildschweinen oder die alljährlichen Berichte von Kuh-Attacken in den Alpen.“

Wisent-Attacke: Distanz zu Wildtieren ist wieder Thema

Distanz zu Wildtieren zu halten – das ist auch für den Trägerverein des Artenschutzprojekts – Wisent-Welt Wittgenstein – nach dem tödlichen Angriff auf Lotta mehr denn je ein Thema. Eine Verunsicherung geschweige denn abnehmende Besucherzahlen könnten Träger- und Rothaarsteigverein seit dem Zwischenfall nicht erkennen: „Die Leute wollen unbedingt die Wisente sehen“, sagt Micheal Emmrich vom Wisentverein.

Man sei nicht glücklich darüber, wenn Passanten den Tieren zu nahe kommen. „Wir haben schon erlebt, dass Eltern Wisente mit Futter anlocken und dann ihre Kinder in deren unmittelbarer Nähe platzieren. Wisente sind keine Streichelzootiere.“

Nach der Wisent-Atacke auf dem Rothaarsteig: Mindestabstand von 50 Meter empfohlen

Wenn die Menschen Verhaltensregeln beachten, so Emmrich weiter, „die allgemein im Umgang mit Wildtieren gelten“ – Mindestabstand 50 Meter, im Zweifel einen anderen Weg suchen –, „kann ihnen in der Regel nichts passieren“.

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Der Wisentverein bedauert den „Unfall“. Allerdings: Auf einer Entfernung von fünf Metern an Wisenten vorbeizugehen, „ist keine adäquate Reaktion auf das Antreffen der Tiere“. Wisente seien „Instinktwesen. Kühe verteidigen ihre Kälbchen, wenn andere Lebewesen ihnen vermeintlich zu nahe kommen.“ In diesem Fall sei es ratsam, einen Hund zwecks Flucht abzuleinen.

Hintergrund:

Verhaltensregeln bei Begegnungen mit Wisenten

Bleiben Sie auf den vorgesehenen Wegen. Halten Sie Abstand. Nähern Sie sich nicht aktiv. Füttern Sie nicht. Verhalten Sie sich vorausschauend. Passen Sie Ihr Tempo so an, dass Sie regelmäßig reagieren können. Meiden Sie bei Dämmerung den Wald. Führen Sie Hunde nur auf den Wegen oder an der Leine (außer in Gefahrensituationen).